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Ahmadinedschad hat seine Versprechen nicht erfüllt

Der Amtsinhaber wird favorisiert, doch die Konkurrenz ist erstarkt

Von Roland Etzel *

In der Islamischen Republik Iran stellen sich heute vier Männer zur Präsidentschaftswahl. Der Dauerkonflikt des Landes mit dem Westen, verkörpert in der Atomfrage, verleiht der Wahl eine Bedeutung, die weit über den nationalen Rahmen hinausgeht.

Die demoskopische Industrie verfügt in Iran längst nicht über die Dimensionen wie beispielsweise hierzulande. Politische Umfragen aber gibt es schon, auch zu den Wahlaussichten der vier Kandidaten. Die meisten davon sehen den Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad (52) mit teils großem Vorsprung vorn, sind jedoch mit Vorsicht zu genießen, da die veröffentlichenden Medien dem Präsidenten und dem klerikalen Establishment mehr als nahe stehen.

Damit ist bereits gesagt, dass die höchsten geistlichen Gremien der Islamischen Republik offensichtlich eine weitere Amtsperiode von Ahmadinedschad wünschen, obwohl sich offiziell weder der Geistliche Führer noch der Wächterrat entsprechend geäußert haben. Das könnten sie auch nicht, geben sie doch vor, die Treue jedes einzelnen Kandidaten zum (schiitischen) Islam genauestens geprüft und ihn für »wählbar« befunden zu haben. Etwas anderes steht den Wächtern laut Verfassung nicht zu.

Hohe Beteiligung an Präsidentenwahl

Teheran. Bei der Präsidentenwahl am 12.Juni hat sich eine Rekordbeteiligung abgezeichnet. Die Richtungsentscheidung zwischen dem amtierenden Mahmud Ahmadinedschad und dem Reformer Mirhossein Mussawi hat in vielen Landesteilen vor den Wahllokalen zu langen Warteschlangen geführt. Erste Rückmeldungen ließen auf eine historisch hohe Wahlbeteiligung schließen, sagte Innenminister Sadek Mahsuli am Freitag (12. Juni). Über 46 Millionen Iraner waren zur Stimmabgabe aufgerufen.



Einige Zeitungen sehen aber auch Mir Hussein Mussawi (67) vorn. Der ehemalige Ministerpräsident hat sich unter den drei Herausforderern eindeutig zum Favoriten profiliert. Die teilnehmerstarken Demonstrationen seiner Unterstützer in dieser Woche haben das unterstrichen. Ob sie mehr abbilden als die Stimmungslage der akademischen Jugend in den Großstädten, ist die spannende Frage, die vor allem die auswärtigen Beobachter bewegt.

Den übrigen Bewerbern werden weniger Chancen eingeräumt. Mehdi Karrubi (72) genießt zwar Popularität als ehemaliger Parlamentspräsident und unerschrockener Kritiker Ahmadinedschads, war aber schon bei früheren Wahlen deutlich unterlegen. Die geringsten Aussichten werden Mohsen Rezai (54) eingeräumt. Der ehemalige Kommandeur der Revolutionsgarden hat zwar auch schon öffentlich Ahmadinedschad kritisiert. Wer einen anderen Präsidenten haben will, wird aber kaum einen Revolutionsgardisten wählen.

Einen Amtswechsel wollen auf jeden Fall die westlichen Staaten, allen voran die USA – mit sehr hochgeschraubten Erwartungen bis hin zu einem Politikwechsel in wesentlichen Fragen; und dieser wurde in den vergangenen Wochen immer mehr auf die Person Mussawi projiziert.

Der besonders von der Bush-Regierung, aber auch von Israel bis zur Erstschlagdrohung geschürte Konflikt um Irans vermeintliches Streben nach Atomwaffen einerseits und der provozierende bis unverantwortliche Politikstil Ahmadinedschads andererseits führen wohl die meisten Staaten zu der Annahme, dass ein Präsident Mussawi die Situation entspannen könnte. Dies ist aber wohl eine sehr abendländische Sicht. Auch wenn sicher sehr viele Iraner das konfrontative Auftreten ihres Staatspräsidenten eher mit Sorge als mit Genugtuung erfüllt – ihre Hauptsorge ist das vieldiskutierte Atomproblem den Umfragen nach nicht.

Die Jugend fühlt sich von der alltäglichen klerikalen Gängelei genervt und erwartet von Mussawi Lockerungen. Die Masse der Bevölkerung erhofft aber vor allem eine Verbesserung ihrer sozialen Lage. Die Leute fragen sich, warum bei ihnen von den hohen Erdölerlösen der letzten Jahre so wenig angekommen ist. Gerade das hatte er bei Amtsantritt versprochen. Das ist der Schwachpunkt der präsidialen Bilanz.

Die wahlentscheidende Frage wird deshalb heute wohl sein, ob es Ahmadinedschad noch einmal abgenommen wird, dass er das Ausbleiben spürbarer Verbesserungen im Lebensstandard mit dem Verweis auf die äußeren Feinde begründet und die Iraner auf später vertröstet, oder ob man sich gerade in diesem Punkt noch der Verdienste Mussawis erinnert. Denn der hatte es als Ministerpräsident – das Amt wurde inzwischen abgeschafft – vermocht, mittels rigoroser Kontrollen ein passables Lebensniveau zu garantieren, obwohl während der irakischen Aggression 1980-88 nicht nur tatsächlich Krieg herrschte, sondern der Feind teilweise sogar 100 Kilometer im Land stand.

Von der Art des Auftretens Ahmadinedschads auf internationalem Parkett hat sich Mussawi distanziert, vom Streben des jetzigen Präsidenten nach auslandsunabhängiger Kernkraft-Nutzung nicht. Mussawi kritisiert, dass Ahmadinedschad der Welt eine Iran-Abneigung geradezu aufdrängt – nicht zuletzt wegen der aberwitzigen Holocaust-Leugnung –, aber er hat – was bisher im Westen gern überhört wurde – auch genauso klar gesagt, dass Abrüstung und Entspannung im Nahen und Mittleren Osten nicht ohne Einbeziehung der israelischen Atomwaffen denkbar sind.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Juni 2009

Frühere Präsidenten

ABOLHASSAN BANI-SADR:
Der erste gewählte Präsident des Landes nach der Revolution von 1979 war von Januar 1980 bis Juni 1981 im Amt. Als Präsident wurde er für militärische Niederlagen im Golfkrieg gegen Irak verantwortlich gemacht und vom Parlament als »inkompetent« abgesetzt. Seit seiner Flucht aus Iran lebt er in Frankreich im Exil.

MOHAMMED ALI RADSCHAI:
Als Erziehungsminister wurde er im Juli 1981 zum Staatspräsidenten gewählt. Er fiel im August 1981 einem Bombenattentat zum Opfer.

AJATOLLAH SEYED ALI CHAMENEI:
Der Geistliche wurde im Oktober 1981 Präsident und blieb im Amt, bis er nach dem Tod Khomeinis im Juli 1989 zu dessen Nachfolger als Geistlicher Führer bestimmt wurde.

AKBAR HASCHEMI RAFSANDSCHANI:
Der Mitinitiator der Islamischen Revolution war Präsident von 1989 bis 1997. Mit einem geschätzten Vermögen von umgerechnet einer Milliarde Euro gilt er als reichster Mann Irans.

MOHAMMED CHATAMI:
Der als moderater Kleriker geltende Chatami war Präsident von 1997 bis 2005. Er versuchte eine Reformpolitik, wurde aber vom Klerus immer wieder gebremst.


Das Machtgefüge

GEISTLICHER FÜHRER:
Seit der Islamischen Revolution von 1979 ist die oberste Machtinstanz der Republik der Geistliche Führer. Er wird auf Lebenszeit gewählt. Derzeit ist es Ajatollah Ali Chamenei.

PRÄSIDENT:
Laut Verfassung ist der Präsident die Nummer zwei im Staat. Er wird für vier Jahre gewählt und steht an der Spitze der Regierung. Er schlägt dem Parlament die Minister vor, das den Kandidaten das Vertrauen aussprechen muss. Der Präsident sitzt dem Nationalen Sicherheitsrat vor.

WÄCHTERRAT:
Die zwölf Mitglieder des Wächterrats haben in rechtlichen Fragen das letzte Wort und können durch ihr Veto die Beschlüsse des Parlaments zu Fall bringen. In der theokratischen Staatsordnung Irans haben sie die Aufgabe, die Vereinbarkeit von Gesetzen mit dem Islam und der Verfassung zu überprüfen. Auch bei Wahlen hat der Wächterrat das letzte Wort: Bei der jetzigen Wahl ließ er von 475 Kandidaten, die ihre Bewerbung eingereicht hatten, nur vier zu.

EXPERTENVERSAMMLUNG:
Der Rat aus 86 Geistlichen wird alle acht Jahre durch allgemeine Wahlen bestimmt. Die Experten wachen über das in Iran gültige Prinzip der Herrschaft der Rechtsgelehrten, das die absolute Kontrolle eines religiösen Führers über die Politik festschreibt.

SCHLICHTERRAT:
Das Gremium soll zwischen dem Wächterrat und dem Parlament vermitteln.

PARLAMENT:
Die sogenannte Madschlis wird alle vier Jahre vom Volk gewählt, über die Kandidatenliste bestimmt auch hier der Wächterrat. Das Parlament ist in erster Linie für die Ausarbeitung von Gesetzen zuständig, die wiederum der Billigung des Wächterrats unterliegen. AFP/ND




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