Sechs westliche Botschafter: Iran verletzt das Völkerrecht nicht
Iran, die IAEA und der UN-Sicherheitsrat
Der folgende Artikel, den wir der Internetseite irananders.de entnommen haben, erschien in verschiedenen Versionen (die geringfügig voneinander abweichen) zur gleichen Zeit in mehreren westlichen Zeitungen, u. a. in der britischen Zeitung Guardian und im US-amerikanischen Blatt Los Angeles Times. Er wurde von sechs ehemaligen Botschaftern europäischer Staaten in Iran verfasst: Richard Dalton (UK)*, Steen Hohwü-Christensen (Schweden); Paul von Maltzahn (Deutschland), Guillaume Metten (Belgien), François Nicoullaud (Frankreich) und Roberto Toscano (Italien).
Als Botschafter in Iran während des letzten Jahrzehnts haben wir alle die Entwicklung der „Atomkrise“ zwischen Iran und der internationalen Gemeinschaft genau verfolgt. Es ist inakzeptabel, dass die Gespräche nun für solch eine lange Zeit ins Stocken geraten sind.
Die arabische Welt und der Nahe Osten treten in eine neue Ära ein, die kein Land immun gegen den Wandel zurücklässt. Das betrifft auch die Islamische Republik Iran, die der Unzufriedenheit eines bedeutenden Teils ihrer Bevölkerung gegenübersteht. Eine solche Zeit der Ungewissheit bietet Gelegenheiten, den gängigen Standpunkt des Westens in der iranischen Nuklearfrage zu überdenken.
Hinsichtlich des internationalen Rechts ist der Standpunkt Europas und der Vereinigten Staaten wohl weniger gesichert als allgemein vermutet wird. Im Grunde bewegt er sich innerhalb einer Reihe vom UN-Sicherheitsrat verabschiedeten Resolutionen, die Zwangsmaßnahmen im Falle von „Gefahren für den Frieden“ vorsehen.
Aber worin besteht diese Gefahr? Ist es die Anreicherung von Uran in iranischen Zentrifugen? Das ist sicher eine heikle Angelegenheit, durchgeführt von einem Land mit zweifelhaftem Ruf, in einer hochsensiblen Region. Die von der internationalen Gemeinschaft geäußerten Bedenken sind legitim und Iran hat die moralische Verpflichtung und steht unter dem politischen Druck, diesen Bedenken eine Antwort zu geben.
Wie auch immer: Grundsätzlich verbietet das internationale Recht oder der Atomwaffensperrvertrag (NPT) die Anreicherung von Uran in keiner Weise. Außer Iran gibt es einige andere Länder, Unterzeichner und Nicht-Unterzeichner des Vertrags, die Uran anreichern; ohne beschuldigt zu werden, eine „Gefahr für den Frieden“ zu verursachen. Und in Iran unterliegen diese Aktivitäten den Inspektionen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA). Diese Inspektionen, das ist richtig, unterliegen einem Schutzklauselabkommen, das noch aus den 70er Jahren stammt. Aber es ist auch richtig, dass die IAEA niemals auch nur den Versuch eines Kurswechsels Irans in Richtung einer militärischen Nutzung von nuklearem Material entdeckte.
Besteht nun die „Gefahr für den Frieden“ darin, dass Iran aktiv versucht, eine Atombombe zu bauen? Über die letzten zehn Jahre hindurch schwächten die US-Geheimdienste diese Behauptung ab. James Clapper, US-Direktor für nationale Aufklärung, bezeugte im Februar vor dem Kongress: „Wir schätzen weiterhin, dass Iran sich die Option offen hält, Nuklearwaffen zu entwickeln […]. Wir wissen allerdings nicht, ob Iran sich letztendlich für den Bau von Nuklearwaffen entscheidet […]. Wir beurteilen die Lage weiterhin so, dass Irans Atom-Entscheidung an einem Kosten-Nutzen-Kalkül orientiert ist, das der Internationalen Gemeinschaft Raum für Beeinflussung bietet.“
Heute gibt es unter den Experten eine Mehrheit, selbst in Israel, die offenbar einschätzen, dass Iran danach strebt, ein „Schwellenland“ zu werden, das technisch in der Lage ist, Nuklearwaffen zu produzieren, aber in der aktuellen Situation davon absieht. Und wieder verbietet nichts im internationalen Recht oder im NPT-Vertrag solche Ambitionen. Genau wie Iran gibt es eine Reihe weiterer Länder, die auf dem Weg dahin sind, diese Schwelle zu erreichen oder diese schon erreicht haben, die sich aber dennoch verpflichteten, sich keine Atomwaffen anzueignen. Niemand scheint sie dabei zu stören.
Wir bekommen häufiger zu hören, dass Irans Feindschaft und seine Weigerung, ernsthaft zu verhandeln, unseren Ländern keine andere Wahl gelassen haben, als das Land 2006 vor den Sicherheitsrat zu bringen. Aber auch hier ist die Sachlage nicht so eindeutig.
Erinnern wir uns daran, dass Iran 2005 bereit war, eine Obergrenze für die Anzahl seiner Zentrifugen zu verhandeln und seine Anreicherungsrate weit unter den für Waffen notwendigen Grenzwerten zu halten. Teheran drückte darüber hinaus seine Bereitschaft für die Inkraftsetzung eines unterschriebenen Zusatzprotokolls aus, das der IAEA genaue Inspektionen in ganz Iran, sogar in nicht deklarierten Anlagen, erlaubt hätte (Anm. d. Red.: das Protokoll wurde zwar von iranischer Regierungsseite unterzeichnet und auf freiwilliger Basis zur Anwendung gebracht, jedoch nicht vom Parlament ratifiziert). Zu dem Zeitpunk wollten die Europäer und Amerikaner allerdings Iran dazu nötigen, sein Anreicherungsprogramm komplett aufzugeben.
Heute gehen die Iraner davon aus, dass das noch immer das Ziel Europas und der USA ist, und dass der UN-Sicherheitsrat aus diesem Grund auf die Aussetzung aller iranischen Anreicherungsaktivitäten besteht. Aber die Zielsetzung „keine in Iran laufenden Zentrifugen, weder dauerhaft noch temporär“ ist unrealistisch und sie hat stark zu der aktuellen Verfahrenheit der Situation beigetragen.
Natürlich gibt es ein Dilemma in den Köpfen der meisten unserer Staatsmänner: Warum sollte man dem iranischen Regime eine Abschluss anbieten, der dem Land hilft, seine interne und internationale Legitimation wiederherzustellen? Sollen wir nicht auf einen angenehmeren Nachfolger in Iran warten, bevor wir ein neues Angebot machen?
Das ist eine berechtigte Frage, aber wir dürfen dabei nicht den Einfluss von Nuklearverhandlungen auf die internen Entwicklungen in Iran überschätzen. Ronald Reagan pflegte die Sowjetunion das „Reich des Bösen“ zu nennen, was ihn aber nicht davon abhielt, intensiv mit Michael Gorbatschow über nukleare Abrüstung zu verhandeln. Sollen wir es ihm zum Vorwurf machen, dass er den Lauf der Geschichte abgebremst hat?
Die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates und Deutschland sollten sicherlich weiterhin ihren Fokus auf die politischen Rechte und auf Menschenrechte richten - aber sie sollten ebenso auch stärker versuchen, das frustrierende und dennoch dringende Problem der Proliferation zu lösen. Auf diesem Weg würden wir eine ernste Ursache für Spannungen in einer Region eindämmen, die sich mehr als jemals zuvor nach Ruhe sehnt.
Das Scheitern der letzten Verhandlungsrunde in Istanbul Ende Januar und die jüngsten enttäuschenden Briefwechsel zwischen den Parteien zeigen nur allzu deutlich, dass die aktuelle Verfahrenheit der Situation nur schwer zu durchbrechen sein wird. Was den Verhandlungsvorgang angeht - je unaufdringlicher und technischer er geführt wird, desto besser werden die Chancen sein, dass es einen Fortschritt gibt. Und wir wissen schon heute, dass jede Lösung substanziell auf die Qualität des Inspektionssystems der IAEA bauen muss.
Entweder trauen wir der Fähigkeit der IAEA, alle ihre Mitgliedsstaaten, inklusive Iran, zu überwachen, oder wir tun es nicht. Und wenn die Antwort lautet, dass wir ihr nicht vertrauen, dann müssen wir uns der Frage stellen, warum wir die Organisation weiter aufrechterhalten sollen, wenn sie nur bei ihren tugendhaftesten Mitgliedern effektiv ist.
Der nächste Schritt für beide Konfliktparteien sollte die Frage an die IAEA sein, welche zusätzlichen Mittel sie braucht, um das iranische Nuklearprogramm komplett zu überwachen und um glaubwürdige Sicherheiten zu gewährleisten, dass alle Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Programm ausschließlich friedlichen Absichten dienen. Die Antwort der IAEA würde eine Grundlage für die nachfolgende pragmatische Verhandlungsrunde mit Iran bieten.
* z.B. Richard Dalton: Iran is not in breach of international law. In: The Guardian, 9 June 2011
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