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Israel lässt die Muskeln spielen

Regierung verschärft vor heutigen Iran-Gesprächen in Washington den Ton gegenüber Teheran *

Israel setzt vor den Iran-Gesprächen in Washington auf Stärke. Während Ministerpräsident Netanjahu Forderungen nach Aufgabe des iranischen Atomprogramms stellte, deutete Außenminister Lieberman sogar einen Alleingang bei der »Lösung« des Konflikts mit Teheran an.

Israel wird nach den Worten von Außenminister Avigdor Lieberman selbst über das »beste Vorgehen « im Atomstreit mit Iran entscheiden. Sein Land müsse in »den angemessenen Foren« und diskret Entscheidungen treffen, sagte Lieberman dem israelischen Rundfunk am Sonntag.

Ein Treffen des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu mit US-Präsident Barack Obama heute (5. März) in Washington wird mit Spannung erwartet. Es gilt als sicher, dass der Streit um das iranische Atomprogramm im Zentrum der Gespräche stehen wird. Nach israelischen Medienberichten wollen die USA Israel von einem Militärschlag gegen Iran abhalten.

Der israelische Rundfunk berichtete am Sonntag (4. März) unter Berufung auf einen israelischen Regierungsvertreter, man erwarte von den USA öffentliche Zusicherungen über die Bereitschaft, notfalls auch militärisch gegen Teheran vorzugehen. Lieberman sagte dazu allerdings: »Obama braucht unseren Rat nicht, er kennt die Situation, er weiß ganz sicher, was er sagen wird, und wir werden es uns anhören und Erwägungen anstellen.« Lieberman betonte, die USA seien die wichtigste Supermacht der Welt und »der wichtigste Freund des Staates Israel«. »Aber gleichzeitig sind wir unabhängig, und letztlich wird die israelische Regierung die besten Entscheidungen treffen, nach unserem Verständnis.«

Obama hatte in einem am Freitag (2. März) veröffentlichten Interview des Magazins »The Atlantic « erklärt, er werde Iran notfalls auch mit Gewalt am Atomwaffenbesitz hindern. Auch eine »militärische Komponente« sei nicht ausgeschlossen. Zugleich mahnte Obama das israelische Militär zur Zurückhaltung. »Ich denke, dass die israelische Regierung erkennt, dass ich, als Präsident der Vereinigten Staaten, nicht bluffe«, sagte Obama. »Ich laufe aber auch nicht herum und hänge exakt an die große Glocke, was wir beabsichtigen. Aber ich glaube, dass beide, die iranische und die israelische Regierung, erkennen, dass die USA meinen, was sie sagen, wenn sie erklären, dass es ein iranischer Atomwaffenbesitz unakzeptabel ist.«

Netanjahu bezeichnete die von Teheran signalisierte Gesprächsbereitschaft allerdings als »Falle«. Es bestehe die Gefahr, dass Iran solche Gespräche nur dazu nutzen werde, sein Atomwaffenprogramm voranzutreiben und die schmerzhaften Sanktionen abzumildern, zitierte die »Jerusalem Post« den Regierungschef am Samstag (3. März).

Netanjahu äußerte sich am Vortag nach einem Treffen mit seinem kanadischen Amtskollegen Stephen Harper in Ottawa. Der israelische Ministerpräsident mahnte, die internationale Gemeinschaft solle drei Bedingungen für neue Gespräche stellen: Iran müsse die Atomanlage in Ghom abbauen, die Anreicherung von Uran im Inland beenden und alles Uran außer Landes schaffen, das bereits höher als 3,5 Prozent angereichert ist. Kommentatoren merkten an, dass diese Vorbedingungen praktisch das Ende aller Atomgespräche mit Iran bedeuteten.

Iran verneint, Atomwaffen zu entwickeln. Nach Einschätzung der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA in Wien sind in Iran aber Anlagen gefunden worden, die nur zu einem militärischen Atomprogramm passen. Derzeit bemühen sich Inspekteure der IAEA in Wien weiter »dringend « darum, Zugang zu den verdächtigen Militäranlagen zu erhalten. Grund seien »bestimmte Aktivitäten«, wie IAEA-Chefinspekteur Herman Nackaerts in der vergangenen Woche in Wien laut Diplomaten sagte. Worum es konkret geht, habe Nackaerts in dem vertraulichen Treffen jedoch nicht mitgeteilt, hieß es.

* Aus: neues deutschland, 5. März 2012


Einig in der Atomfrage

Von Martin Ling **

Israel wird das Wahlergebnis in Iran nicht besänftigen: So deutlich die Niederlage für die Gefolgsleute des Israel-Hassers Mahmud Ahmedinedschad bei den Parlamentswahlen auch ausfiel - auf die Außenpolitik Irans hat der Urnengang sowenig Einfluss wie auf die Einschätzung Israels, dass Teheran so oder so, unter welchem Präsidenten auch immer um jeden Preis an die Atombombe gelangen will. So bleibt das Risiko eines baldigen Präventivkrieges, wie ihn Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, Außenminister Avigdor Lieberman und Verteidigungsminister Ehud Barak in öffentlichen Gedankenspielen erwägen, unvermindert hoch.

Wenn sich iranische Politiker und Bevölkerung über alle politischen Differenzen in einem so gut wie einig sind, dann im Recht auf friedliche Nutzung der Kernkraft. Dazu hat Iran laut Atomwaffensperrvertrag Anspruch ohne Wenn und Aber. Verdachtsmomente, aber keinesfalls stichhaltige Beweise liegen bisher vor, dass Iran an eigenen Atomwaffen tüftelt.

Nimmt man die Rhetorik von Lieberman und Co. so ernst wie die von Ahmedinedschad, der Israel gerne von der Landkarte streichen wollen würde, ist ein Krieg gegen Iran nur noch eine Frage der Zeit - mit unkalkulierbaren Folgen für mindestens die Region, wenn nicht gar für die ganze die Welt.

Das beängstigende Szenario liegt offen auf dem Tisch. Nur dass im Gegensatz zur Behandlung Irans die Frage nach der Berechenbarkeit der Atommacht Israel nicht einmal gestellt wird.

** Aus: neues deutschland, 5. März 2012 (Kommentar)


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