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Unruhe im Iran

Jüngste Todesfälle belasten zusätzlich Beziehungen zu den USA

Von Rainer Rupp *

Die tödlichen Explosionen auf einem Raketenstützpunkt der iranischen Revolutionären Garden (IRGC) letzten Samstag (12. Nov.) waren so stark, daß man die Erschütterungen sogar noch im rund 60 Kilometer entfernten Teheran spüren konnte. IRGC-General Hasan Moghaddam war sofort tot, ebenso 16 weitere IRGC-Angehörige. Zeitgleich ist Ahmad Rezai, der Sohn eines populären ehemaligen Kommandeurs der IRGC in Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten unter verdächtigen Umständen zu Tode gekommen. Die zeitliche Übereinstimmung dieser Todesfälle hat im Iran Spekulationen ausgelöst, ob die Vereinigten Staaten ihre jüngsten Drohungen, führende Persönlichkeiten der IRGC zu ermorden, in die Tat umgesetzt haben. Zugleich haben die Ereignisse in der Bevölkerung Irans für Unruhe gesorgt, womit Israel und die USA ihrem Ziel der Destabilisierung der iranischen Gesellschaft einen Schritt näher wären.

Der getötete General Moghaddam war eine Schlüsselfigur in Irans Raketenprogramm, das den Dreh-und Angelpunkt der konventionellen Abschreckung des Landes darstellt. Auch der Tod von Ahmad Rezai hat die IRGC getroffen, denn er war der jüngste Sohn des politisch einflußreichen Mohsen Rezai, der während des opferreichen Irakisch-Iranischen Krieges in den 1980er Jahren Chef der Revolutionären Garden war und derzeit einer der Anwärter auf die iranische Präsidentschaft ist. Ahmad war offiziellen Berichten zufolge letzten Samstag in seinem Hotel in Dubai »unter mysteriösen« Umständen ums Leben gekommen. Kein Wunder, daß iranische Medien in diesem Zusammenhang an den Hamas-Kommandeur erinnern, der unlängst ebenfalls in einem Hotel in Dubai Meuchelmördern des Mossad zum Opfer gefallen ist. Auch auf führende Atomwissenschaftler des Landes sind in letzter Zeit mehrere tödliche Anschläge verübt worden, die die Handschrift des Mossad tragen.

Berichten aus Iran zufolge schlagen die Emotionen hoch. Die Mehrheit der Bevölkerung geht davon aus, daß auch die beiden jüngsten Todesfälle auf das Konto israelisch-amerikanischer Meuchelmörder gehen. Aber solange die Todesfälle nicht einwandfrei geklärt sind, geht die iranische Regierung offiziell weiterhin von Unfällen aus. Sie versucht, einen kühlen Kopf zu bewahren und kein Öl ins Feuer zu schütten. »Wenn jedoch bei der Untersuchung die blutigen Hände fremder Mächte entdeckt werden, dann wird die Regierung zunehmend unter Druck des Volkes kommen, um den Tod der Märtyrer rächen«, zitierte Asia Times am Montag einen namentlich nicht genannten Politikwissenschaftler der Universität Teheran. Ein führender Kommandeur der IRGC hatte bereits auf die US-Drohungen, Offiziere der IRGH zu ermorden, mit der Ankündigung reagiert, für jeden getöteten Kameraden Dutzende amerikanische Militärangehörige zu töten. Davon gebe es ja im Mittleren Osten genug.

Durch die aggressive Haltung Washing­tons drohen die iranisch-amerikanischen Beziehungen zunehmend unkontrollierbar zu werden. Wenn sich tatsächlich herausstellen sollte, daß Israel und die USA ihre Finger bei den beiden Todesfällen mit im Spiel haben, dann besteht die Gefahr einer nachhaltigen Veränderung der iranischen Strategie. Statt weiterhin defensiv den westlichen Aggressionen zu begegnen, wird in Teheran der Druck wachsen, auf die Bedrohung offensiv zu antworten.

* Aus: junge Welt, 16. November 2011

Für Dialog

Auf eine Frage nach der russischen Iran-Politik antwortete Außenminister Sergej Lawrow am 13. November während einer Pressekonferenz in Honolulu unter anderem: **

Der jüngste Bericht von IAEA-Generaldirektor Jukija Amano enthält nichts Neues. Er wiederholt nur, daß an einigen Punkten des iranischen Atomprogramms sogenannte »mögliche militärische Dimensionen« existieren und daß Teheran die nötigen Erklärungen noch nicht gegeben hat. Diese Punkte sind nicht neu. Informationen über das Bestehen solcher Bedenken standen der IAEA auch schon in den vergangenen acht Jahren zur Verfügung. Es wurde lediglich jedes Mal festgestellt, daß Iran darauf nicht antworte. Die iranische Seite ihrerseits bleibt bei der Erklärung, daß ihr die Originaldokumente vorgelegt werden müssen, auf die sich der Verdacht eines Nuklearwaffen-Programms stützt. Tatsächlich sind die jetzt präsentierten Dokumente nur Computerausdrucke.

Wir nehmen das ernst und versuchen, unsere iranischen Nachbarn davon zu überzeugen, in einen Dialog mit der Atombehörde einzutreten und schließlich alle noch offenen Fragen zu beantworten. Übrigens gibt es einige Iran betreffende Dokumente, die nach Angaben der IAEA aus anderen Ländern stammen. Wir fordern die IAEA auf, diese Länder zu nennen, weil das zum Verständnis der Situation notwendig ist.

Gerade vor einer Woche haben die Iraner erklärt, daß sie über die anstehenden Themen diskutieren wollen. Das ist definitiv eine Änderung ihrer Haltung. Tatsächlich haben sie es bisher abgelehnt, darüber zu sprechen. Ein wichtiger Umstand ist, daß der stellvertretende Generaldirektor der IAEA, Herman Nackaerts, vor einigen Monaten in den Iran gereist ist, wo man ihm zum ersten Mal den im Bau befindlichen Schwerwasserreaktor (in Arak) gezeigt hat. Der Prozeß bewegt sich also voran, wenn auch langsam. Wir müssen uns darauf einstellen, daß das Problem nicht über Nacht gelöst werden kann. Die Reaktionen sollten sich nicht an irgendjemandes Wahlkampagnen orientieren. Dies ist ein längerer Prozeß, der keinen Rummel und keine Politisierung verträgt.

Obwohl zu den »möglichen militärischen Dimensionen« tatsächlich nichts Neues entdeckt worden ist, hat sich der IAEA-Generaldirektor dafür entschieden, in seinem jüngsten Bericht Aussagen anzuführen, die seit acht Jahren bekannt sind. Sie sehen, was für ein Aufruhr entstanden ist. Aufgrund der Art, wie dieses Thema sich trotz des Fehlens neuer Erkenntnisse in Israel, den USA und Europa entwickelt hat, gehe ich davon aus, daß diese Kampagne wohl inszeniert wurde, um Leidenschaften in der öffentlichen Meinung anzuheizen und den Boden für die Durchsetzung einseitiger Strafmaßnahmen vorzubereiten.

Wir halten die Schiene der Sanktionen für erschöpft. Alles, was darüber hinausgeht, werden die USA, Europa, Japan, Australien und Kanada allein machen. Wir müssen unsere Bereitschaft zu Verhandlungen bekräftigen, wenn Iran zu kooperieren beginnt. Aber, nochmals: Zusätzliche Bestrafung führt zu nichts. Libyen, Syrien, Iran, Sudan, Elfenbeinküste – überall haben sich unsere westlichen Partner für eine Politik der Konfrontation, der Isolation und des Regimewechsels entschieden. Aber nirgendwo ist Ruhe eingetreten oder in Sicht.

Übersetzung: Knut Mellenthin

** Aus: junge Welt, 16. November 2011




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