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Stunde der Diplomaten oder der Falken

Eine einvernehmliche Lösung zum iranischen Atomprogramm ist nähergerückt, doch der Ton verschärft sich wieder

Von Roland Etzel *

An diesem Mittwoch sollen in Genf die Verhandlungen über Irans Atomprogramm fortgesetzt werden. Nach dem späten Scheitern der vergangenen Gesprächsrunde wagt diesmal niemand eine Prognose.

Ginge es nach Russlands Staatspräsident Wladimir Putin, würde man sich bis zum Freitag, dem geplanten Abschluss der dieswöchigen Gespräche zum iranischen Kernforschungsprogramm, weitestgehend mit der Islamischen Republik einig.

Russland ist allerdings nur ein Mitglied der 5+1-Gruppe, die seit fünf Jahren mit der iranischen Seite verhandelt. Jene Gruppe, also die fünf Ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates plus Deutschland, sprechen wie in den allermeisten anderen politischen Fragen auch hier nicht mit einer Stimme.

Dennoch schien man über die Erörterung des Gretchenfrage »Will Teheran unter dem Deckmantel der Kernforschung heimlich Atomwaffen bauen oder nicht?« beim letzten Treff eigentlich hinaus und einem Modus Vivendi zur Gesichts- bzw. Interessenwahrung für alle Seiten sehr nahe gekommen zu sein. Derzeit verschärft sich der Ton aber wieder merklich. Frankreichs Außenminister Laurent Fabius wurde schon vor zehn Tagen in Genf als Spielverderber ausgemacht, und Präsident François Hollande verschärfte bei seinem Israel-Besuch zu Wochenbeginn die Gangart noch einmal deutlich.

Der von ihm präsentierte Vier-Punkte-Forderungskatalog geht nach Meinung der Russen und informell auch des US-Außenministers John Kerry erheblich über die bisher von Teheran verlangten Zugeständnisse hinaus. Hollande nannte in Jerusalem als Bedingungen für die Unterzeichnung einer Übergangsvereinbarung folgende Punkte:
  • Unterstellung aller Atomeinrichtungen Irans unter internationale Aufsicht;
  • Einstellung der Anreicherung von Uran auf 20 Prozent;
  • Verringerung des Bestandes an angereichertem Uran;
  • Einstellung des Baus am Schwerwasser-Atomreaktor Arak.
Die öffentliche Präsentation beim Erzfeind Israel lässt vermuten, dass Frankreich eine schnelle und einvernehmliche diplomatische Lösung nicht anstrebt. Für Iran hat das den Beigeschmack von Kapitulation und damit Unannehmbarkeit. Die Nebengeräusche beim Bekanntwerden der französischen Forderung erwecken zudem den Eindruck, als sei diese nicht Ergebnis einer strategischen Absprache mit den Verbündeten.

Andererseits ist es unwahrscheinlich, dass es sich hier um einen Alleingang Hollandes handelt. Sein Versprechen, er werde Iran nicht erlauben, eine Atomwaffe zu erlangen, führte in Israels Regierung zwar zu frenetischem Beifall. Dennoch weiß man dort, dass Paris nicht in der Lage wäre, diese Zusage einzulösen. der Blick richtet sich auf die Falken im US-Kongress, die sich derzeit wild entschlossen zeigen, Präsident Barack Obamas diplomatisch ausgerichtete Iran-Strategie zu Fall zu bringen.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Senat, Robert Menéndez von Obamas Demokraten, warnte davor, auf die »Charme-Offensive« Irans hereinzufallen. Die Republikaner sind ohnehin für eine scharfe Gangart.

Unter der Devise »Alles gegen ein eigenes Atomarsenal Irans« stimmte das Abgeordnetenhaus mit 400 zu 20 Stimmen für härtere Sanktionen gegen Iran. In einem Brief drängen 63 Abgeordnete das Oberhaus, ähnlich zu beschließen. Vom Sprecher des Weißen Hauses, Jay Carney, war darauf die schon etwas resignierende Antwort zu vernehmen, dass dies eine Absage an die Diplomatie bedeuten würde. Mit Blick auf die zahlreichen Widersacher sagte er: »Im Grunde suggerieren sie, dass Krieg die einzige Alternative ist.«

Trotzdem sagt Putin, der einen schnellen Kompromiss der 5+1 mit Iran anstrebt, er blicke optimistisch nach Genf. Laut Präsidialamt sagte er in einem Telefongespräch mit Irans Präsident Hassan Ruhani am Montag, er sehe eine »reale Chance« auf eine Einigung im Atomstreit.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 20. November 2013


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