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"Die USA führen die Gespräche, um Kriegsgründe zu produzieren"

In tempore belli (II)

Von Erhard Crome*

Der nächste Krieg rückt näher. Die Spekulanten setzen bereits auf sein Kommen: der Ölpreis stieg schon mal auf ein Rekord-Hoch von 72 US-Dollar je Barrel, von 80 Dollar ist die Rede. Wenn im Gefolge des Krieges der USA gegen den Iran dessen Öllieferungen auf den Weltmarkt oder erhebliche Mengen davon ausbleiben sollten, werden es über 100 Dollar sein, und es wird Versorgungsengpässe auf den internationalen Märkten geben, sagen Experten.

In Moskau fanden Gespräche zwischen den fünf Ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates und Deutschland statt. Es habe keine abschließenden Dokumente gegeben, sagte nach den Gesprächen der russische Außenminister. Der stellvertretende US-Außenminster sprach von der „Notwendigkeit einer harten Antwort“. Rußland und China sind auch weiterhin gegen Sanktionen. Die Grundkonstellation der diplomatischen Auseinandersetzungen ist klar: die USA führen die Gespräche, um Kriegsgründe zu produzieren; Rußland und China wollen den Krieg verhindern. Aus Deutschland verlautet: der Iran bewege sich „in die falsche Richtung“, was meint, die derzeitige deutsche Regierung assistiert lieber den USA als den anderen.

Ein früherer Geheimdienstexperte des US-Militärs hatte Ostern in der Washington Post mitgeteilt, daß die USA derzeit unterschiedliche Pläne eines Iran-Krieges durchspielen, von Angriffen mit Raketen – die durchaus auch atomar bestückt sein können – bis zum Einmarsch von Bodentruppen. Derlei Pläne wurden bereits im Jahre 2002, das heißt bereits lange vor Beginn des Irak-Krieges, in Auftrag gegeben. Wenn inhaltliche Abfolgen etwas mit zeitlichen Abläufen zu haben, was zumindest unter der Perspektive von politischer Logik nicht ganz ausgeschlossen werden sollte, heißt dies: nicht die Kriegsdrohungen der USA und anderer sind die Folge der Eskalation des Streits mit dem Iran, sondern der Streit wurde zum Zaune gebrochen, um die seit vier Jahren in Arbeit befindlichen Kriegspläne in die Tat umzusetzen.

Das wirft auch ein nochmals deutlicheres Licht auf die Gesamtplanungen der Bush-Männer in der Region. Der Irak-Krieg sollte in der Tat den großen, direkten Militär- und politischen Stützpunkt der USA in der Region schaffen, von dem aus weitere Angriffe, so gegen den Iran und Syrien – hier werden die Spannungen ja auch regelmäßig auf einer bestimmten Mindesthöhe gehalten –, geführt werden können. Nun meinen manch militärisch-politische Kommentatoren, da der Irak-Krieg in ein Fiasko zu rutschen droht, dort bereits ein Bürgerkrieg entsteht und eine Stabilisierung offensichtlich in weiter Ferne liegt, sollten sich die USA mit dem Iran verständigen, um den Irak zur Ruhe kommen zu lassen. Das aber wäre aus Sicht des Bush II keine imperiale Stabilisierung, man wäre ja auf jemand anderen angewiesen, den man außerdem haßt. Also wird das Gegenteil getan, der Konflikt eskaliert und regional ausgeweitet. Das hatten die USA übrigens schon einmal gemacht: als sie sahen, daß sie den Vietnam-Krieg nicht gewinnen können, weiteten sie ihn auf Laos und Kambodscha aus. Das hatte sie aber nicht davor bewahrt, am Ende geschlagen abziehen zu müssen. Aber es hatte die Zahl der Opfer deutlich erhöht.

Das derzeitige Vorgehen des Bush II ist analog dem zu Zeiten der Eskalation der Lage in Vorbereitung des Irak-Krieges. Damals war ja auch eine Lüge der anderen gefolgt, keiner der fingierten Kriegsgründe hatte sich am Ende als stichhaltig erwiesen, für keine hatte sich jener Oberste Kriegsherr entschuldigt, aber am Ende erklärt, nun sei der Diktator gestürzt, die Demokratie werde eingeführt, und das sei ja auch ein schönes Ergebnis. Außerdem dürften die USA ihr Gesicht nicht verlieren, und deshalb könnten sie nicht abziehen. Letzteres fanden auch in Deutschland etliche Politiker, die zuvor den Irak-Krieg abgelehnt hatten, weil: Treue muß sein. Das Hauptcharakteristikum der US-Rabulistik ist die „Beweislastumkehr“: nicht der Ankläger – hier also die USA – muß beweisen, daß der Iran etwas Rechtswidriges tut, sondern der Iran müsse beweisen, daß er nichts tut, und zwar indem er überhaupt auf Urananreicherung verzichtet. Daß er das Recht auf friedliche Nutzung der Kernenergie hat, wird dabei schlicht ausgeblendet. Und wenn der Iran die Frorderungen der USA nicht erfüllt, werde er militärisch angegriffen.

Damit sind wir bei einer nächsten Stufe der Abschaffung des nach 1945 geschaffenen Staaten-Völkerrechts und seiner Ersetzung durch das „Recht des Stärkeren“, das mit demokratisch oder menschenrechtlich kaschierter Selbstermächtigung einhergeht. Das ist die Imperien eigene Vorgehensweise. Das Römische Reich ging grundsätzlich davon aus, daß seine Kriege „gerecht“ seien (bella iusta), weil die Pax Romana, der vom Reich der erreichbaren Welt nach seinem Gusto oktroyierte Friede, die natürliche Ordnung der Welt sei. Deshalb war jeder Krieg gegen das Imperium ein „ungerechter“ Krieg (bella iniusta), was die Herren des Reichs auch zu den drastischsten Maßnahmen ermächtigte; am Ende wurde das einst reiche Karthago dem Erdboden gleichgemacht. Durch das christliche Mittelalter geisterte die Idee des „gerechten Krieges“ dann als der Krieg, nicht für das Imperium, sondern im Sinne Gottes. (Im Leninismus wurde daraus dann bekanntlich der „gerechte“ Krieg im Dienste der Arbeiterklasse, und der jeweilige Generalsekretär entschied, was denn das Gerechte daran sei.) Da hier die Ermessensgründe sich jeweils gegenseitig ausschließen bzw. in die Willkür des Kriegsherrn gegeben sind, schlug Immanuel Kant in seiner berühmten Schrift Zum ewigen Frieden vor, eine internationale Rechtsordnung zu schaffen, die den Frieden sichert. Im 5. Präliminarartikel lehnte er die gewalttätige Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates ausdrücklich ab: „Kein Staat soll sich in die Verfassung und Regierung eines andern Staates gewalttätig einmischen.“

Dieses Herangehen wurde dann auch die Grundlage der UNO-Charta. Dort heißt es im Artikel 1, daß es Ziel der Vereinten Nationen ist, „den Weltfrieden und die internationale Sicherheit aufrechtzuerhalten“ sowie „freundschaftliche Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln, die auf der Achtung des Prinzips der Gleichberechtigung und des Selbstbestimmungsrechts der Völker beruhen“. Art. 2 umreißt die Grundsätze, um die Ziele aus Art. 1 zu realisieren. Dazu gehören der „Grundsatz der souveränen Gleichheit“ aller Staaten sowie die Regelung ihrer „internationalen Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln“. Imperiale Politik überhaupt und imperiale Politik des Krieges sind in allem das Gegenteil dessen. Die Verteidigung des Friedens ist Tagesaufgabe, auch wenn uns das Mullah-Regime zutiefst fremd ist.

Immanuel Kant betonte, daß die rechtliche Ordnung nicht von der moralischen Besserung der Menschen abhängen dürfe, sondern selbst „für ein Volk von Teufeln (wenn sie nur Verstand haben)“ als Konsequenz einen Friedenszustand haben muß. Jetzt wäre über den Geisteszustand der beteiligten Teufel zu reden.

Quelle: Das Blättchen, Berlin, No. 9 vom 2. Mai 2006

Siehe auch: In tempore belli (I)


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