Quadratur des Kreises
"Eine in Deutschland lebende iranische Abtrünnige" beschreibt die Grundlagen der Staats- und Rechtsauffassung ihres Landes
Vorbemerkung der AG Friedensforschung
Die im Folgenden in einer Kurzfassung dokumentierte Abhandlung ist uns von der Verfasserin mit der Bitte übermittelt worden, sie im Rahmen unserer Berichterstattung über den Iran zu veröffentlichen. Die Langfassung, in der Ausrisse aus wichtigen Dokumenten entthalten sind (z.B. die Präambel der iranischen Verfassung, andere Teile der Verfassung, in denen die Rechte des Volkes beschrieben sind, die "Kairoer Menschenrechtserklärung" aus dem Jahr 1990) kann als pdf-Datei heruntergeladen werden: "Quadratur des Kreises" (pdf-Datei)
Quadratur des Kreises
Von Afsane Bahar *
Durch die umstrittenen Präsidentenschaftwahl en 2009 im Iran tauchte erneut die in sich widerspruchsvolle Frage auf, ob die Menschenrechte in diesem theokratischen
Staat zu verwirklichen seien. Außerdem entstand bei einigen Beobachtern des politischen Geschehens die Wunschvorstellung, Mousavi und seine „grüne“
Wahlkampagne könnten grundlegende Veränderungen herbeiführen. Beide
Punkte beruhen auf schmerzlichen Kenntnislücken bezüglich der iranischen
Gesellschaft. Ein wesentlicher Aspekt beinhaltet hierbei die iranische Verfassung und die Staatsräson.
Im vorliegenden Artikel erfolgt eine Durchsicht der iranischen Verfassung, die in ihrer aktuellen Version mit den entsprechenden Begriffserläuterung in deutscher Sprache
im Netz zugänglich ist. Das Ziel ist, die ideologische Grundlage der im Namen
Allahs im Iran ausgeführten Verbrechen und Gräueltaten zu veranschaulichen, wobei längere Darstellungen und Erklärungen aus der Sicht der Herrschenden erfolgen. Die international anerkannten Dokumente über die Menschenrechte sowie weitere Informationsmaterialien sind zum Vergleich ebenfalls im Netz zu lesen.
Um den Lesefluss nicht zu stören und gleichzeitig bei diesem heiklen Thema
Fehldeutungen zu vermeiden, wurden mehrere, längere Fußnoten hinzugefügt,
deren Lektüre als untrennbaren Teil dieser Schrift dringend empfohlen wird. Als eine in Deutschland lebende iranische Abtrünnige (Apostasie: Abfall vom Glauben)
musste die Verfasserin ein Pseudonym benutzen.
In der Präambel der iranischen Verfassung werden zunächst die Entwicklung der
iranischen Gesellschaft, der Sturz des Schah-Regimes und die Gründung der
Islamischen Republik Iran dargestellt. Bereits hier ist ein enger Blickwinkel zu
verzeichnen. Der Kernpunkt der Staatsräson ist die göttlich legitimierte Berechtigung der schiitischen Geistlichkeit zur Führung der Massen. Es wird gleichzeitig der internationale Charakter der islamischen Revolution betont, die eine entsprechende Weltgemeinschaft errichten soll. Bezeichnenderweise ist die Rede in der Präambel nicht von der iranischen Nation oder dem iranischen Volk sondern von dem „islamischen Volk“.
Die Scharia
In der „Kairoer Erklärung der Menschenrechte“ wird wiederholt auf die Scharia
hingewiesen. Zum besseren Verständnis wird hier als Überblick auf die Scharia
angegangen.
Muhammad propagierte in der damaligen arabischen Gesellschaft Werte und
Normen, die teilweise echte Neuerungen waren und im Gegensatz zum
altarabischen Gewohnheitsrecht standen (s. z.B. Sure 17, Vers 31 über das
Vergraben von neugeborenen Mädchen), teilweise Kompromisse mit angestammten
Recht darstellten (s. z.B. Sure 4, Vers 3 über Polygamie oder Sure 2, Vers 178 und 179 über Polygamie und Blutrache). Außerdem standen die Bestimmungen des
Korans auch unter dem Einfluss des iranischen, jüdischen und römischen Rechts.
Glaube, Gesellschaft und Kriegführung bildeten im frühen Islam eine Einheit dar.
Diese Einheit wiederspiegelte sich in Muhammad als Propheten, Gesetzgeber und
Heerführer. Deshalb vereint auch das islamische Recht religiöse und
gesellschaftliche Bereiche. Die Scharia beinhaltet sämtliche Regelungen für alle
Lebensbereiche, die mit dem Islam begründet werden. Sie umfasst die
entsprechenden Angaben im Koran und in der islamischen Überlieferung („hadith“)
sowie deren Interpretation durch maßgebliche Theologen. So erhält jeder Muslim
Anweisungen für das ethische Verhalten in Familie und Gesellschaft sowie für die
Glaubensausübung.
Trotz kritischer Stimmen in der islamischen Welt hat sich an der Theorie der
unumstößlichen Autorität der Scharia als Gottesgesetz wenig geändert. Auch in
säkular orientierten Staaten islamischer Herkunft ist die Scharia im Alltag der
Menschen in vielen Bereichen zu spüren. Der Begriff Scharia bedeutete ursprünglich „Weg zur Tränke“. Im Islam im Sinne von „Unterwerfung“ und „Hingabe“ wird der Mensch von Gott den rechten Weg geleitet. Aus ihrer anfänglichen „Rechtleitung“
entwickelte sich die Scharia im weiteren Verlauf zu einem Synonym für
„Gottesgesetz “.
Da die Scharia als Gott gegeben betrachtet wird, kann sie prinzipiell nicht hinterfragt
oder reformiert werden. Der Islam soll ja am Ende aller Zeiten die einzige Religion sein und die Scharia wird dann über alle Menschen aufgerichtet. Sie setzt Normen
für alle Bereiche des Lebens: ein säkularer von der Religion abgetrennter Bereich
existiert hier nicht. Die Scharia stellt einen wesentlichen Bestandteil der islamischen
„Heilsbotschaft“ dar. Deshalb ist es zu tiefst widersprüchlich, wenn man sich zum
Islam bekennt, ohne das Gottesgesetz in seiner Gesamtheit zu bejahen und als
Maßstab zu beachten.
Es soll berücksichtigt werden, dass die Scharia kein kodifiziertes Gesetzbuch,
zusammengefasst in einem Werk, ist. Sie beruht auf drei Quellen: dem Koran, der
Überlieferung („hadith“: Erzählungen über Muhammad und seine Gefährten) sowie
den weitgehend als normativ anerkannten Auslegungen frühislamischer Geistlichen.
Das wesentliche Problem hier ist, dass alle drei Quellen interpretierbar sind und zum Teil widersprüchliche Angaben enthalten.
Bereits zur Zeit der ersten vier Kalifen erfolgten die Eroberungen der Araber. Bis zum Ende des 8. Jahrhunderts n. Christus gab es keine islamische Rechtslehre („fiqh“).
Erst im weiteren Verlauf bis zum Beginn des 10. Jahrhunderts entstand ein
rechtliches Regelwerk. Bereits im 9. Jahrhundert wurden zwei Verfahren als weitere Quellen der Rechtsfindung anerkannt: „ijma‘“, d.h. Übereinstimmung der Gelehrten („ulama“) in einer bestimmten Frage und „qiyas“, d.h. Anal ogieschluss. Nach dem 10. Jahrhundert wurde auch eine Weiterentwicklung des islamischen Rechts durch selbständige Rechtsfindung („ijtihad“) gefordert.
Die erwähnten Interpretationsmöglichkeiten bedeuten jedoch nicht, dass die Scharia
eine verschwommene Größe ist, die inhaltlich nicht fassbar wäre. Gerade über Ehe-,
Familien- und Strafrecht liefern der Koran und die Überlieferung relativ detaillierte
Angaben, so dass die Auslegungsmöglichkeiten begrenzt sind.
"Anstelle einer Zusammenfassung"
Gott, du Erbarmer! Ich konnte nichts dagegen unternehmen, als ich in einer
muslemischen Familie im Iran geboren wurde. Ich kann auch nichts dagegen tun,
dass meine Gedanken und Taten immer noch mit diesem Land verbunden sind und
trotz des langen Aufenthalts im Ausland an den Freuden der iranischen Kinder,
Frauen und Männer Freude empfinde und bitterlich weine, wenn sie von Trauer
heimgesucht werden.
Du Barmherziger! Wann werde ich ohne Angst vor physischer und psychischer
Gewaltanwendung mich über dich und das Siegel deiner Propheten kritisch äußern
können, ohne „die Heiligkeit und Würde des Propheten zu verletzen, die moralischen und ethischen Werte auszuhöhlen und die Gesellschaft zu entzweien, sie zu korrumpieren, ihr zu schaden oder ihren Glauben zu schwächen “?
Du Allwissender! Wann werde ich ohne Angst, als „Verderberin auf Erden“ oder
„Ketzerin“ abgestempelt zu werden und somit deinem Zorn und einer Bestrafung
durch die „unbekannten Soldaten“ deines verborgenen 12. Imam ausgesetzt zu sein
- die sich ja im In- und Ausland Blutbäder geleistet haben –, dich und deine Lehre in Frage stellen?
Du Allmächtiger! Wann werde ich auf die Benutzung eines Pseudonyms bei
SChilderung meines Standpunktes über dich und deine Vertreter verzichten können?
Hier geht es zum ganzen Artikel:
(pdf-Datei).
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