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Schlimmer als Krieg gegen Afghanistan und Irak

US-Expertenanalyse warnt vor Angriff auf Iran. Netanjahu inszeniert "Abweisung" durch Obama

Von Knut Mellenthin *

Ein Krieg gegen Iran würde die USA personell und materiell stärker beanspruchen als ihre Kampfhandlungen in Afghanistan und im Irak. Zu diesem Ergebnis kommt nach Meldungen der Nachrichtenagentur AP eine US-amerikanische Analyse, die am Donnerstag veröffentlicht werden sollte. Als Herausgeber der Studie zeichnen mehr als 30 ehemalige Politiker, Diplomaten und hochrangige Militärs. Unter ihnen sind Brent Scowcroft, Nationaler Sicherheitsberater von Präsident George H.W. Bush in den Jahren 1989 bis 1993, Richard Armitage, stellvertretender Außenminister unter George W. Bush von 2001 bis 2005, sowie die früheren Senatoren Sam Nunn und Chuck Hagel. Mit Marinegeneral Anthony Zinni und Admiral William J. Falton gehören auch zwei ehemalige Chefs der Streitkräftekommandos Mitte zu den Herausgebern der Studie.

Hier geht es zur Studie im Original:

Weighing Benefits and Costs of Military Action Against Iran [pdf, externer Link]



Die hochkarätige Gruppe warnt, daß ein Krieg, der sich auf Luftangriffe, verdeckte Operationen, Einsätze von Spezialkommandos und den sogenannten Cyber War beschränkt, das iranische Atomprogramm nur um maximal vier Jahre verzögern, aber nicht nachhaltig zerstören könnte. Ein derart begrenzter Krieg werde vermutlich auch nicht zu einem Zusammenbruch des derzeitigen Herrschaftssystems oder zu dessen Kapitulation führen.

Um weitergehende Ergebnisse zu erreichen, wären nach Ansicht der Verfasser der Studie Bodenoperationen großen Stils und die Besetzung des gesamten Iran oder zumindest großer Teile erforderlich. »Aufgrund der beträchtlichen Größe des Landes und seiner Bevölkerung sowie der Stärke des iranischen Nationalismus schätzen wir ein, daß die Besetzung Irans einen Einsatz von Ressourcen und Personal erfordern würde, die über das hinausgehen würden, was die USA im Verlauf der vergangenen zehn Jahre in den Irak- und Afghanistan-Kriegen aufgewendet haben.«

Die israelische Regierung unternimmt seit Monaten größte Anstrengungen, um Barack Obama zu einer Verpflichtungserklärung für einen solchen Krieg spätestens im Frühsommer 2013 zu drängen. Immer noch ungeklärt ist, ob Premierminister Benjamin Netanjahu diese Forderung dem US-Präsidenten Ende des laufenden Monats oder Anfang Oktober persönlich vortragen kann.

Zwar hatte Netanjahus Büro Anfang der Woche anonyme Klagen gegenüber Medien ausgestreut, daß Obama sich weigere, mit dem israelischen Regierungschef zusammenzutreffen, wenn dieser sich am 27. und 28. September anläßlich der UN-Vollversammlung in New York aufhält. Sprecher Obamas verwiesen indessen darauf, daß der Präsident nur am 24. und 25. September in New York sein werde. Offenbar hatte Netanjahu gar nicht erst den Versuch unternommen, die Terminpläne rechtzeitig aufeinander abzustimmen. Nach Angaben des Weißen Hauses gab es auch niemals eine israelische Anfrage, ob die beiden Politiker sich anschließend an Netanjahus Auftritt bei den Vereinten Nationen in Washington treffen könnten.

Vermutlich strebt der israelische Premier mit dieser Inszenierung an, seinem Freund Mitt Romney Wahlkampfmunition für dessen Daueranschuldigung zu liefern, daß Obama Israel, »den treuesten Verbündeten der USA«, im Regen stehenlasse. Gleichzeitig unterstreicht Netanjahu damit seine Behauptung, Israel habe keinen einzigen zuverlässigen Freund auf der Welt und müsse sich folglich »alle militärischen Optionen offenhalten«.

* Aus: junge Welt, Freitag, 14. September 2012


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