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Iran vs. Saudi-Arabien:

Machtverschiebung in der OPEC

Von Flynt Leverett und Hillary Mann Leverett *

Eine der interessantesten Entwicklungen des letzten Monats in den politischen Machtkämpfen am Persischen Golf fand nicht im Nahen Osten selbst, sondern in Wien, Paris und Washington statt. Diese westlichen Städte waren der Schauplatz einer Reihe von Auseinandersetzungen, die einiges über das sich verlagernde Mächtegleichgewicht unter den größten Ölproduzenten des Nahen Ostens – unter ihnen Iran und Saudi-Arabien - verrieten. Insbesondere haben diese Auseinandersetzungen gezeigt, wie Saudi-Arabiens aktuelle Strategie in der Region – die wir an anderer Stelle als „konterrevolutionär“ bezeichnet haben – die Position des Königreichs schwächt.

Saudi-Arabien kam nach Wien zur OPEC-Sitzung des letzten Monats der Minister mit der Absicht, die Gruppe der Ölproduzenten zu einer Erhöhung des Förderungsquoten der Mitgliedsstaaten zu bewegen, um den Ölpreis weltweit zu senken. Die Saudis pflegen seit langem eine konservativere Sicht auf die Preiselastizität der Nachfrage nach Rohöl als ihre OPEC-Partner. Unter den aktuellen Umständen jedoch hat das Königreich eine Reihe von anderen Gründen, um eine Senkung der Ölpreise herbeizuführen – ein Anliegen, dem die USA und andere westliche Staaten eifrig entgegenblickten.

Neben anderen Überlegungen stellt eine Senkung des Ölpreises aus der Sicht Riads eine Möglichkeit des wirtschaftlichen Drucks auf die Islamische Republik dar. Von diesem Standpunkt aus gesehen ist ein Blick auf eine Rede nützlich, die Prinz Turki al-Faisal (Saudi-Arabiens ehemaliger Geheimdienstchef und Botschafter in den Vereinigten Staaten, er ist uns als hochbegabter Diplomat, Stratege und Verteidiger der Interessen des Königreichs und seiner regionalen Position bekannt) im letzten Monat bei einem nicht-öffentlichen Treffen US-amerikanischer und britischer Militäroffiziere auf einem NATO-Stützpunkt im Vereinigten Königreich gehalten hat. Laut „Wall Street Journal“, das ein Papier mit den Ausführungen Turkis erhalten hat, berichtete der Prinz seiner Zuhörerschaft, dass „Iran im Öl-Sektor sehr verletzbar ist und es diese Stelle ist, an der mehr getan werden kann, um die aktuelle Regierung unter Druck zu setzen.“ Turki formulierte es noch schärfer: „Saudi-Arabien hat so viele Reservekapazitäten in seiner Produktion, fast vier Millionen Barrels täglich, dass wir fast augenblicklich Irans Ölproduktion ersetzen könnten.“

Nebenbei hofften saudische Offizielle offenkundig, dass sie es durch die Bewegung der OPEC zur Steigerung ihres Förderungsquote möglicherweise schaffen könnten, Iran von seinem langjährigen zweiten Platz (nach Saudi-Arabien) bei den größten Erdölförderen zu stoßen. Iran hat aktuell in seiner Förderkapazität wenig schnell einspeisbare Überschüsse, um Vorteile aus einer Erhöhung der eigenen Quote zu ziehen. Sollte die OPEC einer Erhöhung der Förderquote zustimmen, könnten demnach Saudi-Arabien und seine Verbündeten argumentieren, dass die Erhöhung, die die Iraner leisten sollen, auf andere Mitglieder verteilt werden muss – Mitglieder, die tatsächlich in der Lage sind, diese Lücke zu schließen. Das würde eine große symbolische Niederlage für die Islamische Republik darstellen, und was ebenso wichtig ist: Es wäre eine Niederlage, die Teheran von Saudi-Arabien auferlegt werden würde.

Verständlicherweise kam die Islamische Republik zum OPEC-Ministertreffen mit der Absicht, diese Dinge zu verhindern. Durch die lange anerkannte Führerrolle des Königreichs Saudi-Arabien in der OPEC nahmen die meisten westlichen Experten des Erdölmarkts an, dass Saudi-Arabien es schaffen wird, eine Erhöhung der Förderquote durchzusetzen. Viele Händler handelten entsprechend: Der über so genannte Termingeschäfte „in der Zukunft“ gehandelte Ölpreis ging in den Tagen vor dem Treffen nach unten. Das spiegelt die Stimmung des Marktes wider, der davon ausging, dass die OPEC sich auf eine Erhöhung der Quoten einigen würde und dadurch Saudi-Arabiens und anderer Mitgliedsstaaten die Weichen für eine Steigerung der Förderung zu stellen.

Aber sobald die OPEC-Minister mit den Verhandlungen in Wien begonnen hatten, nahmen die Dinge einen anderen Verlauf, als viele Experten und Händler es vorhergesagt hatten. Andere arabische Golfstaaten wie Kuwait unterstützten die Position Saudi-Arabiens. Um es aber auf den Punkt zu bringen: Die Islamische Republik hat in diesem Kräftemessen gesiegt. Mit der starken Rückendeckung Algeriens, Angolas, des Iraks und Venezuelas wies Iran die saudische Initiative zur Erhöhung der OPEC-Förderquote zurück. Irans OPEC-Chef Mohammed Ali Khatibi berichtete, dass die Saudis über das Ergebnis „sehr sauer waren“. Wird die öffentliche Bemerkung vom langjährigen Öl-Minister des Königreichs, Ali Naimi, berücksichtigt, dass das Juni-Treffen „eines der schlechtesten Treffen, das wir jemals hatten“ gewesen sei, so scheint die Aussage Khatibis recht plausibel.

In Folge des Treffens in Wien kündigte Saudi-Arabien an, dass es seine eigenen OPEC-Quoten mit einer unilateralen Produktionssteigerung von knapp neun Millionen Barrels pro Tag (bpd) auf zehn Millionen bpd nach oben brechen wird. Das sollte auch einen Teil der Mengen von libyschem Öl kompensieren, das seit März auf dem Markt fehlt. Aber dann erklärte die Obama-Regierung gewissermaßen, dass sie kein Vertrauen darin habe, dass Saudi-Arabien in der Lage ist, den Markt unilateral zu leiten. Genauer gesagt arbeitete die US-Regierung mit verschiedenen europäischen Partnern und der Internationalen Energieagentur in Paris (IEA, die der OECD angegliederte Organisation von großen Erdölimportstaaten ist) zusammen, um eine Freisetzung von 60 Millionen Barrel Erdöl in einem Zeitraum von 30 Tagen aus den strategischen Reserven der USA und anderen Mitgliedern der Agentur einzufädeln.

Eine solche Freisetzung von Reserven seitens der IEA – vor allem wenn es so offenkundig zum Zwecke der Senkung der Preise und nicht als Antwort auf eine tiefgreifende Störung der globalen Ölversorgung geschieht – ist etwas, an dem kein OPEC-Mitglied interessiert sein kann, Saudi-Arabien eingeschlossen. Die Obama-Administration versuchte diese Freisetzung mit Saudi-Arabien vor der Ankündigung der Entscheidung der IEA zu koordinieren. Dennoch gibt es keinen Zweifel, dass das ein beschämendes Ergebnis für das Königreich war.

Es gibt eine Reihe von wichtigen Folgerungen, die aus diesen Vorfällen geschlossen werden kann. Wir möchten hier drei davon hervorheben.

Erstens hat Saudi-Arabien heute nicht mehr so viel „Marktmacht“ im Ölmarkt, wie es sie einst gehabt hat. Zweifelsfrei behält das Königreich die Fähigkeit, eine bestimmte Preisgrenze für Rohöl zu verteidigen. Aber seine Fähigkeiten, die Preise herunterzuschrauben – was genau das ist, was für die USA und andere Hauptkonsumenten von Öl wirklich wichtig ist – ist signifikant gesunken.

Mit Blick auf die akute Herausforderung, die Förderverluste zu ersetzen, die aus dem von der Obama-Regierung schlecht durchdachten, von Europa durchgeführten und von Saudi-Arabien unterstützten Missgeschick in Libyen entstanden, bleibt die IEA-Geschäftsführung öffentlich zuversichtlich, dass das Königreich seine Förderung steigern wird, selbst nach der Entscheidung der Agentur, seine Reserven freizusetzen. Nach dieser Ankündigung der IEA sprach ein Gutachten von Analysten des Ölmarkts jedoch davon, dass die meisten denken, dass Saudi-Arabien seine Öl-Förderung nur auf etwa 9,5 bpd und nicht auf 10 bpd steigern wird. Lässt man die Kommentare Turkis bzgl. der Fähigkeit Saudi-Arabiens, die komplette iranische Öl-Produktion ersetzen zu können, einmal beiseite – diese Darstellung der Überschusskapazitäten des Königreichs deckt sich mit Einschätzungen von Industrieexperten –, so scheint es, dass Riad letztendlich nicht wirklich darauf vorbereitet ist, diese Kapazitäten für den Ausgleich der fehlenden libyschen Förderung zu nutzen.

Das bringt uns zum zweiten Punkt. Es ist unklar, warum irgendein rationaler Akteur auf dem Markt freiwillig auf Saudi-Arabien setzten sollte, um die Mengen aufzuwiegen, mit denen Iran momentan den internationalen Erdölmarkt beliefert. Aber es ist genau das, wozu Dennis Ross und seine Kollegen aus der Obama-Regierung, die ebenso wenig Ahnung über die Realitäten des Öl-Marktes zu haben scheinen wie er, China und andere wichtigen Öl-Importeure bewegen wollen. Wir können uns nicht vorstellen, dass China wissentlich so einem Plan folgen würde.

Drittens deutet Irans Fähigkeit, mit dem Irak in Fragen der OPEC-Förderquoten zu kooperieren, darauf hin, dass die Szenarios, die zunehmende Meinungsverschiedenheiten in puncto Öl-Förderung zwischen Teheran und Bagdad heraufbeschwören, nicht auf Fakten beruhen. Mit dem Blick in die Zukunft erwarten wir, dass der Irak in der Nach-Saddam-Ära weiterhin viel mehr Gemeinsamkeiten mit der Islamischen Republik haben wird als mit Saudi-Arabien – sei es in Öl-Angelegenheiten oder in anderen Fragen.

Zurück zu unserer anfänglichen Beobachtung, dass Saudi-Arabiens momentane Strategie für die Region tatsächlich der Position des Königreichs schadet. In unseren Karrieren im Dienste der Regierung und danach haben wir niemals das „Saudi-Bashing“ gefördert, eher im Gegenteil. Wir haben an anderer Stelle betont, dass Saudi-Arabien kein „natürlicher“ Staat wie Iran, die Türkei oder wie - um ein arabisches Beispiel zu nennen - Ägypten ist. Aber im Gegenteil zu anderen arabischen Ländern wurde Saudi-Arabien nicht von ausländischen Mächten gegründet. Es war eher eine Gründung seitens einheimischer Kräfte, einer einheimischen Dynastie (die Familie Al-Saud), mit einer einheimisch entwickelten Ideologie (eine besondere Form des Islams, die aus der religiösen Erweckungsbewegung Mohamed ibn Abd al-Wahhabs im 18. Jahrhundert entstand).

Diese Charakteristiken machen aus Saudi-Arabien einen eindrucksvollen selbstständigen politischen Akteur. Aus diesen und weiteren Gründen erwarten wir nicht, dass sich das Königreich den Forderungen des „Arabischen Frühlings“ nach einem grundlegenden politischen Wandel verfangen wird. Aber wir glauben, dass Iran dabei ist, den Kampf um die regionale Öffentlichkeit - und zunehmend auch um die Regierungen - für seine Positionen zu gewinnen. Saudi-Arabien dagegen verfolgt momentan eine Strategie, die immer mehr von den Sentiments in der Region abweicht. Die Strategie mag manch einen taktischen Sieg für das Königreich hervorbringen. Aber auf lange Sicht gesehen wird eine Strategie, die mit der öffentlichen Meinung in der Region im Konflikt steht, langsam aber sicher die Fähigkeit des Königreichs mindern, andere für seine Seite zu gewinnen. Dies könnte die wichtigste Lehre sein, die sich aus dem OPEC-Treffen im letzten Monat ziehen lässt.

* Quelle: Website von "Irananders", 18. Juli 2011; http://irananders.de

Originalartikel: "The Race for Iran", 4. Juli 2011, www.raceforiran.com; übersetzt von Mahmoud Ayad / Redigiert von Shayan Arkian


Die OPEC

Mitgliedsstaaten der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) sind:
In Afrika:
  • Algerien (seit Juli 1969)
  • Angola (März 2007)
  • Libyen (Dezember 1962)
  • Nigeria (Juli 1971)
Im Nahen Osten:
  • Irak (September 1960)
  • Iran (September 1960)
  • Katar (Dezember 1961)
  • Kuwait (September 1960)
  • Saudi-Arabien (September 1960)
  • Vereinigte Arabische Emirate (März 1967)
In Lateinamerika:
  • Ecuador (November 2007)
  • Venezuela (September 1960)
Das Kartell fördert etwa 40 Prozent der weltweiten Erdölproduktion und verfügt über drei Viertel der weltweiten Erdölreserven. Allerdings sind von den 10 größten Förderländern nur fünf in der OPEC. Russland, USA, China, Kanada und Mexiko (Platz 1, 3, 5, 6 und 7 der Rangliste) gehören der OPEC nicht an.
Info: Wikipedia




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