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Endspiel

Im Streit mit Iran werden Satellitenbetreiber zu Konfliktparteien

Von Fabian Köhler *

Weltweit nehmen Satellitenbetreiber iranische Staatsmedien vom Netz. Was Einzelfälle sein sollen, entlarven geheime Regierungsdokumente als gezieltes Vorgehen gegen die Medienfreiheit.

Es ist bei weitem nicht der größte Fan von Esteghlal Tehran, der da über die Sofalehne hechtet. Die Polster von Ahmads massigem Körper pressen gegen jene des Zweitsitzers. 0:1 liegt da der iranische Rekordmeister schon zurück. Die Fußballspiele sind Ahmads Entspannungsritual. Das Geschrei des Fußball-Kommentators ist seine Wohlfühlmusik. Wäre da nicht der Livestream auf seinem Notebook: Der stockt, lädt, verpixelt. Ahmads entspanntes Seufzen wandelt sich in Stöhnen: »Schon wieder«. Der Grund: Die zuständige Medienaufsichtsbehörde hat die Ausstrahlung des TV-Senders verboten. Seitdem schaut Ahmad Fußballspiele auf dem PC.

Ahmad Rezas [*] Fernseher füllt eine Schrankwand in einer Berliner Zweizimmerwohnung. 700 Kanäle protzen im Suchlauf. Die meisten aus Ahmads Heimat fehlen. Satellitenbetreiber nahmen in den letzten Monaten 19 Sender der staatlichen iranischen Rundfunkgesellschaft IRIB vom Netz: Eine Art islamisches Bibel-TV. Ein Sender für Telenovelas und Spielshows. Das persische Gegenstück zu Al-Jazeera in himmelblau. Im Januar 2012 untersagte die britische Medienaufsichtsbehörde Ofcom die Übertragung des Aushängeschildes von IRIB, des Auslandsnachrichtensenders Press TV. Drei Monate später folgte ihr die Bayerische Landeszentrale für Neue Medien. Im Oktober strich der französische Satellitenanbieter Eutelsat sämtliche iranische Staatssender aus dem Programm. Bis heute hält die Abschaltungswelle an: Astra in Deutschland, Intelsat in Luxemburg, Hispasat in Spanien, Asia Satellite in Hongkong, Nilesat in Ägypten. Monatlich wird die Liste länger.

Kein Fußball wegen Atomprogramm

Auf Facebook ist Ahmad einer Unterstützergruppe beigetreten: »Stoppt den Krieg gegen die Redefreiheit - Rettet Pess TV«. Ein Freund habe ihm die Einladung geschickt. Der 35-jährige Netzwerkadministrator will ansonsten »lieber nichts mit Politik zu tun haben«. Sein Zugang zum Thema ist die Couch. Man sieht beiden die wechselseitige Gewöhnung an: Gummischlappen, Trainingshose, Krümel in der Ritze. Bücher über religiöse Erziehung stehen im Regal. Daneben: Guiness Book of World Records, Ausgabe 2003-2008. Ahmads Welt sind 45 Zoll in HD. 5.1 Dolby Digital. Pressefreiheit? »Eigentlich nicht so mein Ding«, sagt er.

»Das Ding« von Eutelsat ist es wohl auch nicht: IRIB beschuldigt den französischen Satellitenbetreiber, hinter der Abschaltungswelle zu stecken. Er soll Druck auf Konkurrenten ausgeübt haben. Über das Kölner Eutelsat-Büro landet man bei einer Gummersbacher Marketingfirma. Diese verweist an eine Kollegin in Paris. Äußern will sich keiner. Stattdessen ein knappes Schriftstück: »Sanktionen des EU-Rates« steht dort ganz am Ende. In den Maßnahmen, mit denen vorgeblich Iran zum Einlenken im Atomprogramm bewogen werden soll, findet sich nur eine Erwähnung von IRIB. Am 23. März 2012 wurde dessen Vorsitzender Ezzattolah Zarghami in die Liste sanktionierter Personen aufgenommen. Konten wurden eingefroren. Die Einreise in die EU verwehrt.

»Was hat Fußball mit dem iranischen Atomprogramm zu tun?«, fragt Ahmad. Seine Augen reißt er auf, als hoffe er tatsächlich auf Antwort. Ein Spieler von Esteghlal Tehran köpft zum 1:1. Mit seinem Vater und zwei Brüdern besuchte er früher die Spiele des Hauptstadtclubs. Statt Toren fielen irgendwann Bomben. »Na einfach so« verließ Ahmad Ende der 80er seine Heimat. »Es war halt Krieg«, sagt er, als spreche er von einem belanglosen Fußballspiel der gegnerischen Mannschaft, »die eben mal wieder unterlegen war«. Verboten war der Empfang von Satellitensendern in Iran schon damals. Die wenigsten Iraner interessiert das. Westliche Sender wie BBC Persia oder Voice of Amerika sind allgegenwärtig. Eine Regenplane verdeckt die Satellitenschüssel von Ahmads Cousin vor den Blicken der Polizei. Bei anderen steht sie nach außen unsichtbar im Hof des Hauses. Nein, es seien »keine iranischen Verhältnisse«, wehrt sich Ahmad. Er kennt die Frage schon. »Bei uns zahlst du ein paar Rial Strafe und lässt die Schüssel im Hof stehen.« Wann habe außerdem ein iranischer Moderator »zum Sturz Merkels aufgerufen?« BBC Persia, sagt er, habe hingegen »zur Präsidentschaftswahl in Iran 24 Stunden am Tag Bilder von Demonstrationen« gesendet.

Sanktionen gegen die Pressefreiheit

Irans BBC heißt Press TV. 400 Mitarbeiter. Korrespondenten von Washington bis Gaza. Das Aushängeschild der iranischen Rundfunkgesellschaft ist am stärksten von den Sanktionen betroffen. Dem Bild vom iranischen Schurkenstaat wolle man die »andere Seite der Geschichte« entgegen setzen. Ein Korrespondent interviewt streikende Busfahrer in Athen. In einer Talkrunde diskutieren Buddhisten und Muslime über religiöse Gewalt in Birma. Eine Eilmeldung informiert über den Stand eines Treffens der EU-Finanzminister zur Zypern-Krise. Dazwischen iranische Polit-Folklore: Eine neue Drohne der iranischen Armee wird vorgestellt, »mit der Iran seine militärische Überlegenheit weiter ausbaut«. Aber auch Beiträge über Forderungen der Opposition. Deutliche Kritik an der Wirtschaftspolitik des Präsidenten. Im Wesentlichen orientiert sich Press TV an jenem Ideal, dass einst die BBC auszeichnete: Zu fast jedem umstrittenen Thema wird ein Vertreter der Gegenmeinung geladen. Selbst zu seinem eigenen Verbot sucht der Sender die Kontroverse: »Mullah-Propaganda« und »Terrorgruppen, die weltweit im Auftrag des Regime morden«, erregt sich der amerikanische Nahost-Lobbyist. Am Bildrand tickert der Titel der Sendung: »Krieg gegen die Pressefreiheit«.

Ein Sprecher der EU-Kommission stritt letztes Jahr politische Motive hinter der Abschaltung ab. Folge der Sanktionen sei dies nicht. Vertrauliche Regierungsdokumente legen das Gegenteil nahe: Am 4. Februar 2010 veröffentlichte das Enthüllungsportal WikiLeaks eine Botschaftsdepesche. Die liest sich wie die Gebrauchsanweisung zur Abschaltung des iranischen Staatsfunks: Möglichkeiten sollen ausgelotet werden, »Operationen von IRIBs Press-TV Angebot einzuschränken.« »Neue Wege, um das Problem zu lösen«, wurden gesucht. Die Depesche belegt den Wunsch der britischen an die amerikanische Regierung, »Eutelsat zu überzeugen, die Übertragung von IRIB zu beenden.« An anderer Stelle wird das britische Außenministerium noch deutlicher: »Weitere Sanktionen gegen Iran« seien nötig, um die Sender verbieten zu können. Zwei Jahre später kamen diese. Die Abschaltung begann.

Schah-Anhänger und Terrorgruppen

Die Entscheidung, Press TV zu verbieten, diene nur einem Ziel, sagt Ernest Sagaga vom weltweit größten Journalistenverband, der »Internationalen Journalisten-Föderation«, in einer Erklärung: »Sie schränkt die Quellen für Informationen für Menschen ein. Und das ist keine gute Sache.« »Schau mal, welche iranischen Sender ich immer noch empfange«, verlangt Ahmad und drückt die Taste auf der Fernbedienung. Mindestens 62 sind es in Ahmads Wohnung am Spreeufer - alle privat, einige davon besorgniserregend: Ein Sender der oppositionellen stalinistischen Volksmudschaheddin, die die EU lange Zeit als Terrororganisation einstufte. Ein Kanal exiliranischer Schah-Anhänger aus Los Angeles. »Ist das jetzt Pressefreiheit?«, fragt Ahmad. Diesmal wartet er nicht auf Antwort. Das 1:2 verpasst er trotzdem.

Mit Livestreams im Internet und der antiquierten Radioübertragung über Kurzwelle versucht IRIB zu retten, was nicht zu retten ist. »Das ist nicht dasselbe«, sagt Ahmad. »Wenn ich von meiner Couch Nachrichten sehen will, dann schalte ich doch eher schnell auf BBC, als den PC hochzufahren.« Er wolle jetzt aber Fußball gucken. Die Spieler von Esteghlal Tehran laufen da schon mit gesenktem Kopf vom Platz. Ahmad nimmt die Füße von der Couch, setzt sich breitbeinig hin und schaltet die verbliebenen Sender durch. »Was soll man sich aufregen? Ist doch nur Fußball«, flunkert er. Er weiß, dass das eigentliche Endspiel gerade erst begonnen hat. Die Mannschaft, mit der er tatsächlich mitfiebert, liegt jetzt schon uneinholbar zurück.

[*] Name auf Wunsch geändert.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 6. April 2013


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