Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Iranische Führung unter innenpolitischem Druck - können härtere Sanktionen Atomkompromiss erzwingen?

Von Alexander Lurz. Ein Beitrag aus der NDR-Reihe "Streitkräfte und Strategien" *


Moderation: Andreas Flocken:

Im Streit um das iranische Atomprogramm ist weiter keine Lösung in Sicht. Der Machtkampf im Iran hat die eh schon schwierige Lage noch weiter verkompliziert. Inzwischen werden die Weichen gestellt für weitere Sanktionen. Dabei wollte Präsident Obama einen ganz anderen Weg gehen als sein Vorgänger. Und noch Ende des Jahres gab es die Hoffnung auf eine Annäherung. Hören Sie Alexander Lurz:

Manuskript Alexander Lurz

Anfang Oktober trafen in Genf Vertreter der sogenannten 5+1-Gruppe mit Un-terhändlern des Irans zusammen. Die 5+1-Gruppe setzt sich zusammen aus den fünf Veto-Mächten des UN-Sicherheitsrates und der Bundesrepublik. Das Treffen selbst stellte einen ersten Erfolg für Präsident Obama dar, der die amerikanische Iran-Politik nach seiner Amtsübernahme neu ausgerichtet hatte.

Die Verhandlungen in Genf erzielten recht schnell erste Ergebnisse. Die iranische Delegation unter Leitung des Sekretärs des Obersten Nationalen Sicherheitsrates, Saeed Jalili, sagte zu, dass Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA eine Nuklearanlage in Fordo nahe Ghom kontrollieren könnten. Der Bau dieser Anlage zur Urananreicherung war erst kurz zuvor bekannt geworden und hatte erneut Befürchtungen genährt, dass der Iran heimlich am Bau von Atombomben arbeite. Darüber hinaus trafen sich Jalili und William Burns, der Leiter der amerikanischen Delegation, zu einem Vier-Augen-Gespräch. Bei der Zusammenkunft sprachen die beiden Unterhändler auch über Themen, die nichts mit dem Atomprogramm zu tun hatten. Damit ging die US-Regierung ihrerseits auf iranische Forderungen ein.

Präsident Obama bewertete den Verlauf der Genfer Gespräche damals vorsichtig optimistisch:

O-Ton Obama (overvoice)
"Dies ist ein konstruktiver Start, aber harte Arbeit steht noch bevor. Wir sind nun in einer Phase intensiver internationaler Verhandlungen. Reden ersetzt das Handeln nicht. Kooperationsversprechen müssen erfüllt werden."

Obamas Drängen auf konkrete Umsetzung bezog sich auch direkt auf die Schlüsselfrage der Verhandlungen: die Verschiffung eines Großteils des im Iran bislang niedrig angereicherten Urans ins Ausland.

Die Islamische Republik benötigt auf 20 Prozent angereichertes Uran, um in ihrem Forschungsreaktor in Teheran weiterhin radioaktive Isotope zur medizi-nischen Verwendung herzustellen. Im Juni vergangenen Jahres hatte sich der Iran an die IAEA mit der Bitte gewandt, einen Kauf des Materials auf dem Weltmarkt zu vermitteln. In Washington beschloss man daraufhin, die iranische Versorgungslücke als Druckmittel zu nutzen. Anstatt Teheran den Kauf zu ermöglichen, wurde die Idee geboren, niedrig angereichertes Uran aus iranischer Produktion zur weiteren Anreicherung ins Ausland zu verschiffen und anschließend zurückzugeben.

Der Iran erklärte sich in Genf hierzu im Prinzip bereit: Die dort beschlossene vorläufige Übereinkunft sah vor, dass der Iran den größten Teil seines niedrig angereicherten Urans zur weiteren Anreicherung nach Russland liefere. Im Anschluss daran sollte das Uran in Frankreich in Brennstäbe umgewandelt und von dort zurück in den Iran transportiert werden.

Die Obama-Administration und ihre Partner verfolgten mit diesem Plan ein doppeltes Ziel: Zum einen sollte auf diesem Weg Vertrauen geschaffen wer-den. Zum anderen - und das stand im Zentrum - sollte Iran eine Menge angereichertes Uran entzogen werden, die theoretisch und nach weiteren Schritten den Bau einer Atombombe ermöglichen könnte. Auf diesem Weg sollte die Zeit für eine grundsätzliche Lösung des Atomkonfliktes gewonnen werden, so die Überlegung in Washington.

Die vorläufige Zusage in Genf geriet im Iran jedoch unter scharfen Beschuss. Parlamentspräsident Ali Laridjani, der bis 2007 die Nuklearverhandlungen mit dem Westen geleitet hatte, wandte sich gegen die Übereinkunft. Der Westen, so Laridjani, wolle auf diesem Weg das iranische Uran "stehlen". Eine Reihe konservativer Abgeordneter des iranischen Parlaments kritisierte die Vereinbarung ebenfalls. Auch Mir Hussein Mussawi, einer der Führer der Opposition, äußerte sich ablehnend. Ihm zufolge würde die Übereinkunft die Arbeit und Leistungen Tausender iranischer Wissenschaftler zerstören. Ebenso wenig fand die Genfer Übereinkunft die Zustimmung des höchsten geistlichen Führers, Ayatollah Khamenei.

Die Kontroverse war nicht nur außenpolitischer Natur. Die innenpolitische Lage im Iran hat sich seit der Präsidentenwahl im Juni, bei der es offensichtlich zu Wahlfälschungen gekommen ist, nicht mehr beruhigt. Tiefe Gräben haben sich nicht nur zwischen dem Regime und einem großen Teil der Bevölkerung aufgetan, sondern ebenso innerhalb der herrschenden Elite.

Vor diesem Hintergrund wird der Streit um das Atomprogramm auch maßgeb-lich unter innenpolitischen Vorzeichen geführt. Für manchen Hardliner des Regimes käme eine Verständigung mit den USA zur Unzeit. Das Feindbild USA dient ihnen dazu, eigene Anhänger zu mobilisieren und die Opposition der Kooperation mit dem Westen zu bezichtigen. Hintertrieben wird eine Annäherung im Atomkonflikt jedoch auch von einer Vielzahl von oppositionellen wie auch systemtreuen Akteuren, die einen außenpolitischen Erfolg Ahmadinejads verhindern wollen, da ein solcher dessen Position stärken würde.

Der inneriranische Streit um die Genfer Übereinkunft verdeutlicht darüber hinaus eines: Das traditionelle System der Entscheidungsfindung in Teheran ist empfindlich gestört - wenn nicht gar zerstört - worden. Bis zum vergangenen Juni wurden außenpolitische Entscheidungen nach Einbeziehung und Anhörung einer Vielzahl von Akteuren getroffen. Die Risse innerhalb des Regimes verhindern dies nun.

Angesichts des innenpolitischen Widerstands rückte die Regierung Ahmadinejad von ihrer prinzipiellen Zustimmung zum Genfer Atomdeal wieder ab. Man lehnte nun die Verschiffung von Uran ab. Stattdessen machte die iranische Regierung das Angebot, eigenes, niedrig angereichertes gegen höher angereichertes Uran zu tauschen. Dies akzeptieren jedoch weder die USA noch die Regierungen in Berlin, London und Paris. Damit haben die westlichen Regierungen jedoch Wasser auf die Mühlen derjenigen in Teheran geleitet, die in dem amerikanischen Plan ohnehin nur den Versuch sehen, Iran um das angereicherte Uran zu bringen. Im Dezember ging Teheran in die Offensive. Außenminister Mottaki setzte dem Westen eine Frist bis Ende Januar, um auf das iranische Angebot einzugehen. Ansonsten werde man das Uran selbst weiter auf 20 Prozent anreichern.

Auf Mottakis Aussage hin verschärfte wiederum US-Außenministerin Clinton den Ton und erklärte am 4. Januar:

O-Ton Clinton (overvoice)
"Die Resultate unserer Anstrengungen, mit dem Iran in einen direkten Dialog zu treten, sind nicht ermutigend. Wir sind enttäuscht über die Antwort auf den Vorschlag zum Teheraner Reaktor. Die iranische Regierung hat ein Ultimatum verkündet, eine Frist, bis zu der sie eine positive Antwort auf ihr nicht akzeptables Gegenangebot erwartet... Also haben wir bereits mit unseren Partnern mit der Diskussion über Druck und Sanktionen begonnen. Ich kann zum Stand nur sagen, dass es unser Ziel ist, Druck auf die iranische Regierung und insbesondere die Revolutionsgarden auszuüben, ohne das die einfachen Iraner leiden, die Besseres verdienen als sie gegenwärtig erfahren."

Der Konflikt um das iranische Atomprogramm droht damit weiter zu eskalieren. Die von Clinton in Aussicht gestellten Sanktionen gegen Schlüssel-Akteure des Regimes folgen dabei einem doppelten Kalkül. Zum einen haben begrenzte Sanktionen eher Aussicht, eine breite internationale Unterstützung zu finden. Russland und vor allem China sprechen sich gegenwärtig gegen weitere Strafmaßnahmen aus. Ihre Mitwirkung an einer neuen UN-Sanktionsrunde gilt jedoch als zwingend notwendig, um die Entscheidungsprozesse in Teheran wirksam zu beeinflussen. Darüber hinaus zielen Sanktionen gegen die Revolutionsgarden und andere Stützen des Systems auf die innenpolitische Lage im Iran ab. Im Gegensatz zu breit angelegten Sanktionen wie einem Benzinembargo, das die iranische Bevölkerung treffen würde, soll ein zielgerichtetes Vorgehen gegen einzelne Elemente des Regimes verhindern, dass sich die Reihen im inneriranischen Machtkampf wieder schließen.

Ob dieses Kalkül aufgeht, ist allerdings fraglich. Sicher scheint aber: Eine neue Sanktionsrunde würde eine Annäherung, wie sie in Genf bereits möglich erschien, erst einmal wieder in weite Ferne rücken lassen.

* Aus: NDR-Sendereihe Streitkräfte und Strategien, 16. Januar 2010; www.ndrinfo.de


Zurück zur Iran-Seite

Zur Embargo/Sanktionen-Seite

Zurück zur Homepage