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Neue Sanktionen sollen Iran zur Kursänderung zwingen

UNO-Sicherheitsrat nahm Resolution an / Russland gegen "brüske, unüberlegte Gesten" / LINKE: Konflikt wird weiter befeuert

Im Atomstreit mit Iran hat der Weltsicherheitsrat neue Strafmaßnahmen verabschiedet. 12 der 15 Mitglieder stimmten am Mittwoch zu. Brasilien und die Türkei lehnten schärfere Sanktionen ab. Libanon enthielt sich.

Die Sanktionen richten sich erstmals gegen die iranischen Revolutionsgarden, eine der Säulen des Systems. Sie umfassen ein Reiseverbot für Mitglieder der paramilitärischen Truppe und Angestellte der von ihnen geführten Firmen. Hinzu kommen Kontensperrungen und Handelsbeschränkungen.

Hier geht es zum Text der UN-Resolution 1929 (2010)

"Calls upon all States to inspect all cargo to and from Iran"
Resolution 1929 (2010). Adopted by the Security Council at its 6335th meeting, on 9 June 2010 (english) (11. Juni 2010)



Künftig dürfen Panzer, Kampfhubschrauber, Kriegsschiffe und Raketensysteme nicht mehr an Iran verkauft werden. Die neuen Sanktionen werden ebenso wie die bisherigen seit 2006 gegen das Land verhängten Strafmaßnahmen völkerrechtlich verbindlich sein. Das bedeutet, dass Schiffe mit Frachtgut für Iran gestoppt und auf geschmuggelte Waffen und Waffentechnologien durchsucht werden können.

Der Abstimmung waren monatelange Beratungen vorausgegangen. Das Dokument wurde von den USA mit Unterstützung Großbritanniens und Frankreichs eingebracht. Auch Russland und China hatten zuvor ihre Zustimmung signalisiert. Es ist die vierte Sanktionsrunde gegen Iran seit Dezember 2006. Mit ihr will der Westen auf die Weigerung Teherans reagieren, der Forderung nach einer Aussetzung seiner Urananreicherung nachzukommen.

Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin äußerte sich trotz der Zustimmung seines Landes zu den Sanktionen skeptisch über die Wirksamkeit solcher Maßnahmen. Insgesamt seien Sanktionen »nicht effektiv«, sagte Putin in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP. So entwickle Nordkorea sein Atomprogramm trotz internationaler Sanktionen und habe inzwischen verkündet, Atomwaffen zu besitzen.

Russland sei in Bezug auf Sanktionen »sehr vorsichtig«, so Putin. Im Atomstreit müsse die Staatengemeinschaft auf »brüske, unüberlegte Gesten« verzichten. Auch von militärischen Drohungen gegen Iran müsse Abstand genommen werden.

In Wien übergaben Vertreter der USA, Frankreichs und Russlands der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) ihre Stellungnahmen zu dem Vorschlag Irans für eine Urananreicherung im Ausland. Die IAEA machte keine Angaben zu dem Inhalt der Stellungnahmen. Die US-Delegation äußerte sich jedoch ablehnend.

US-Botschafter Glyn Davies sagte dem IAEA-Gouverneursrat, der Vorschlag erhalte nicht ausreichend vertrauensbildende Maßnahmen. Auch werde das grundlegende Problem nicht angesprochen, dass Iran sich im Atomstreit nicht an seine Verpflichtungen halte. Ähnliche Vorbehalte sollen Diplomaten zufolge auch Frankreich und Russland hegen.

Im Bemühen um eine Einigung im Atomstreit hatte die IAEA Teheran zunächst vorgeschlagen, sein angereichertes Uran im Ausland gegen Brennstäbe für seinen Forschungsreaktor zu tauschen. Iran lehnte dies jedoch ab und handelte mit Brasilien und der Türkei einen Vorschlag aus, der neben der Anreicherung von iranischem Uran im Ausland auch eine weitere Anreicherung in Iran zulassen würde.

»Der Westen dreht mit den neuen Sanktionen gegen den Iran an einem gefährlichen Rad«, kommentierte Jan van Aken, stellvertretender Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag, das neue Sanktionspaket. Anstatt das im Mai ausgehandelte Urantausch-Abkommen zwischen Brasilien, Türkei und Iran genau zu prüfen, heize der Westen den Konflikt weiter an, so der Politiker der LINKEN. Er habe den Eindruck, dass es dem Westen vor allem darum gehe, »den Konflikt weiter zu befeuern, um auf Jahre hinaus den Iran zu isolieren und zu schwächen. Eine ähnliche Strategie haben die USA Mitte der 1990er Jahre mit dem Irak unter Saddam Hussein gefahren – eine Strategie, die Jahre später unaufhaltsam auf einen Krieg hinauslief.«

* Aus: Neues Deutschland, 10. Juni 2010


Neue Sanktionen gegen Iran

Beschluß des UN-Sicherheitsrates. Teherans Kompromißangebot abgelehnt **

Der Weltsicherheitsrat hat am Mittwoch (9. Juni) auf Druck der USA neue Sanktionen gegen Iran beschlossen. Sie sehen unter anderem vor, Teheran den Kauf verschiedener schwerer Waffen zu verbieten. Es ist die vierte Runde von UN-Sanktionen gegen das Land.

Kurz vor der Abstimmung im Weltsicherheitsrat hatten die ständigen Ratsmitglieder USA, Frankreich und Rußland eine Einigung mit Teheran auf der Grundlage eines Kompromisses zum Austausch von Uran abgelehnt. Das verlautete am Mittwoch aus Diplomatenkreisen. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien bestätigte, daß sie eine Antwort der drei Länder erhalten und an Teheran weitergeleitet habe. Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad hatte am Dienstag die USA und andere Staaten aufgefordert, den im Mai mit Brasilien und der Türkei ausgehandelten Kompromiß zum Austausch von Uran für einen Forschungsreaktor anzuerkennen. Dies sei eine einmalige Gelegenheit, den Atomstreit beizulegen, sagte Ahmadinedschad am Rande einer Konferenz in Istanbul. Die geplanten neuen Sanktionen bezeichnete er als einen Fehler. Teheran nutzt sein Atomprogramm nach eigenen Angaben allein zu friedlichen Zwecken.

Brasilien und die Türkei hatten Mitte Mai mit der Regierung Irans einen Kompromiß zum Austausch von Uran für einen Forschungsreaktor vereinbart. Demnach bringt der Iran schwach angereichertes Uran in die Türkei und erhält im Gegenzug Brennstäbe für den Atomreaktor. Die USA, Frankreich und Rußland unterstellen angeblich in ihrer Antwort an Teheran, daß der Iran trotz des Tauschprogramms immer noch genug Uran habe, um eine Atombombe bauen zu können. Außerdem wolle der Iran sein neues Programm zur Urananreicherung fortsetzen. Der iranische IAEA-Gesandte, Ali Asghar Soltanieh, beharrte auf dem Recht seines Landes, ein eigenes Atomprogramm zu entwickeln. Die Strafmaßnahmen gegen den Iran nannte er unrechtmäßig.

US-Außenministerin Hillary Clinton hat die neue UN-Resolution als die bislang schärfste gegen Teheran bezeichnet. In der internationalen Gemeinschaft gebe es eine starke Zustimmung zu den Sanktionen, sagte Clinton am Dienstag vor Journalisten in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito. Vorgesehen sei eine »Kombination aus Diplomatie und Druck, um die Iraner davon zu überzeugen, daß sie in die falsche Richtung steuern«.

**Aus: junge Welt, 10. Juni 2010


Die Front steht

Von Knut Mellenthin ***

US-Außenministerin Hillary Clinton triumphiert über „die bedeutendsten Sanktionen, denen Iran jemals ausgesetzt war“. Ihr ist deutlich die Erleichterung anzumerken, dass sie Russland und China dazu gebracht hat, wider alle politische Vernunft zum vierten Mal mit dem Westen „ins Boot“ zu steigen, das immer schneller und scheinbar unaufhaltsam dem Abgrund eines neuen Krieges zutreibt. Zufrieden ist auch die Redaktion von Spiegel Online, die militärisch knapp meldet: „Die Front steht“.

Von vornherein selbstverständlich war das nicht. Zwar haben Russland und China zuvor schon drei Sanktionsresolutionen des UN-Sicherheitsrats gegen Iran zugestimmt. Andererseits hatten führende Politiker beider Staaten die Eskalation der Strafmaßnahmen noch bis vor wenigen Monaten immer wieder als kontraproduktiv kritisiert. Genau wegen dieser begründeten Skepsis liegt die Verabschiedung der letzten vorausgegangenen Resolution schon mehr als zwei Jahre zurück. Zudem hätte die Präsentation eines gemeinsamen Kompromissvorschlags durch Iran, Türkei und Brasilien am 17. Mai den Regierungen in Moskau und Peking Gelegenheit geboten, eine Denkpause einzulegen und zumindest Sondierungsgespräche über das Angebot zu führen.

Dass Hillary Clinton nur einen Tag später bekannt geben konnte, Russland und China hätten sich mit den USA auf eine neue UN-Resolution geeinigt, stellte nicht nur einen schweren Rückschlag für alle diplomatischen Bemühungen, sondern auch einen offenbar beabsichtigten Affront gegen die brasilianischen und türkischen Vermittler dar.

Niemand glaubt ernsthaft daran, dass Iran jetzt kapituliert und sich die Einstellung seines zivilen Atomprogramms diktieren lässt. Die Zustimmung Russlands und Chinas zu erweiterten Strafmaßnahmen dient hauptsächlich der Propagandalüge, „die internationale Gemeinschaft“ sei sich einig, dass der Iran Atomwaffen baut und eine mit allen Mitteln zu bekämpfende Gefahr für die ganze Welt darstellt. Sanktionen sind keine Alternative zum Krieg, sondern bereiten ihm den Weg.

Russische und chinesische Politiker betonen, dass sie gegen Strafmaßnahmen seien, die die iranische Wirtschaft und besonders die Bevölkerung treffen würden. Tatsächlich bleibt die Fassung, auf die man sich schließlich geeinigt hat, weit hinter der Anfangsforderung der US-Regierung nach „lähmenden“ (crippling) Sanktionen zurück. Das ist indessen ein falscher Trost. US-Kriegsminister Robert Gates sagte es am Dienstag (8. Juni) ganz offen: „Einer der vielen Vorteile dieser Resolution ist, dass sie eine legale Plattform für einzelne Nationen bietet, zusätzliche Aktionen zu unternehmen, die erheblich über die Resolution selbst hinausgehen.“

Damit könnte neben zusätzlichen Sanktionen auch die Durchsuchung iranischer Schiffe auf hoher See gemeint sein, die durch die neue Resolution erstmals erlaubt wird. Niemand kann die USA hindern, diese Ermächtigung sehr weitgehend auszulegen.

*** Dieser Artikel erschien unter dem Titel "Am Abgrund" in der jungen Welt vom 10. Juni 2010


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