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Smarte Sanktionen

USA bereiten Strafmaßnahmen gegen Iran in qualitativ neuem Umfang vor

Von Knut Mellenthin *

Die US-Regierung will im UN-Sicherheitsrat möglichst schon im März neue Strafmaßnahmen gegen Iran durchsetzen, die praktisch einer Wirtschaftsblockade gleichkommen würden. Auf der Liste stehen Hunderte Unternehmen, darunter die gesamte Ölindustrie, aber auch Zentren der Infrastruktur wie der Flughafen von Teheran und der größte Containerhafen des Landes, Bandar Abbas. Propagandistisch verkauft wird dieses gigantische Vorhaben als »smarte Sanktionen«, die angeblich genau gezielt nur die Machthaber, nicht aber die iranische Bevölkerung treffen sollen.

Washington gibt sich siegessicher, die russische Zustimmung zu seinen Sanktionsplänen schon in der Tasche zu haben und in der noch verbleibenden Zeit auch China zumindest zu einer Stimmenthaltung im Sicherheitsrat veranlassen zu können. Peking könnte durch sein Vetorecht als eines der fünf ständigen Ratsmitglieder jede Resolution scheitern lassen.

Sowohl Rußland als auch China haben seit Dezember 2006 zwar schon drei Sanktionsbeschlüsse des Sicherheitsrates mitgetragen, doch sind diese nicht geeignet, die iranische Wirtschaft zu schädigen. Ob sie überredet werden könnten, qualitativ völlig anderen Strafmaßnahmen, sogenannten »verkrüppelnden Sanktionen«, zuzustimmen, ist trotz der selbstsicheren Töne aus Washington ungewiß. Die russische Regierung hat in letzter Zeit eine vage Bereitschaft angedeutet, über »zusätzliche Maßnahmen« gegen Iran »nachzudenken«, während China bisher an seiner Ablehnung weiterer Sanktionen festgehalten hat.

Hillary Clinton läutete die neue Propagandakampagne am Montag im kleinen arabischen Golfstaat Katar ein, wo sie in einer gelenkten Schaudiskussion mit Studentinnen und Studenten freihändig fabulierte, im Iran entwickle sich eine »Militärdiktatur« der sogenannten Revolutionswächter (IRGC), einer über 100000 Mann starken paramilitärischen Organisation, die nach der »Islamischen Revolution« von 1979 geschaffen wurde. Auf erstaunte Nachfragen erklärte die US-Außenministerin im Stil eines Glaubensbekenntnisses: »So sehen wir das. Wir sehen, daß die Regierung Irans, der oberste Führer, der Präsident, das Parlament abgelöst werden und daß Iran sich auf eine Militärdiktatur zubewegt. Das ist unsere Sichtweise.«

Auf eine weitere Frage, ob die USA den Iran angreifen wollten, antwortete Clinton ausweichend: »Wir haben vor, die Weltgemeinschaft zusammenzuführen, um auf Iran Druck auszuüben durch Sanktionen der Vereinten Nationen, die sich speziell gegen die von den Revolutionswächtern kontrollierten Unternehmen richten.«

Bestens zeitlich abgestimmt auf den Kampagnenauftakt der US-Regierung publizierten zahlreiche Mainstreammedien weltweit am Montag lange Artikel über das »geheimnisumwitterte« (Spiegel online) Wirtschaftsimperium der IRGC. »Wie viele Firmen die Revolutionswächter inzwischen übernommen haben, vermag niemand zu sagen«, räumte der Spiegel ein. Auch die britische Tageszeitung Guardian gab zu: »Es ist wegen des Privatisierungsprozesses unmöglich, die volle Ausdehnung der IRGC-Kontrolle zu beurteilen.«

Zu einem Großteil stützen die Spekulationen westlicher Medien sich daher auf Behauptungen der üblichen unzuverlässigen Zuträger, insbesondere die sogenannten Volksmudschaheddin, sowie offensichtlich auch auf ungenannte Geheimdienste. »Westliche Schätzungen« über den Anteil der Revolutionswächter am iranischen Bruttosozialprodukt lägen zwischen einem Drittel und fast zwei Drittel, mutmaßte der Guardian am Montag. Spiegel online behauptete unter ausdrücklicher Berufung auf die »Volksmudschaheddin«, die IRGC wickele »weit über die Hälfte des gesamten Importgeschäfts und fast ein Drittel des Exportes« ab. Die Ölindustrie des Landes werde sogar vollständig von den Revolu­tionswächtern, persisch Pasdaran, beherrscht.

Triumphierendes Fazit des Magazins: »Strafmaßnahmen gegen Pasdaran-Firmen könnten die dringend notwendigen Investitionen in die Erdölindustrie zum Erliegen bringen, eine Sperrung von Banken womöglich das Land lähmen – schon jetzt räumen viele Iraner ihre Konten leer, die Inflation liegt wohl bei 25 Prozent.«

Und was das Beste ist: Alles das läuft, ohne der iranischen Bevölkerung zu schaden und sie gegen den Westen aufzubringen! Einfach smart eben.

* Aus: junge Welt, 17. Februar 2010


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