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Moskau sieht neue Iran-Konstellation

Kurswechsel Washingtons im Streit um Atomprogramm gefordert

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Nach dem US-Geheimdienstbericht könnte Bewegung in den festgefahrenen Iran-Streit kommen. Moskau setzt sich dafür ein, ist aber skeptisch.

Die Gespräche mit Präsident Wladimir Putin seien sehr gut und konstruktiv gewesen. So jedenfalls fasste Said Dschalali, der Sekretär des Obersten Sicherheitsrates Irans, die Ergebnisse seines Russland-Besuchs zusammen. Fast zeitgleich ließ sich Außenminister Sergej Lawrow vor in- und ausländischen Journalisten in Moskau mit Moskaus Version zu dessen Visite vernehmen: Putin habe Teheran aufgefordert, sein Kernforschungsprogramm einzufrieren.

Moskau hatte das Recht Teherans auf eigene Kernforschung zu friedlichen Zwecken bisher stets verteidigt, der Westen dagegen drängt mit einem neuen Resolutionsentwurf, der dem UN-Sicherheitsrat vorgelegt werden soll, auf neue, schärfere Sanktionen. Einfrieren heißt nicht einstellen, sondern aussetzen, was aus den weiteren Äußerungen Lawrows auch klar hervorgeht. Damit soll der Weg für »konstruktive Verhandlungen« Irans mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) frei gemacht werden. Vor allem dort und nicht im Sicherheitsrat muss der Problemfall Iran künftig aus russischer Sicht verhandelt werden.

Bestärkt wird Moskau in dieser Haltung durch den US-Geheimdienstreport, wonach Teheran längst nicht mehr nach Atomwaffen strebt. Das, so wurde IAEA-Chef Mohammed El Baradei von hiesigen Medien zitiert, decke sich im Wesentlichen mit Erkenntnissen seiner eigenen Behörde. Teheran sei daher weitgehend rehabilitiert.

Jetzt müsste sich auch im Westen die Erkenntnis durchsetzen, dass Irans Kernforschungsprogramm ausschließlich friedlichen Charakter trägt, erklärte Irans Außenminister Mottaki im russischen Fernsehen. Zuvor hatte Präsident Mahmud Ahmadinedschat den Report als »glänzenden Sieg« und »tödlichen Schlag« gegen jene Kräfte gefeiert, die seit Jahren versuchen, die »Welt mit Furcht und Drohungen zu überschwemmen«. Auch Russlands Außenminister Lawrow kündigte an, Moskau werde sich bei der Gestaltung seiner Iran-Politik künftig von den »neuen Umständen« leiten lassen. Gleichzeitig kritisierte er, dass Präsident George Bush, sich nach wie vor nicht von Plänen für einen Militärschlag gegen Teheran definitiv distanzieren wollte. Auch bezweifelt Russland, dass Teheran vor 2003 an Kernwaffen gearbeitet hat. Es gebe keine »diesbezüglichen Erkenntnisse der eigenen Aufklärung«, sagte Lawrow. Das halten sogar US-amerikanische Experten für durchaus glaubwürdig: Washington hat alle Beziehungen zu Teheran abgebrochen, und das wirkt sich zwangsläufig auch negativ auf die geheimdienstliche Informationsbeschaffung aus.

Moskau hat zudem gute Gründe, neue Sanktionen gegen Teheran zu verhindern und bereits bestehende aufzuheben. Die USA, so das Kalkül, werden trotz dürftiger Beweislage ihren Druck auf die Partner in Westeuropa verschärfen, damit diese ihre Außenwirtschaftskontakte zu Iran allmählich gegen Null fahren. In die dadurch entstehende Marktlücke könnten russische Unternehmen stoßen.

Dazu kommt, dass Russland und Iran mittelfristig auch gemeinsame geopolitische Interessen in Zentralasien und im Südkaukasus haben. Beide sind an einer neutralen Außenpolitik Georgiens und Aserbaidshans interessiert.

Vor allem aber gilt es, den Sieg der prowestlichen Kräfte bei den Präsidentschaftswahlen in Armenien, das Moskau wie Teheran als ihren strategischen Partner sehen, im kommenden Frühjahr zu verhindern.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Dezember 2007


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