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Schritt für Schritt

Russischer Vorschlag soll Streit um Irans Atomprogramm aus der Sackgasse führen

Von Knut Mellenthin *

Rußland und Iran intensivieren ihre Aktivitäten, um einen Ausweg aus dem festgefahrenen internationalen Streit um das zivile Atomprogramm des Landes zu finden. Zunächst führte der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats, Nikolai Patruschew, am Montag und Dienstag Gespräche in Teheran. Unmittelbar daran schloß sich am Dienstag und Mittwoch ein Besuch des iranischen Außenministers Ali Akhbar Salehi in Moskau an. Neben den bilateralen Beziehungen und regionalen Problemen, wie der Lage in Syrien und Rechtsstreitigkeiten um den Grenzverlauf im Kaspischen Meer, stand den – insgesamt inhaltlich wenig aussagekräftigen – Berichten zufolge der sogenannte Schritt-für-Schritt-Vorschlag Rußlands zur Überwindung der Sackgasse in den Atomgesprächen im Zentrum.

Vertreter Irans und der Sechsergruppe – bestehend aus China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Rußland und den USA – hatten sich zuletzt im Januar in Istanbul getroffen. Die Begegnung war ergebnislos verlaufen, da Iran über alle Fragen der Zusammenarbeit außer der Atomproblematik diskutieren wollte, während die NATO-Staaten ausschließlich an diesem einen Thema interessiert waren. Ein weiterer Termin zur Fortsetzung der Gespräche wurde gar nicht erst vereinbart.

Mittlerweile sind 14 Monate seit dem letzten Sanktionsbeschluß des UN-Sicherheitsrats verstrichen, ohne daß das Gremium erneut zur Sache beraten hätte. Die am 9. Juni 2010 gegen die Stimmen der Türkei und Brasiliens – bei Enthaltung Libanons – verabschiedete Resolution 1929 war schon die vierte ihrer Art. Sie verpflichtete den Sicherheitsrat, nach Ablauf von 90 Tagen über weitere Schritte zu beraten, falls Iran bis dahin nicht sämtlichen Forderungen nachgegeben haben sollte. Dabei geht es neben der Einstellung der Urananreicherung für friedliche Zwecke auch um die Offenlegung von angeblich unklaren Punkten in der Entwicklung des iranischen Atomprogramms.

Die Tatsache, daß der Fall im Sicherheitsrat seither auf Eis liegt, widerspiegelt die grundlegenden Meinungsverschiedenheiten zwischen den NATO-Staaten einerseits sowie Rußland und China andererseits über die Strategie im Umgang mit dem Iran. In der Zwischenzeit haben die USA und die EU ihre einseitigen Sanktionen gegen Iran weiter verschärft und damit eine politische Lösung des Konflikts noch schwieriger gemacht.

Vor diesem Hintergrund hat der russische Außenminister Sergej Lawrow am 13. Juli bei einem Besuch in Washington den Schritt-für-Schritt-Vorschlag übermittelt. Er sieht vor, daß Iran für punktuelles Entgegenkommen jeweils mit Gegenleistungen »belohnt« werden könnte. Darunter ist das Aussetzen einzelner Strafmaßnahmen oder auch eine Reduzierung des Umfangs bestimmter Sanktionen zu verstehen. Die derzeitigen Mechanismen der Sicherheitsratsresolutionen sind sehr starr und unpraktikabel: Sie fordern vom Iran zuerst eine Einstellung der Urananreicherung und stellen im Gegenzug ein Aussetzen der Sanktionen in Aussicht. Der russische Vorschlag zielt darauf ab, mehr Flexibilität für Teilschritte zu gewinnen und diese damit für Iran attraktiver zu machen.

Die Teheraner Regierung hat diese Idee vorsichtig begrüßt und interpretiert sie als Ausdruck des guten Willens der russischen Seite. Allerdings benötige man zur Beurteilung noch mehr »technische Details« aus Moskau. Die US-Regierung hat bisher lediglich erklärt, daß sie den Vorschlag »prüfen« und mit den Russen »erörtern« werde.

* Aus: junge Welt, 20. August 2011


Nachtrag vom 23. August 2011:

Zentrifugen-Transport in Iran

Teheran bestückt neue Urananreicherungsanlage in Fordo **

Iran hat Zentrifugen zur Uran-Anreicherung von der Hauptanlage in Natans in eine neue Anlage im zentraliranischen Fordo transportiert.

Über den Transport berichtete der staatliche iranische Sender IRIB am Montag. Die Anlage in Fordo wurde im Oktober 2009 erstmals von Inspektoren der internationalen Atomenergiebehörde IAEA besucht. Nach Angaben der iranischen Behörden soll dort dieses Jahr mit 3000 Zentrifugen begonnen werden, das für Atombrennstäbe benötigte Isotop Uran-235 aus dem Gas Uranhexafluorid zu filtern.

Der Leiter der iranischen Atombehörde, Fereydoun Abbasi, sagte im April, Teheran werde die IAEA informieren, bevor Zentrifugen installiert werden. Iran besitzt nur ein Atomkraftwerk. Das von Russland gebaute Kraftwerk in Bushehr ist allerdings immer noch nicht ans Netz gegangen.

Der Westen verdächtigt Iran, unter dem Deckmantel eines zivilen Atomprogramms Nuklearwaffen produzieren zu wollen.

Im Streit um das iranische Atomprogramm hatte Außenminister Ali Akbar Salehi in der vorigen Woche einen russischen Vorschlag zur schrittweisen Lösung des Konflikts begrüßt. Moskau hatte ein Nachgeben von beiden Seiten gefordert, um die auf Eis liegenden Verhandlungen zu erneuern. »Wir sind grundsätzlich zu neuen Gesprächen bereit, lehnen Druck aber ab«, sagte Salehi nach einem Treffen mit seinem Amtskollegen Sergej Lawrow in Moskau.

Lawrow hatte vorgeschlagen, dass Iran zunächst einen »vertrauensvollen Schritt« in dem Streit unternehmen müsse. Im Gegenzug könnte die Sechsergruppe aus Russland, China, Frankreich, den USA und Großbritannien sowie Deutschland dann die verhängten Sanktionen lockern.

** Aus: Neues Deutschland, 23. August 2011


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