Iraner bauen auf Ruhani
Der Nachfolger Ahmedinedschads soll die Wirtschaftskrise und den Atomstreit beenden
Von Oliver Eberhardt, Teheran *
Iran gilt vielen Menschen in der
westlichen Welt analog der Einstufung
durch den früheren US-Präsidenten
George Bush als Schurkenstaat.
Ein Zerrbild, das oft auch von
Medien gemalt wird. Bei einem Besuch
in diesem Land wird schnell klar:
Man will raus aus der Schmuddelecke.
Aber man wird sich in der Atomfrage
nicht einfach beugen.
Es gibt verschiedene Wege, eine
neue Stadt, ihre Menschen kennenzulernen.
Einer, meiner, ist es,
Stunden lang kreuz und quer, ohne
Plan, durch Märkte, Wohnviertel,
Hinterhöfe zu irren. Denn man
kann das Internet zensieren, kann
bestimmen, mit wem Ausländer
sprechen und worüber. Aber kein
Aufpasser kann das tägliche Leben
kontrollieren.
Nach vier Stunden wird der
Mann vom Außenministerium, der
sich schon bei der Passkontrolle
am Flughafen zu unserem neuen
allerbesten Freund erklärt hat,
immer angespannter: »Bitte«, sagt
er irgendwann in fließendem Englisch
und es klingt genervt, »können
wir mal eine Pause machen?«
Kurz darauf, in einem Café die
Straße runter, weicht die einstudierte
Regierungsrhetorik einer
ernst klingenden Besorgnis. »Was
halten Sie von Iran?«, fragt er und
rührt in seinem Kaffee. Es ist heiß,
es ist unbeschreiblich stickig. Und
draußen herrscht ein geschäftiges,
ein schier unüberschaubares Gewühl
aus Menschen und Autos, das
alle paar Stunden innehält, wenn
von den Moscheen der Stadt zum
Gebet gerufen wird.
Was soll man davon halten?
Außerhalb des Landes lebt man
tagtäglich mit den Berichten darüber,
wie Iran den Weltfrieden
bedroht. Und tatsächlich hat dieses
scheinbare Chaos, das für den
Außenstehenden keiner erkennbaren
Systematik zu folgen
scheint, etwas Bedrohliches: vom
Regierungssystem bis hin zum sozialen
Gefüge – dieses Land ist extrem
kompliziert.
Am Abend zuvor, im Hotel, das
genauso gut in Kairo, Jerusalem
oder Washington stehen könnte,
was vermutlich dazu dient, dem
Gast ein Stück Vertrautheit zu
suggerieren, in diesem Hotel also
hat ein Kollege am Abend zuvor
versucht, ein Diagramm des iranischen
Regierungssystems zu
zeichnen. Aufzuzeigen, wer wen
kontrolliert, wer wo welche Entscheidungen
trifft. Am Ende lag da
ein Stapel mit Pfeilen und Kästen
und Namen beschriebener Blätter,
und die Runde schaute ratlos auf
die allgegenwärtigen Mitarbeiter
des Außenministeriums, perfekt
Fremdsprachen beherrschende
Männer in gut sitzenden Anzügen,
die ebenfalls ratlos schauten. »Nuuun«, unterbrach einer von
ihnen das Schweigen: »Können Sie mir erklären, wie Hare-Niemeyer zur Sitzverteilung im Bundestag funktioniert?«
Was man über das iranische
System wissen muss: An der Spitze
steht Ajatollah Ali Khamenei,
der als geistlicher Führer des Landes
die allgemeine politische Richtung
vorgibt. Ihm zur Seite steht
der Wächterrat, der dafür sorgen
soll, dass diese Richtung auch eingehalten
wird, und deshalb die
Kandidaten für Präsidentschaft
und Parlamentssitze aussiebt, die
das Tagesgeschäft besorgen sollen.
Denn: Sobald einer von ihnen
gewählt wird, fällt es schwer, die
Leute wieder loszuwerden. Zwar
ist es theoretisch möglich, den
Präsidenten abzusetzen. Aber
praktisch ist es nahezu unmöglich:
Sowohl Wächterrat als auch Parlament
müssten zustimmen. Und
dann müsste man das Ganze auch
noch der Öffentlichkeit verkaufen,
die den Präsidenten gewählt hat.
Was in einem solchen, allerdings
seit der islamischen Revolution
Ende der 70er Jahre noch nie
dagewesenen Fall passieren
könnte, bekam das Regime in etwa
vor einigen Jahren vorgeführt.
Mitte 2009 waren Zehntausende,
vor allem junge Leute auf die Straße
gegangen, nachdem Mahmud
Ahmadinedschad erneut zum Präsidenten
gewählt worden war. Für
das System waren die Proteste für
die Annullierung der Wahl eine
Bedrohung: Die »Grüne Bewegung«
war lautstark, wurde im Ausland wahrgenommen.
Aber sie repräsentierte nicht das gesamte
Land. Es war vor allem an der Peripherie, wo
Ahmadinedschad damals populär
war. Nach Lesart des Regimes
hätte ein Nachgeben einen sehr
großen Teil des Landes entfremdet.
Dies in einer Zeit, in der sich
gleich drei Nachbarstaaten – Afghanistan,
Pakistan und Irak – zu Hochburgen von radikalislamischen
Gruppierungen entwickelt hatten, denen das Regime
in Iran nicht fundamentalistisch
genug geprägt ist. In Teheran ging damals
die Befürchtung um, dass die dortigen
Konflikte auch auf die islamische Republik
übergreifen könnten.
Heute ist die »Grüne Bewegung« weitgehend von der Bildfläche
verschwunden. Und dennoch wirkt sie
nach. Keiner der Offiziellen
in Teheran macht einen Hehl daraus,
dass man einigermaßen
erleichtert über das Ende der Ära
Ahmadinedschad ist,
dass man in den neuen
Amtsinhaber Hassan
Ruhani große Hoffnungen
setzt. Der altgediente Diplomat, bei
dem man auf Grund seiner Karriere
davon ausgehen muss, dass er
trotz seiner demonstrativ moderaten
Töne ein Vertrauter Ajatollah Khameneis ist, steht für eine Neuausrichtung der Außen- und Innenpolitik.
In der Öffentlichkeit wie in der Politik – niemand in dieser Stadt
glaubt daran, dass es ein Zufall war, dass sich bei der Wahl fünf der konservativen Ecke zugeschriebene Kandidaten die Wählerstimmen
streitig machten, während im als pragmatisch
eingestuften Lager nur
Ruhani im Angebot war.
Die Menschen haben große Erwartungen
an den Neuen. Selbst
Iraner, die sagen, sie hätten Ahmadinedschad
2009 gewählt, haben
sich von ihm abgewandt. Einer
der Hauptgründe, der dafür
genannt wird, ist die wirtschaftliche
Lage, für die man das Auftreten
des Expräsidenten verantwortlich
macht. Dass er im Ausland
zum »hässlichen Gesicht«
Irans geworden war, hat man auch
hier wahrgenommen, und das allein
ist für viele eine Demütigung:
Man ist stolz auf sein Land. Vom
Politiker bis hin zum Taxifahrer –
immer wieder werden die iranische
Baukunst, die wissenschaftlichen
Errungenschaften angesprochen.
Und selbst dass die internationalen
Sanktionen die Menschen
noch nicht in die Knie gezwungen
haben, dass die Regierung es immer
wieder schafft, das Embargo
auszutricksen, wird mit großem
Stolz in den Raum geworfen.
Doch es ist auch allerorts deutlich,
dass die Belastungsgrenze der
Bevölkerung fast erreicht ist, wobei
es vor allem die Innenpolitik
Ahmadinedschads war, die den
Menschen zu schaffen machte. Jugendliche
berichten von ständigen
Polizeikontrollen, die darauf abzielten,
sie zu einem Verhalten zu
zwingen, das konservativ-religiösen
Moralvorstellungen entspricht. Ihnen
wurden unter Ahmedinedschad
die kleinen Freiheiten genommen,
die ein junger Mensch in diesem
sehr konservativen Land genießen kann.
Besonders zu spüren bekamen das Frauen,
die zu viel Haut oder Haar zeigten.
Zur Repression kommt die wirtschaftliche
Depression. Die Inflation droht
mittlerweile aus dem Ruder zu laufen. Obwohl
Iran mittlerweile vieles selbst produziert, werden manche Güter knapp. Die Menschen ziehen die direkte Verbindung zu den Sanktionen.
»Wir sind offen für Gespräche«, heißt es immer wieder, wenn
Vertreter von Außen- und Wirtschaftsministerium
und anderen staatlichen Stellen zum Gespräch
mit ausländischen Journalisten
antreten. Aber ausländischem
Druck werde man sich nicht beugen,
heißt es gleich darauf. »Wir
sind unserem Volk verpflichtet«,
sagt der neue Präsident Ruhani. Es
sind nur wenige Sätze, für die er
Zeit hat: Ein Treffen, sagen seine
Berater, jage zur Zeit das nächste,
er sei schon voll bei der Arbeit.
»Wir sind dazu bereit, ein Gespräch
unter Gleichberechtigten zu
führen, über alle Probleme, die der
Westen und wir miteinander haben.
Aber wir werden uns keinesfalls
Druck von außen beugen.«
Die nukleare Entwicklung des
Landes sei nicht nur das Recht der
Iraner. Es sei auch eine Notwendigkeit.
Die Bevölkerung wachse
und der Energiebedarf mit ihr – ein
Bedarf, den Iran nicht aus anderen
Quellen decken könne, ohne vom
Ausland abhängig zu werden. Eine
Abhängigkeit, an die das Land eine
unangenehme Erinnerung hat: In
der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
war Iran mehrere Jahre
Spielball von Russen und Briten.
Es ist ganz offensichtlich: Iran
sucht, versucht einen neuen Weg.
Das lässt sich auch an der journalistischen
Arbeit erkennen. Die
Einschränkungen sind subtiler geworden.
Mal sind Teile des Internets
kaputt, mal funktioniert das
Telefon nicht. Und der Begleiter
vom Außenministerium erzählt
offen, wie er versucht hat, seinem
Vorgesetzten die stundenlangen
Irrwege durch Teheran zu erklären.
Weil der nicht glauben wollte,
dass jemand kreuz und quer durch
diese Stadt läuft, wo es doch Autos
gibt. So wie der Westen muss auch
Iran Vertrauen lernen.
* Aus: neues deutschland, Freitag, 9. August 2013
Präsident mit langer Vita **
Wolf oder Schaf? »Ich würde
mich am liebsten als Schaf
sehen«, sagt Hassan Ruhani.
Und tatsächlich: Er wirkt
sanft, freundlich, eloquent,
wenn man ihm gegenübersteht.
Aber: Er ist schwer einschätzbar:
Seine Vita ist lang
und verschlungen. Mal war er
Vizesprecher des Parlaments,
dann war er Mitglied des einflussreichen
nationalen Sicherheitsrates.
Persönliche Freiheit ist im Gespräch eines
der großen Themen. Der Staat
dürfe nicht zu tief in das Leben
der Menschen eindringen.
Es sei die Aufgabe des Staates,
den Iranern ein würdiges Leben
zu ermöglichen. Und dazu
gehöre auch, dass man sich
um die Aufhebung der Sanktionen
bemühe, ohne dabei
das gesamte Atomprogramm
aufzugeben.
Es ist eine schwierige Aufgabe,
vor der der neue Präsident
in Teheran steht. Die
knapp 80 Millionen Einwohner
des Landes erwarten eine
Verbesserung der wirtschaftlichen
Lage, gleichzeitig muss
sich Iran in einer komplexen
geopolitischen Lage behaupten.
Mit Afghanistan, Pakistan
und Irak hat das Land gleich
drei Krisenherde in der
Nachbarschaft; zudem steht
die Möglichkeit eines israelischen
Militärschlags im Raume.
In Iran ist man der Überzeugung,
dass bei dieser Option
vor allem innenpolitische
Erwägungen von Regierungschef
Benjamin Netanjahu im
Raum stehen: Auch hier hat
man wahrgenommen, dass
sich Netanjahu im Wahlkampf
als starker Mann beworben
hat und Ruhanis Vorgänger
Ahmadinedschad dafür als
Nemesis diente.
Deshalb versucht man in
Teheran nun, diese Möglichkeit
weitgehend einzugrenzen.
Ruhani und seine Berater sind
sichtbar bemüht, den Neuen
als staatsmännisch, weltgewandt,
rational darzustellen.
Besonders deutlich wurde
dies, als iranische Nachrichtenagenturen,
deren Führungsspitzen
von Ahmadinedschad
besetzt worden waren,
in der vergangenen Wochen
Ruhani mit anti-israelischen
Parolen zitierten – und
kurz darauf, in einem sehr
unüblichen Schritt, dazu gezwungen
wurden, diese Zitate
zu widerrufen, nachdem
Fernsehbilder gezeigt hatten,
dass Ruhani sich nicht so geäußert
hatte.
Es ist eine Episode, die
zeigt, dass auf dem neuen
Kurs, auch wenn er durch
Khamenei und den Wächterrat
abgesegnet sein dürfte,
durchaus Hindernisse liegen –
in acht Jahren hatte sein Vorgänger
ausreichend Zeit, alle
relevanten Institutionen mit
Gefolgsleuten zu besetzen.
Dies kann dazu führen,
dass der neue Kurs zunächst
durch die Verwaltung blockiert
wird – was auch der
Grund dafür ist, warum Ruhani
derzeit kaum Zeit hat: Er
ist dabei, Schlüsselpositionen
neu zu besetzen.
liv
** Aus: neues deutschland, Freitag, 9. August 2013
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