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Neustart im Atomstreit?

Präsidentenvereidigung im Iran: Teheran ist mit Forderungen konfrontiert, denen sich wahrscheinlich auch die neue Regierung nicht beugen wird

Von Knut Mellenthin *

Wenn Irans nächster Präsident Hassan Rohani am Sonntag vereidigt wird, sind bereits vier Monate vergangen, seit letztmals über das iranische Atomprogramm verhandelt wurde. Voraussichtlich wird es noch mindestens einen weiteren Monat dauern bis zum nächsten Treffen zwischen Vertretern Teherans und der sogenannten Sechsergruppe – den durch Deutschland ergänzten fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats China, Frankreich, Großbritannien, Rußland und USA. Bisher stehen dafür weder Datum noch Ort fest. Die vorerst letzte Gesprächsrunde hatte am 5. und 6. April in Almaty (Kasachstan) stattgefunden, wo die sieben Delegationen auch schon am 26. und 27. Februar verhandelt hatten.

Rohani hatte im Wahlkampf immer wieder scharfe Kritik an der iranischen Verhandlungsführung seit dem Amtsantritt seines Vorgängers Mahmud Ahmadinedschad Anfang August 2005 geübt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Rohani als Chefunterhändler im Atomstreit agiert. Als neuer Präsident wird er in den nächsten Tagen eine Regierung zusammenstellen und vermutlich auch das Verhandlungsteam weitgehend oder völlig neu besetzen. Sichere Informationen über seine Ministerliste gibt es bisher nicht. Alle Spekulationen und Gerüchte iranischer Medien deuten aber darauf hin, daß er etliche Politiker heranziehen will, die unter Ahmadinedschads Vorgänger Mohammad Khatami der Regierung angehörten oder damals in anderen einflußreichen Positionen waren. Einige iranische Journalisten vermuten, daß Rohani die Funktion des Chefunterhändlers von der des Sekretärs des Nationalen Sicherheitsrats trennen und künftig wieder selbst die Verhandlungsführung übernehmen will. Mit Sicherheit wird der neue Präsident sich jedenfalls sehr viel direkter in die Atomgespräche einschalten als Ahmadinedschad.

Beim nächsten, noch zu vereinbarenden Treffen wird im wesentlichen immer noch das Vorschlagspaket auf dem Tisch liegen, das die Sechsergruppe im Februar in Almaty präsentiert hat. Obwohl die Verhandlungen streng geheim geführt werden, ist dieses Arbeitspapier an die Öffentlichkeit gelangt und im Internet zu finden (kurzlink.de/Atomverhandlung).

Im Zentrum des Vorschlags steht ein Moratorium sowohl für die Anreicherung von Uran auf 20 Prozent als auch für die gesamte Anreicherungsanlage in Fordo, die durch Bunker geschützt tief unter einem Bergmassiv liegt und erst seit Dezember 2011 in Betrieb ist. Iran benötigt auf 20 Prozent angereichertes Uran zur Herstellung von Brennplatten für einen Jahrzehnte alten Reaktor in Teheran, wo medizinische Isotope, hauptsächlich für die Behandlung von Krebspatienten, produziert werden. Die eigene Anreicherung auf diesen Grad hat Iran überhaupt nur gezwungenermaßen begonnen, weil es die Brennplatten unter dem Druck der USA nicht, wie früher, auf dem Weltmarkt kaufen konnte.

Die Sechsergruppe fordert nun, daß Iran diese Anreicherung völlig einstellt. Einen nicht näher bezeichneten Teil des bisher schon angereicherten Materials soll das Land behalten können, um ihn zu Reaktorbrennstoff zu verarbeiten. Außerdem wird die Belieferung mit Brennplatten in Aussicht gestellt.

Zweitens soll die Anlage in Fordo »stillgelegt«, wenn auch nicht mehr – wie anfangs verlangt – »geschlossen« werden. Praktisch bedeutet das die Demontage eines Teils der Ausrüstung, so daß die iranischen Techniker mehrere Monate brauchen würden, um Fordo wieder betriebsbereit zu machen. Das gesamte nukleare Material soll aus der Anlage entfernt und – bis auf den Iran zugestandenen Teil – ins Ausland abtransportiert werden.

Das Moratorium soll zunächst für sechs Monate gelten und kann anschließend verlängert werden. Ihrerseits versprechen die Staaten der Sechsergruppe, daß der UN-Sicherheitsrat – so lange sich Iran an das Mora­torium hält – keine neuen Sanktionen verhängen wird. Dieses Risiko ist allerdings angesichts der Haltung von Rußland und China ohnehin gering. Außerdem sind die UN-Sanktionen nahezu wirkungslos und stellen lediglich eine Scheinlegitimation für die von den USA und der EU praktizierten einschneidenden Strafmaßnahmen dar. Was diese angeht, verspricht das Papier der Sechsergruppe nicht viel. Hauptsächlich sollten einige Sanktionen nicht umgesetzt werden, die zum Zeitpunkt der Präsentation des Vorschlags zwar geplant, aber noch nicht in Kraft getreten waren. Die EU-Staaten wollten außerdem versprechen, während der Dauer des Moratoriums keine neuen Sanktionen zu verhängen. Von den USA, deren Wirtschaftskrieg gegen Iran der ernsteste aller Faktoren ist, enthält der Vorschlag der sechs jedoch keine solche Zusage. Angesichts der aggressiven Haltung des Kongresses hat die US-Administration auf die Sanktionen ohnehin wenig Einfluß.

Von dem Moratorium würde die sehr viel weiter gehende Forderung der Sechsergruppe nach einem vollständigen Verzicht Irans auf jeden Grad von Urananreicherung nicht berührt. Es erscheint daher unwahrscheinlich, daß die neue iranische Regierung sich darauf einlassen wird. Rohanis Position, daß der Streit leicht und schnell entschärft werden könnte, wenn die Sechsergruppe Irans Recht auf Urananreicherung anerkennen würde, scheint vorerst reines Wunschdenken.

Chronologie: Verhandlungen und Sanktionen

14. August 2002: Die iranische Exilorganisation MEK gibt die Existenz zweier »geheimer iranischer Atomanlagen« bekannt. Der Atomstreit beginnt. Iran unterbreitet der Internationalen Amtomenergie-Behörde IAEA ein umfassendes Verhandlungsangebot.

12. September 2003: Der Vorstand der IAEA stellt dem Iran dennoch ein Ultimatum und droht mit Übergabe des Falles an den UN-Sicherheitsrat.

21. Oktober 2003: Iran sagt im Teheraner Abkommen mit dem EU-Trio (Deutschland, Frankreich und Großbritannien) zu, als »freiwillige vertrauensbildende Maßnahme« die Arbeiten an der Urananreicherung zu unterbrechen.

15. November 2004: Nach einem neuen IAEA-Ultimatum unterzeichnet Iran das Pariser Abkommen mit dem EU-Trio. Es sieht die Ausweitung des Moratoriums auf die Konversionsanlage in Isfahan vor, wo Uran als Vorstufe der Anreicherung in Gas umgewandelt wird. Das Moratorium soll für die Dauer der Verhandlungen gelten. Die drei EU-Staaten versprechen, in Kürze ein Angebotspaket zur Beendigung des Streits vorzulegen.

1. August 2005: Nachdem das Trio die Übergabe seiner Vorschläge mehrmals verschoben hat und ihr Angebot schließlich völlig unzureichend ausfällt, kündigt Iran die Wiederaufnahme der Produktion in Isfahan an. Das Trio bricht daraufhin sofort alle Verhandlungen mit Teheran ab.

4. Februar 2006: Der IAEA-Vorstand verweist den Konflikt an den UN-Sicherheitsrat. Dieser stellt dem Iran am 31. Juli 2006 erstmals ein Ultimatum.

23. Dezember 2006: Der Sicherheitsrat verabschiedet seine erste Sank­tionsresolution. Eine weitere folgt am 24. März 2007.

9. April 2007: Präsident Mahmud Ahmadinedschad teilt mit, Iran sei erstmals zur »industriemäßigen« Anreicherung in der Lage. In der Anlage von Natanz stehen etwa 3000 Zentrifugen. Heute sind es über 13000.

17. Mai 2010: Iran bietet, unterstützt von der Türkei und Brasilien an, im Tausch gegen Brennplatten für den noch zur Schah-Zeit von den USA gelieferten Versuchsreaktor in Tehe­ran einen großen Teil seines auf unter fünf Prozent schwach angereicherten Urans abzuliefern. Die Sechsergruppe lehnt ab und verabschiedet statt dessen am 9. Juni seine nunmehr vierte – und vorläufig letzte – Sanktionsresolution.

* Aus: junge Welt, Samstag, 3. August 2013



Gescheitertes Moratorium

Auf die Entscheidung zur Wiederaufnahme der Atomprogramme hatte Ahmadinedschad keinen Einfluß

Von Knut Mellenthin **


Irans neuer Präsident Hassan Rohani war von Oktober 2003 bis August 2005 Chefunterhändler seines Landes im internationalen Atomstreit. Unter seiner Regie vereinbarte Teheran, zunächst ohne zeitliche Befristung, ein Moratorium, von dem es ausdrücklich hieß, daß es »eine freiwillige vertrauensbildende Maßnahme« sei. Iran sei dazu »rechtlich nicht verpflichtet«. Am Ende standen UN-Resolutionen, die den Verzicht Irans auf jede Form von Urananreicherung verbindlich einforderten und Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung dieser Forderung vorschrieben.

Im Teheraner Abkommen vom 21. Oktober 2003 versprach Iran seinen damaligen Verhandlungspartnern, dem sogenannten EU-Trio Deutschland, Großbritannien und Frankreich, alle »Anreicherungsaktivitäten« zu unterbrechen. Tatsächlich war Irans damals einzige Anreicherungsanlage in Natanz erst in Bau und die Techniker des Landes waren noch gar nicht in der Lage, Uran in größerem Maßstab anzureichern. Die Produktion in Natanz lief erst im April 2007 an, nachdem der UN-Sicherheitsrat erstmals eine sanktionsbewehrte Resolu­tion verabschiedet hatte.

Was aber im Oktober 2003 bereits lief, war die Umwandlung von Uran in Gasform, eine notwendige Vorstufe der Anreicherung, in der Konversions­anlage von Isfahan. Iran stellte sich zunächst auf den Standpunkt, daß diese Arbeiten nicht Bestandteil des Moratoriums seien, da dieses nur die eigentliche Anreicherung betreffe. Die Iraner konnten sich dabei zunächst auf die Meinung des damaligen Chefs der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA), Mohammed ElBaradei, berufen. Unsinn sind alle Behauptungen, daß Rohani damit seine Verhandlungspartner »hintergangen« habe: Daß in Isfahan gearbeitet wurde, war allgemein bekannt – und wurde von den Inspektoren der IAEA gründlich überwacht. Um das Problem wurde zwischen Iran und Trio völlig offen gestritten.

Der iranischen Führung schien es damals jedoch vordringlich, eine drohende Überweisung des Konflikts an den UN-Sicherheitsrat und damit auch die Einleitung von Sanktionen zu vermeiden. In einer zweiten Vereinbarung mit dem EU-Trio, dem Pariser Abkommen vom 15. November 2004, stimmte Iran deshalb zu, für die Dauer der Verhandlungen »alle mit der Anreicherung verbundenen Tätigkeiten«, darunter auch die Konversion in Isfahan, zu unterbrechen. Im Gegenzug versprach das Trio, in Kürze ein umfassendes Angebot vorzulegen, das nicht nur Irans Recht auf Urananreicherung anerkennen, sondern auch seine Sicherheitsbedürfnisse respektieren sollte. Während im Pariser Abkommen von »verläßlichen Garan­tien« für den rein friedlichen Charakter des iranischen Atomprogramms die Rede war, stellte sich aber schnell heraus, daß die EU-Vormächte darunter in Absprache mit den USA und Israel Irans dauerhaften Verzicht auf die Anreicherung von Uran verstanden.

Als dann auch noch deutlich wurde, daß das in Aussicht gestellte Angebots­paket des Trios völlig unzureichend war, gab Iran am 1. August 2005 die Vorbereitung der Wiederaufnahme des Betriebs in Isfahan und damit den Ausstieg aus dem Moratorium bekannt. Die Schuld für die voraussehbaren Folgen wird heute auf Mahmud Ahmadinedschad abgewälzt. Der trat das Präsidentenamt aber erst am 3. August 2005 an. Auf die Entscheidung, das Moratorium zu beenden, hatte er keinen nachweisbaren Einfluß.

** Aus: junge Welt, Samstag, 3. August 2013


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