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Neue Kraftprobe in Teheran

Zum heutigen Revolutionsjahrestag macht die Opposition mobil

Von Pedram Shahyar *

Am heutigen Donnerstag (11. Feb.) werden in Iran wieder Proteste der Opposition erwartet. Der 11. Februar, der 22. Bahman des iranischen Kalenders, ist der Jahrestag der Revolution vor 31 Jahren, als ein Massenaufstand die westlich orientierte Monarchie stürzte.

Seit längerem wurde in den Straßen und auf den Kanälen der Opposition, vor allem im Internet, für diesen symbolträchtigen Tag mobilisiert. Besondere Spannung gewinnen die heutigen Proteste dadurch, dass beim letzten Aktionstag am 27. Dezember eine neue Stufe der Radikalität auf beiden Seiten zu sehen war. Die sogenannten Ashura-Proteste waren die blutigsten seit Monaten. Ausgerechnet an diesem für Schiiten wichtigsten religiösen Trauertag schossen die Sicherheitskräfte zum ersten Mal seit Wochen wieder scharf in die Menge. Dabei wurde unter anderem der Neffe des früheren Ministerpräsidenten und heutigen Oppositionspolitikers Mir Hossein Mussawi auf offener Straße durch Schüsse paramilitärischer Garden getötet.

Doch auch der Widerstand der Demonstranten war so militant wie seit Monaten nicht mehr. Reihenweise wurden die von der Regierung aufgebotenen Einheiten mit Steinen attackiert, ungezählte Barrikaden beherrschten das Straßenbild in Teheran. Die Parolen waren deutlich radikaler und richteten sich gegen den geistlichen Führer der Islamischen Republik, Ayatollah Ali Chamenei, und damit mehr als bisher gegen die politische Ordnung des Staates.

Darüber hinaus gab es mehr als bei früheren Anlässen Gerüchte, dass einzelne Polizeieinheiten vor den Demonstranten kapituliert oder ihren Einsatzleitern den Befehl verweigert hätten. Die zu Tage getretene brutale Gewalt an diesem Tag dürfte das Regime sicher weiteres Ansehen auch in den stark religiösen und bisher noch unentschlossenen Schichten gekostet haben.

Dies wurde auch daran deutlich, dass die Regierung zwei Tage später versuchte, ihre Anhänger zu mobilisieren. In Teheran waren nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 80 000 und 200 000 Menschen auf der Straße. In einem Ballungszentrum wie der iranischen Hauptstadt mit mehr als zehn Millionen Einwohnern gilt dies als nicht übermäßig viel und dürfte in solchen Zeiten der Konfrontation als deutliche Niederlage zu werten sein. In Karaj nahe Teheran, einer Stadt mit über einer Million Einwohnern, waren gerade einmal 500 Menschen für die Regierung auf der Straße.

Die Radikalität der Proteste auf der einen und die Schwäche des Regierungslagers auf der anderen Seite haben in den ersten Wochen des Jahres zu Bewegung in den politischen Lagern geführt. Von oppositionellen Politikern waren Worte der Versöhnung zu hören. Mohammed Chatami, Präsident von 1997 bis 2005, sprach sich gegen die »Radikalen in beiden Lagern« aus, und Mussawi verlangte in einer Erklärung nicht mehr die grundsätzliche Absetzung der Regierung, sondern stellte konkrete Forderungen an diese - was viele Beobachter als erstes Zeichen der Anerkennung der Regierung auslegten.

Gleichzeitig nahmen innerhalb des Lagers von Präsident Mahmud Ahmadinedschad die Spannungen zu. Die von ihm vorgeschlagene »Schocktherapie« - die Aufhebung der Subventionen für Benzin und Brot auf einen Schlag, auch unter Inkaufnahme einer Teuerungswelle -, wurde von der konservativen Mehrheit im Parlament abgelehnt. Allerdings nur, was den Schock betrifft, der soll auf fünf Jahre gestreckt werden.

Angeführt vom Parlamentspräsidenten und ehemaligen Atomunterhändler Ali Laridschani, versuchte ein moderat konservativer Block innerhalb der Regierung gleichzeitig, die Lage durch Schritte der Annäherung an die Opposition zu beruhigen. So wurde unter anderem die Ahmadinedschad nahestehende und für eine sehr harte Linie bekannte Zeitschrift »Hemmat« verboten. Im Fernsehen wurden wieder Streitgespräche ausgestrahlt, in denen Politiker der Opposition zu Wort kamen.

Als Schlüsselfigur dieser Strategie des Kompromisses und der Annäherung wird Ali Akbar Haschemi Rafsandschani, iranischer Präsident von 1989 bis 1997, vermutet, der bis zum Aufstieg Ahmadinedschads nach dem geistlichen Führer als Nr. 2 des Systems galt und dafür bekannt ist, auch hinter der politischen Bühne zu agieren. Diese Strategie war aber offensichtlich nicht von Erfolg gekrönt: Die Hardliner um Ahmadinedschad verschärften die Lage durch hartes Vorgehen weiter, so dass sich der Konflikt in letzter Zeit wieder zuspitzte. Die Festnahmen gingen nach den Ashura- Unruhen weiter.

So wurde die Verhaftungswelle inzwischen massiv auf Linke und soziale Bewegungen ausgeweitet. Aus Platzmangel in den regulären Gefängnissen sind vielerorts mobile und provisorische Gefangenenlager entstanden. Nahezu alle Aktivisten marxistischer Kreise, die in den letzten zehn Jahren insbesondere an den Universitäten entstanden, sind entweder verhaftet worden oder in den Untergrund abgetaucht.

Die Spitze der Repressionswelle war Mitte Januar erreicht, als zum ersten Mal zwei Gefangene im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Protestbewegung hingerichtet wurden. Weitere neun sind von Hinrichtung bedroht.

Unter diesen Vorzeichen und kurz vor dem 22. Bahman verschärften sich auch wieder die Erklärungen von Oppositionspolitikern. Der als sehr moderat geltende Chatami sprach davon, dass das Demonstrationsrecht auch für jene gelte, die die bestehende Ordnung nicht wollen. Letzte Woche erklärte Mussawi, dass die Revolution von 1979 ihr Ziel verfehlt und die Wurzeln der Diktatur nicht beseitigt habe. Beide riefen wieder dazu auf, sich an den Protestmärschen am heutigen Tag zu beteiligen. Die werden nun mit Spannung erwartet und können ein weiterer und bedeutsamer Schritt in der momentanen revolutionären Periode Irans werden.

* Aus: Neues Deutschland, 11. Februar 2010


31. Jahrestag der islamischen Revolution: Millionen landesweit auf den Straßen

Hunderttausende Einwohner der iranischen Hauptstadt feierten am Donnerstag (11. Feb.) den 31. Jahrestag der »islamischen Revolution«. Am 11. Februar 1979 war Mohammad Reza Pahlewi, der »Schah von Persien«, gestürzt worden. Der letzte Herrscher auf dem Pfauenthron hatte unter dem Druck von Massenprotesten bereits vier Wochen zuvor das Land verlassen.

Nach Angaben des iranischen Fernsehens demonstrierten am Donnerstag im ganzen Land »Millionen, um die Einheit der Nation« sichtbar zu machen. Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad ging in seiner Ansprache auf dem Asadi-Platz (Freiheitsplatz) auch auf den Entwicklungsstand des iranischen Atomprogramms eins. Die ersten Chargen Uran mit einer Anreicherung auf 20 Prozent seien hergestellt. Der Iran besitze allerdings die Technik zur Urananreicherung auf mehr als 80 Prozent – was unter Umständen für eine Atombombe reichen würde. Da sein Land diesen Anreicherungsgrad aber nicht benötige, werde dies auch nicht gemacht, sagte der Präsident.

Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) vermutete, daß der Iran »in einigen Tagen« die ersten Proben höher angereicherten Urans fertigstellen werde. Teheran habe begonnen, leicht angereichertes Uran in den Zentrifugen der Atomanlage in Natanz weiter aufzubereiten, hieß es laut Agenturmeldungen in einem internen Schreiben. Die Kapazitäten zur höheren Anreicherung seien aber begrenzt. Der Iran benötigt das auf 20 Prozent angereicherte Uran für einen medizinischen Forschungsreaktor.

China rief derweil zu verstärkten diplomatischen Anstrengungen auf. »Wir hoffen, daß alle Seiten ihre diplomatischen Bemühungen verstärken«, sagte Außenamtssprecher Ma Zhaoxu am Donnerstag in Peking. China lehnt derzeit die von von den USA und Frankreich geforderte »neue Runde von Sanktionen« gegen den Iran bei den Vereinten Nationen ab. Auch Rußland bekräftigte am Mittwoch, daß das Problem mit Sanktionen nicht zu lösen sei.

Am Rande der Feiern versammelten sich nach unterschiedlichen Angaben zwischen »mehreren hundert« (AP) und »Tausende Regierungsgegner« (AFP). Als sie Sprechchöre anstimmten, wurden sie nach Berichten von Augenzeugen von Polizisten mit Farbpatronen beschossen.

* Aus: junge Welt, 12. Februar 2010

Weitere Meldungen

Ebadi bittet wegen Lage im Iran Vereinte Nationen um Hilfe

Die iranische Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi hat angesichts der angespannten Lage im Iran ein Hilfegesuch an die Vereinten Nationen gerichtet. "Bitte helft uns", sagte sie bei einer Veranstaltung am UN-Sitz in Genf, "helft uns, den Frieden im Iran wieder herzustellen und das Feuer in unseren Häusern zu löschen". Es sei Zeit, dass die iranische Regierung "dem Volk zuhört, sonst gibt es schon morgen eine Katastrophe", sagte Ebadi. Die Lage im Iran soll am 15. Februar vor dem UN-Menschenrechtsrat diskutiert werden.

Ebadi bat den Menschenrechtsrat, einen Sonderberichterstatter in den Iran zu schicken, der dort die Situation verfolgen solle. "Die Menschen im Iran wollen Demokratie und die Wahrung der Menschenrechte", sagte sie in Genf. Die Veranstaltung anlässlich der für Montag geplanten Beratungen hatten Organisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch organisiert.

Am Donnerstag (11. Feb.) hatten sich am Rande der offiziellen Feierlichkeiten zum 31. Jahrestag der Islamischen Revolution Oppositionsanhänger und Sicherheitskräfte heftige Auseinandersetzungen geliefert. Dabei wurden nach Angaben der Opposition auch führende Regierungskritiker angegriffen. Die Behörden hatten für den Jahrestag Kundgebungen gegen die Regierung verboten. Dessen ungeachtet versammelten sich nach Angaben oppositioneller Internetseiten tausende Regierungsgegner auf den Straßen der Hauptstadt. Demnach setzte die Polizei Tränengas ein und nahm mehrere Demonstranten fest.

AFP, 12. Februar 2010


Deutsche Welle beschwert sich über Programmstörung im Iran

Die Deutsche Welle, die britische BBC und der US-Auslandssender Voice of America haben sich in einer gemeinsamen Erklärung über die Störung ihres Programms im Iran beschwert. Die Ausstrahlung ihrer Fernseh- und Radioprogramme per Satellit sei seit Donnerstag, dem Jahrestag der Islamischen Revolution im Iran, mehrfach unterbrochen worden, kritisierten die drei Sender. "Das widerspricht den internationalen Abkommen und greift in die internationale Sendefreiheit ein, die durch internationale Verträge geschützt ist", hieß es in der Erklärung.

Auch der Iran strahle per Satellit arabischsprachige und englischsprachige Programme im Ausland aus, hoben die Sender hervor. Gleichzeitig untersage die iranische Führung ihrem eigenen Volk, Satellitenprogramme aus dem Ausland zu nutzen. Das US-Außenministerium hatte den iranischen Behörden "eine fast vollständige Informationsblockade" vorgeworfen. Die Feierlichkeiten zum Revolutionsjahrestag im Iran waren von regierungskritischen Protesten begleitet worden. Die Behörden hatten ausländischen Reportern die Berichterstattung darüber untersagt.

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) forderte das Auswärtige Amt auf, gegen die Beeinträchtigungen freier Berichterstattung im Iran zu protestieren. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) müsse den iranischen Behörden deutlich machen, dass er die systematische Störung des Programms der Deutschen Welle nicht akzeptiere. Auch die seit langem anhaltenden Schikanen gegen ausländische Korrespondenten im Iran müssten in den Protest einfließen, erklärte DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken. Westerwelle sagte am Freitag vor Journalisten in Berlin, die massive Behinderung der Medien sei "nicht akzeptabel".

AFP, 12. Februar 2010




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