"Er ist ein kleiner Mann wie wir"
Irans hauptstädtische Gesellschaft zeigt sich über ihren Präsidenten durchaus gespalten
Von Henryk Alff *
In Teherans Norden wendet sich die Oberschicht gegen die Herrschenden. Im Süden hingegen
feiert man die Volksnähe des Präsidenten.
Ramin Ghaddami hat es geschafft. Er ist jung, erfolgreich und gefragt. Nach seinem Ökonomie-
Studium an der Universität Teheran fand er einen Job in der Telekommunikationsbranche und ist
heute mit seinen 26 Jahren bereits Abteilungsleiter beim zweitgrößten iranischen Mobilfunkanbieter.
Wie überall auf der Welt boomt auch in der Islamischen Republik Iran das Geschäft ums
Mobiltelefon. Ramin verdient daran kräftig mit.
»Iran hat sehr gute Voraussetzungen für eine stabile wirtschaftliche Entwicklung«, glaubt der junge
Mann. Die Öl- und Gaspreise im Lande seien äußerst niedrig, ein Großteil der Bevölkerung sei im
jugendlichen Alter und der Drang an die Universitäten nehme mit jedem Jahr zu. Doch die zähe
Bürokratie, der geringe Privatisierungsgrad der Ökonomie und die ausländische Ächtung, glaubt
Ramin, wirkten sich natürlich hemmend aus. »Nur Staaten wie China, Indien und Russland
investieren im großen Maße in Iran«, bedauert der Manager.
Zwischen 18 und 21 Uhr herrscht Berufsverkehr auf den Straßen der Zehn-Millionen-Metropole
Teheran, die sich auf einer Länge von 50 Kilometern an einem Hang des Alborzgebirges erstreckt.
Auf den sechsspurigen Autobahnen der Hauptstadt geht gar nichts mehr. Fahrzeuge stehen
Stoßstange an Stoßstange. Nur Scharen von lebensmüden Motorradfahrern schlängeln sich an
stinkenden Bussen und Tausenden von hupenden Pkw vorbei.
Das Zentrum Teherans wirkt wie ein übergroßer Basar. In den Erdgeschossen der Häuser haben
sich fast überall Geschäfte etabliert. Je weiter man nach Norden fährt, desto westlicher wird deren
Sortiment. In den Vierteln der reichen Oberschicht am nördlichen Stadtrand bestimmen Shopping-
Center die Szenerie, schicke Boutiquen und Schnell-Restaurants. Amerikanischer Lebensstil ist
besonders bei den Wohlhabenden beliebt, und das trotz der antiamerikanischen Politik der Mullahs.
Ramin will davon nichts wissen. Er lebt zusammen mit seinen Eltern, zwei Brüdern und einer
Schwester in einem schmucken Anwesen im Norden Teherans. Die öffentlichen Verlautbarungen
der geistlichen Elite gelangen hierhin ebenso wenig wie der Smog aus Teheraner Auspuffrohren.
Hier sorgen iranisches Satellitenfernsehen »made in California« für kritische Berichterstattung und
orientalische Musiksender aus Dubai für Unterhaltung.
»Präsident Ahmadineschad schadet dem Ansehen Irans in aller Welt wie kein anderer Politiker seit
der islamischen Revolution«, sagt Ramin und nippt nachdenklich an einem Gläschen Scotch. »Wir
brauchen keine Verleumdung des Holocausts, kein Atomprogramm und noch viel weniger diesen
Präsidenten.« Stattdessen fordert der junge Mann einen ernsthaften Dialog mit dem Westen. »In
den Siebzigern war Iran so offen wie Europa«, schwärmt Ramin – obwohl er damals noch gar nicht
gelebt hat – und meint die letzten Jahre des Schah-Regimes, als sich Frauen noch unverschleiert
und mini-berockt in der Öffentlichkeit bewegen durften.
Von dieser Liberalität ist kaum noch etwas zu spüren. Besonders im konservativen und viel ärmeren
Süden der Hauptstadt gehört der alles verhüllende Tschador der Frauen genauso zum Straßenbild
wie Propaganda-Plakate zu Ehren des jüngsten »Sieges« der libanesischen Hisbollah über Israel
und die Gebetsrufe des Muezzin vom nächsten Minarett.
In einem der eilig errichteten, grauen Blocks im Süden Teherans lebt Reza Ajavaheri. Vor wenigen
Jahren kamen seine Eltern auf der Suche nach Arbeit aus der Provinz Yazd in Zentraliran in die
Hauptstadt. Rezas Vater Said ist heute Angestellter einer Maschinenbaufirma. Das Geld reicht
gerade aus, um die Familie zu ernähren. Said hofft, dass es seinen Kindern einmal besser gehen
wird. Er unterstützt deshalb das Soziologie-Studium seines Sohnes, und die Präsidentschaft
Ahmadineschads.
»Er ist ein kleiner Mann wie wir«, ist Said überzeugt. Darum habe er auch bei den
Präsidentschaftswahlen 2005 für ihn gestimmt. Schon jetzt habe Ahmadineschad die meisten
iranischen Provinzen besucht, und überall wichtige Baumaßnahmen durchführen lassen. »So Gott
will, geht es nun mit Iran wieder voran«, glaubt der 40-jährige Familienvater und verweist auf das
friedliche Atomprogramm Irans als infrastrukturelles Prestigeprojekt.
»Die Aufregung um die Reden Ahmadineschads, in denen vom Holocaust die Rede ist, kann ich
nicht verstehen«, schüttelt sein Sohn den Kopf. »Hat es denn so etwas wirklich gegeben?« Er habe
nicht einmal an der Universität etwas davon gehört. Wenn wir mehr davon wüssten, wäre er sehr
daran interessiert, mehr zu erfahren.
Unterdessen bringt das staatliche Fernsehen die Abendnachrichten. Ein strahlender Präsident
eröffnet im Blitzlichtgewitter eine Fabrik für schweres Wasser. In seiner Rede spricht er von
Rechtmäßigkeit des iranischen Atomprogramms, von Fortschritt und Frieden. Während
Ahmadineschad das rote Band durchtrennt, dreht sich Said um. »Seht ihr«, versucht er uns zu
überzeugen, »es ist gut für Iran, und keine Bedrohung für euch im Westen.«
* Aus: Neues Deutschland, 28. Oktober 2006
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