Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Iran: Todesdrohung gegen Oppositionsführer

Zehntausende Regimeanhänger in Iran zusammengetrommelt / Dutzende Tote bei Protesten in Libyen / Ägypter fordern schnellere Reformen *

Zehntausende Regierungsanhänger sind in Iran dem Aufruf von Präsident Mahmud Ahmadinedschad gefolgt und haben in aufgeheizter Stimmung gegen die Opposition demonstriert. Auch in Libyen drohen nach tagelangen Protesten gegen Machthaber Muammar al-Gaddafi dessen Gefolgsleute mit Gewalt gegen Oppositionelle. Unterdessen wollen die Ägypter ihre Reformen vorantreiben.

Die vor der Teheraner Universität versammelte Menge rief Todesdrohungen gegen die Oppositionsführer Mir Hussein Mussawi und Mehdi Karrubi: »Tod Mussawi, Tod Karrubi«. Geistliche nutzten das Freitagsgebet zu Anfeindungen der Regierungsgegner.

Die offiziellen Wortführer der Demonstranten vor der Universität feuerten die Menge an, die lautstark die Hinrichtung Mussawis und Karrubis forderte. Nach dem Freitagsgebet (am 18. Feb.) stießen die Geistlichen zu den Demonstranten auf dem Revolutionsplatz und skandierten dieselben Forderungen: »Tod Mussawi, Tod Karrubi!« In seiner Predigt verlangte Ayatollah Ahmed Dschanati, Chef des mächtigen Wächterrates, die völlige Isolation Mussawis und Karrubis.

Der Leiter der iranischen Justiz, Ayatollah Sadek Laridschani, hatte zuvor angekündigt, dass Mussawi und Karrubi künftig »keine Erklärungen« mehr veröffentlichen könnten. Er bezeichnete sie als »Verräter«. Die beiden Oppositionsführer stehen bereits seit Tagen de facto unter Hausarrest.

Nach tagelangen Protesten gegen den libyschen Herrscher Muammar al-Gaddafi haben dessen Gefolgsleute mit massiver Gewalt gegen Oppositionelle gedroht. Die sogenannten Revolutionskomitees erklärten am Freitag, weitere Demonstrationen würden mit »harter« Gewalt beantwortet. Seit Dienstag sollen bei den Protesten Dutzende Menschen durch Sicherheitskräfte getötet worden sein. Bei Demonstrationen gegen Gaddafi sollen in Bengasi allein am Freitag 25 Menschen getötet worden sein. Das verlautete aus gut unterrichteten Kreisen in Libyen. Polizei und Mitglieder der Revolutionskomitees seien mit Gewalt gegen Oppositionelle vorgegangen.

Derweil haben Hunderttausende Ägypter am Freitag in Kairo auf dem zentralen Tahrir-Platz für zügigere Reformen demonstriert. Die Menge skandierte: »Weg mit der Regierung! Weg mit dem Ausnahmezustand!« Genau eine Woche nach der Entmachtung von Präsident Husni Mubarak waren die Demonstranten dem Aufruf der Demokratiebewegung gefolgt, den »Freitag des Sieges« zu feiern.

Erstmals seit dem Rücktritt Mubaraks sind in Ägypten mehrere ehemalige Minister festgenommen worden. Örtliche Medien meldeten, der ehemalige Innenminister Habib al-Adli, Ex-Wohnungsbauminister Ahmed al-Maghrabi sowie der frühere Tourismusminister Suhair Garana befänden sich in Untersuchungshaft. Ihnen wird die Veruntreuung öffentlicher Gelder vorgeworfen.

Bei einer Oppositionskundgebung in Bahrains Hauptstadt Manama eröffnete die Polizei am Freitag (18. Feb.) das Feuer auf die Demonstranten. Dutzende Menschen wurden verletzt. Es war die erste Kundgebung, seit bei der gewaltsamen Niederschlagung von Protesten in der Nacht zu Donnerstag vier Menschen getötet worden waren.

Bei einer Demonstration gegen die Regierung in Jemen sind in der Stadt Taes mindestens zwei Menschen durch eine Granate getötet worden. 27 weitere seien verletzt worden, als Unbekannte den Sprengsatz mitten in die Menge geworfen hätten, die sich im Zentrum der Stadt versammelt hatte, sagten Sanitäter am Freitag.

Widerstand regt sich auch in Oman: Rund 800 Menschen haben am Freitag (18. Feb.) in dem Golf-Sultanat für ein Parlament mit mehr Vollmachten demonstriert. Die Teilnehmer skandierten Parolen wie »Ja zu Reformen! Nein zur Korruption!« und »Wir wollen Demokratie!«, berichteten Augenzeugen. Oman wird von Sultan Kabus nahezu absolutistisch regiert.

* Aus: Neues Deutschland, 19. Februar 2011

Todesdrohung

Mehdi Karrubi - der iranische Oppositionsführer wird mit dem Tode bedroht **

Tausende Anhänger des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad haben am Freitag (18. Feb.) auf einer Demonstration Todesdrohungen gegen Mehdi Karrubi skandiert. Der Oppositionspolitiker ist der Teheraner Führung seit Jahren ein Dorn im Auge. Seine regierungskritische Zeitung »Etemad Melli« wurde geschlossen, sein Auto beschossen, sein Büro verwüstet. Nach Angaben seiner Webseite Sahamnews belegten die Behörden den 73-Jährigen zuletzt mit Hausarrest.

Der schiitischer Geistliche, 1937 in Aligudarz am Fuße des Zagrosgebirges geboren, trägt den religiösen Titel Hodschatoleslam val Moslemin und ist in der klerikalen Hierarchie damit unter dem Ayatollah angesiedelt. Schon in den 1960er Jahren machte sich Karrubi aber auch einen Namen als politischer Aktivist; mehrfach wurde er verhaftet und interniert. Nach 1979 hatte er dann Sitz und Stimme in wichtigen Gremien der Islamischen Revolution, war an der Ausarbeitung einer neuen Verfassung beteiligt und zog 1980 ins Parlament ein. Zwei Mal wurde er dort zum Sprecher bestimmt, zuletzt 2000 bis 2004. Im Jahr darauf kandidierte Karrubi erstmals bei den Präsidentschaftswahlen, scheiterte aber im ersten Wahlgang mit 17,24 Prozent der Stimmen knapp. Er gründete eine eigene Partei (Etemad-e Melli – Nationales Vertrauen) und trat 2009 erneut an. Bei der von Manipulation überschatteten Wiederwahl Ahmadinedschads kam er jedoch nur noch auf 0,9 Prozent der Stimmen und lag damit auch deutlich hinter dem zweiten Oppositionskandidaten Mussawi (33,7 Prozent).

Karrubi gilt im westlichen Ausland gemeinhin als wichtiger Reformer. Beobachter wie der iranische Publizist Bahman Nirumand sehen ihn kritischer. Karrubi selbst versteht sich als »Teil des islamischen Systems«, das er nie grundsätzlich in Frage gestellt hat. Doch verurteilt er den Führungsstil von Ahmadinedschad. Brandreden etwa würden nur Probleme für Iran verursachen. »Ich war mehr als 40 Jahre ein Soldat im Dienste dieses Landes und habe keine Angst vor Drohungen«, betonte Karrubi jetzt auf seiner Webseite. Statt zu drohen, sollte die Regierung »lieber die Unterdrückung der Menschen beenden, Pressefreiheit zulassen und die Verfassung achten«. Mattes Dellbrück

** Aus: Neues Deutschland, 19. Februar 2011



"Siegesmarsch" nach den Freitagsgebeten

In Ägypten gedenken Hunderttausende der Opfer des Aufstands. Achter Protesttag in den Städten Jemens ***

Hunderttausende Ägypter haben am »Freitag des Sieges und der Fortführung« den Sturz von Präsident Hosni Mubarak gefeiert. Im Jemen gingen bereits am achten Tag in Folge erneut Tausende Menschen auf die Straße und verlangten den Rücktritt von Präsident Ali Abdullah Saleh.

Auf dem Kairoer Tahrir-Platz kamen nach dem Freitagsgebet (18. Feb.) etwa eine Viertel Million Menschen zu einem »Siegesmarsch« zusammen. Die Kundgebungen in Kairo und Alexandria wurden von Beobachtern als »Signal« an die Generäle gewertet, daß sie sich »besser an ihre Versprechen halten« sollten, innerhalb von sechs Monaten einer frei gewählten Regierung Platz zu machen. Laut der Agentur dapd wurde gefragt, wie ernst es der Übergangsregierung mit der »Umsetzung demokratischer Reformen« ist.

Nach dem Abgang Mubaraks vor einer Woche verfolgt der Oberste Rat der Streitkräfte das Ziel, ein Ende der Proteste sowie eine Normalisierung des Alltags durchzusetzen. Am Freitag hatten die Demonstranten in einer Ecke des Tahrir-Platzes ein Mahnmal für die während des Aufstands gegen Mubarak Getöteten errichtet. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums kamen in den 18 Protesttagen 365 Zivilisten ums Leben. Viele Besucher legten Blumen nieder.

Bei Demonstrationen in der jemenitischen Kapitale Sanaa gingen ebenfalls am Freitag Sicherheitskräfte mit Tränengas gegen die Demonstranten vor und feuerten Warnschüsse ab. In der Stadt Taes starben mindestens zwei Menschen durch eine Granate. 27 weitere seien verletzt worden, als Unbekannte den Sprengsatz mitten in die Menge geworfen hätten, die sich im Zentrum der Stadt versammelt hatte, sagten Sanitäter.

Im Anschluß an das Freitagsgebet waren Zehntausende Menschen in mehreren Städten des Landes den über Facebook und Twitter verbreiteten Aufrufen zu Protesten gefolgt. (dapd/AFP/jW)

*** Aus: junge Welt, 19. Februar 2011


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