Iranische Parallelen und Differenzen
Der Oppositionsbewegung fehlt noch manches, unter anderem ein charismatischer Führer
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Die iranische Opposition hatte gleich zwei gute Gründe, ihre Anhänger
ausgerechnet am vergangenen Wochenende zu neuen Protesten aufzurufen.
Es war die Aschura, der zehnte des Trauermonats Muharram, da die
Schiiten des Märtyrertodes Hosseins gedenken, des Enkels des Propheten
Mohammed. Umgebracht hatte ihn Schah Yesid aus der mächtigen Sippe der
Omajaden, die im siebten Jahrhundert von Damaskus aus über ein
islamisches Weltreich herrschte, das sich bis nach Spanien erstreckte.
Aus Sicht der Schiiten waren es Usurpatoren, die direkte Verwandte des
Religionsstifters um den Thron des Kalifen gebracht hatten.
Den Versuch, die Fehlentwicklung zu korrigieren, bezahlte Hossein mit
dem Leben. Auch weil ihm nur wenige bis zuletzt die Treue hielten. Aus
Reue darüber ziehen im schiitischen Iran am Aschura-Tag alljährlich
Tausende zu öffentlichen Geißelungen durch die Straßen. Für die
Opposition ist dies die einzige Chance für legale Kundgebungen. Denn die
müssen in der Islamischen Republik einen religiösen Anlass haben.
Aus religiösen Gründen gab sich die Opposition auch einen Namen, der
westliche Beobachter irritiert, weil sie ihn mit Umweltschutz
assoziieren. Grün steht in Iran indes nicht für Ökologie, sondern als
Farbe des Propheten für den Islam. Für den schiitischen, der - wie
Georgi Mirski vom Moskauer Institut für Weltwirtschaft und
internationale Beziehungen weiß - keine Ungerechtigkeiten, auch keine
Wahlfälschungen, duldet und den Kampf gegen eine ungerechte und
ineffiziente Macht zur Pflicht eines jeden Gläubigen macht.
Das wurde 1979 schon dem Schah zum Verhängnis. Seine Armee verweigerte
den Schießbefehl, als am Tag der Aschura - er fiel damals in den Januar
- in Teheran Hunderttausende seinen Rücktritt forderten und den Sieg der
Islamischen Revolution ausriefen. Für die heutige Opposition ein
weiterer Grund für neue Aktionen akkurat zu diesem Datum. Russische
Experten wie Mirski und Kollege Andrej Piontkowski vom Institut für
Systemanalyse der Russischen Akademie der Wissenschaften warnen dennoch
davor, einfach Parallelen zu ziehen. Zwar seien die Situation sehr ernst
und das Regime auf dem absteigenden Ast. Auch weil ihm der Rückhalt bei
den Eliten, die von den internationalen Sanktionen wegen Irans
Kernforschungsprogramm hart getroffen werden, mehr und mehr abhanden
komme. Prognosen, ob und wann die Rebellion das Regime stürzen kann,
wagt dennoch niemand. Zum einen, weil die Opposition schwach und uneins
ist. Auch über Ziele und Kampfmethoden. Eine gemäßigte Mehrheit will nur
Reformen, zu revolutionären Veränderungen, gar zu einem Macht- und
Systemwechsel ist gegenwärtig nur eine radikale Minderheit bereit.
Obwohl Reformen nur sehr begrenzt möglich sind, auch bei gutem Willen
von Regierung und Parlament: Das eigentliche Sagen haben der geistige
Führer und der ihm unterstehende Wächterrat, der jeden Beschluss von
Legislative und Exekutive als unislamisch annullieren kann.
Zwar gibt es vage Anzeichen dafür, dass der Spaltpilz auch die
islamische Geistlichkeit infiziert hat. Bei der Beisetzung von
Großayatollah Hossein Ali Montaseri, einst glühender Anhänger von
Revolutionsführer Ayatollah Ruhollah Khomeini, dann dessen Gegner,
fielen durchaus Worte, die auf Rebellion hindeuten. Wie stark dieses
Lager ist, lässt sich wegen der rigiden Zensur jedoch nicht feststellen.
Auch beschränkt sich der Protest - wie schon nach den Präsidentenwahlen
im Juni - auf Teheran und andere große Städte. Die Mehrheit der
Bevölkerung lebt aber auf dem Land, hat von der Bodenreform der
Islamischen Republik profitiert und vertritt eine ähnlich rigide
islamische Moral wie die Massen im benachbarten Afghanistan.
Dazu kommt, dass der im westlichen Exil lebende Sohn des Schahs, dessen
Regierungszeit viele ältere Iraner mit dreißigjährigem Abstand trotz
aller Fehlleistungen und Demokratiedefizite als beste Zeit ihres Lebens
verklären, derzeit die Übernahme politischer Verantwortung ablehnt und
die Machtübernahme der Opposition nur unterstützen will. Einen Führer
mit Charisma aber hat die Opposition bisher nicht in den eigenen Reihen.
Und damit hat sie in Iran, das in der Tradition des Gottkönigtums steht,
bis auf weiteres keine guten Karten.
* Aus: Neues Deutschland, 30. Dezember 2009
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