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Irans Atomprogramm: Alles ist viel schlimmer als gedacht

Die Schlussfolgerungen über Irans Atomprogramm, die von US-Analysezentren für den designierten Präsidenten Barack Obama gemacht wurden, sind mehr als überraschend.

Von Pjotr Gontscharow *

Die Situation, die mit der Schaffung eines eigenen nuklearen Zyklus in Iran zu tun hat (dieser Zyklus öffnet Teheran das Tor zum Bau von Atomwaffen) sei nicht so schlecht, wie gedacht, sondern viel schlimmer, verlauteten die US-Experten.

Den neuesten Informationen der Zentren zufolge bleibt uns nichts anderes übrig, als aus zwei Optionen zu wählen. Entweder müssen wir damit einverstanden sein, dass in sechs Monaten Iran genug Uran haben wird, um eine eigene Atombombe bauen zu können, oder wir werden darüber aus einer offiziellen Mitteilung der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEO) erfahren müssen. Der Grund dazu lieferte der letzte Jahresbericht des IAEO-Chefs Mohamed ElBaradei.

Die US-Expertengemeinschaft hat diese Tatsache anerkannt und spaltete sich sofort in zwei Fraktionen - in Pessimisten und in relative Optimisten. Der ehemalige amerikanische UN-Botschafter John Bolton, stellvertretend für die erste Fraktion, rechnet damit, dass es nichts mehr in der Welt gibt, was Iran noch daran hindern könnte, eine Atommacht zu werden. Die zweite Fraktion sucht die Rettung auf dem Wege der Diplomatie.

Bolton vertritt die Meinung, dass sowohl George W. Bush als auch Barack Obama sehr viel darüber gesprochen haben, dass ein atomwaffenbesitzendes Iran für die Vereinigten Staaten inakzeptabel sei. Doch keiner von ihnen verfügt über die Mittel, um diese Position in die Tat umzusetzen.

Israel als Hauptgegner eines Irans mit einem geschlossenen nuklearen Zyklus würde sich kaum dazu entschließen, einen Schlag gegen Atomobjekte in dem Mullah-Staat zu verüben, um so mehr, wenn man bedenkt, dass dies vor dem 20. Januar geschehen müsste - das heißt noch vor dem Amtsantritt Obamas.

Die Optimisten gehen davon aus, dass die nuklearen Ambitionen Irans nicht soweit reichen, und der Mullah-Staat lediglich das Ziel verfolge, seine Ansprüche auf die Position einer regionalen Supermacht zu untermauern. In diesem Fall wäre es durchaus möglich gewesen, sich mit Iran über seine Einflussgrenzen am Persischen Golf zu einigen. Die Verhandlungen müssten dann gleichzeitig in vier Richtungen geführt werden. Dabei handelt es sich um die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen, das iranische Atomprogramm, die regionale Sicherheit und die Beilegung des arabisch-israelischen Konflikts.

Alles richtig, aber... Moskau versucht schon seit langem, das Weiße Haus dazu zu bewegen, solch eine „Roadmap“ für die Lösung des Atomstreits mit Iran einzusetzen. Russland hatte schon einmal versucht, dieses Vorhaben auf den Plan zu rufen, als Iran noch über keine einzige Zentrifuge für die Urananreicherung verfügte. Derzeit besitzt Iran schätzungsweise 4000 bis 6000 Zentrifugen.

Der Zeitpunkt wurde verpasst. Es ist nun eine große Frage, ob Iran damit einverstanden sein wird, die Urananreicherung zu stoppen, wenn es dem neuen US-Präsidenten gelingen sollte, direkte Verhandlungen mit Teheran aufzunehmen.

Vielleicht hat John Bolton sogar Recht, wenn er sagt, die Atom-Unterhändler hätten sich schon früher auf gegen Iran gerichtete straffe Wirtschaftssanktionen einigen müssen, bis hin zu einer wirtschaftlichen Isolation, um Teheran dazu zu zwingen, auf die Urananreicherung zu verzichten.

Denn auf dem Spiel stand das heute geltende Regime der Nichtweiterverbreitung! Nun aber ist es höchste Zeit, sich die Frage zu stellen: Wer ist der Nächste? Wer wird als nächster in dieser Region seine Ansprüche auf den eigenen nuklearen Zyklus „zu friedlichen Zwecken“ geltend machen? Wer wird einen Schritt vor einer Atombombe entfernt sein? Saudi-Arabien? Ägypten? Türkei?

Auf den Tisch des designierten US-Präsidenten wurden zwei Szenarien der Lösung des Atomstreits mit Iran gelegt. Das erste Szenario sieht die Verhandlungen unter Androhung von Gewalt vor, bis hin zu einer Militäroperation. Das zweite Szenario setzt auf diplomatische Bemühungen, bis hin zur Anerkennung der regionalen Vormachtstellung Irans.

Die Frage ist, ob Barack Obama genug Zeit haben wird, um das zweite Szenario umzusetzen, und ob er genug Mut haben wird, um das erste Szenario zu realisieren.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 5. Dezember 2008; http://de.rian.ru


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