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"Die EU hatte sich mit ihrer Maximalforderung ins Fahrwasser der USA begeben"

Die Angriffsdrohung gegen den Iran besteht weiter - Was passiert im Iran? Interview mit Bahman Nirumand *

Das folgende Interview mit Bahman Nirumand wurde im Juli geführt. Seither ist die Iran-Debatte vom neu auflebenden Nahostkrieg in den Hintergrund gedrängt worden. Zu Unrecht, denn an den Zielen der US-Administration, einen Regimewechsel in Teheran notfalls auch durch einen Krieg herbeizuführenm hat sich nichts geändert. Der UN-Sicherheitsrat hat mittlerweile den Wünschen des Westens Rechnung getragen und am 31. Juli eine Resolution verabschiedet, die zwar noch keine Sanktionen enthält, aber dem Iran eine Frist bis Ende August gibt, die Urananreicherung einzustellen. Andernfalls drohen Sanktionen nach Art. 41 der UN-Charta (friedliche Sanktionen). Teheran hat klar gestellt, dass es erstens das Angebot der EU vom Juni d.J. noch im Laufe des Monats August beantworten werde und zweitens nicht bereit sei, auf das Recht auf Urananreicherung, das nach dem Atomwaffensperrvertrag jedem Staat zusteht, zu verzichten.
Das Interview mit einem der besten Irankenner hier zu Lande wurde im FriedensJournal veröffentlicht (Titel: "Was passiert im Iran").



Frage: Bevor wir auf die iranische Politik und der Situation im Iran kommen: Was sind Ihrer Meinung nach – kurz formuliert - die Ziele der US-Regierung im Mittleren Osten und speziell in Bezug auf den Iran?

Bahman Nirumand: Die US-Regierung war schon immer bestrebt, den gesamten Nahen und Mittleren Osten militärisch und politisch unter ihre Kontrolle zu bringen, denn hier lagern die größten Ölreserven der Welt. Dieses Ziel ist inzwischen weitgehend erreicht. Es gibt nun zwei wichtige Lücken, die geschlossen werden sollen: Iran und Syrien. Die USA scheinen entschlossen, in diesen beiden Ländern ein Regimewechsel durchzusetzen.

Die derzeitig wichtigste Frage – zumindestens in unseren Medien – scheint zu sein: Strebt das Iranische Regime mit dem zivilen Atomprogramm auch nach der Atombombe?

Aus der Sicht des im Iran herrschenden Regimes betrachtet gibt es dafür durchaus objektive Gründe. Das Land ist von amerikanischen Militärs umzingelt. Im Irak und Afghanistan sind die USA als Besatzungsmacht präsent, in der Türkei als Mitglied der NATO, in den meisten ehemaligen Sowjetrepubliken unterhalten die Amerikaner Stützpunkte, Pakistans Armee steht praktisch unter amerikanischem Befehl und das gesamte Gebiet am Persischen Golf wird von US-Streitkräfte kontrolliert. Iran ist auch von Atommächten umgeben: im Osten von Indien und Pakistan, im Norden von Russland und im Westen von Israel. Zwar beteuert das Regime in Teheran immer wieder, die Atomenergie ausschließlich für friedliche Zwecken verwenden zu wollen, aber hinter vorgehaltener Hand wird die Notwendigkeit einer atomaren Bewaffnung zum Schutz der Landesgrenzen hervorgehoben.

Daran schließt sich die nächste Frage an: Hat das Iranische Regime Großmacht-Ambitionen?

Außenpolitisch verfolgt die Regierung Ahmadinedschad nach eigenen Angaben zwei Ziele. Erstens soll ein Block islamischer Länder entstehen, bei dem Iran eine führende Rolle übernehmen soll. „Wir bilden die reichste Region der Welt“, sagte der Regierungschef kürzlich. Ein Block islamischer Staaten würde sich sowohl wirtschaftlich als auch politisch international behaupten können. Das zweite Ziel ist, weg vom Westen, hin zum Osten. Dem Regime in Teheran schwebt vor, gemeinsam mit China, Russland, einigen zentralasiatischen Staaten und möglicherweise Indien und Pakistan eine Gegenmacht zu den USA zu bilden. Aus diesem Grund hat Iran an dem Gipfel der Schanghai Kooperationsorganisation (SCO) teilgenommen und die volle Mitgliedschaft beantragt.

Nochmals zum iranischen Atomprogramm: Die vorgeblichen Verhandlungen darüber ziehen sich schon sehr lange hin. Warum gab es vor dem Amtsantritt Ahmadinedschads keine diplomatische Lösung?

Weil die USA von Anbeginn bestrebt waren, den Atomkonflikt eskalieren zu lassen, um so rasch wie möglich Sanktionen gegen den Iran durchführen zu können. Vergessen wir nicht, dass die USA spätestens seit dem 11. 9. 2001 einen Regimewechsel im Iran anstreben. Die EU-Staaten haben zunächst einen anderen Weg eingeschlagen und versucht, den Konflikt auf diplomatischem Weg zu lösen. Bei den Verhandlungen, die 2003 mit Teheran aufgenommen wurden, ging es in erster Linie darum, Irans Atomprogramm unter die Kontrolle der Internationalen Atombehörde (IAEA) zu bringen. Iran zeigte sich sehr kooperativ und erklärte sich sogar bereit, sein Atomprogramm für die Dauer der Verhandlungen auszusetzen. Doch 2004 nahmen die EU-Staaten Deutschland, Frankreich und Großbritannien unter dem Druck der USA einen Kurswechsel vor. Sie forderten, Iran solle vollständig und dauerhaft auf Urananreicherung und Herstellung des atomaren Brennstoffs im eigenen Land verzichten – eine Forderung die sich gegen die Satzung der IAEA richtet. Denn im internationalen Atomwaffensperrvertrag wird ausdrücklich jedem Mitglied das Recht zugestanden, den atomaren Brennstoff zu friedlichen Zwecken herzustellen. In diesem Vertrag wird sogar die Atombehörde verpflichtet, die Mitgliedsländer dabei zu unterstützen. Selbstverständlich konnte Iran dieser Forderung nicht zustimmen.

Die EU hatte sich mit ihrer Maximalforderung ins Fahrwasser der USA begeben und damit den Weg einer friedlichen Lösung verlassen. Dennoch versuchten die Reformer unter Präsident Chatami einen Ausweg zu finden, aber die EU blieb hart und drohte mit der Einschaltung des UN-Sicherheitsrats. Im Gegensatz zu Chatami zeigte sich Ahmadinedschad, der im Juli 2005 die Regierung übernahm, unnachgiebig, was der EU dazu veranlasste, die Übergabe der Akte Iran an den Weltsicherheitsrat zu beantragen und schließlich auch durchzusetzen.

Können Sie ergänzend dazu den russischen Vorschlag vom Anfang dieses Jahres etwas näher erläutern?

Russland und China waren von Anbeginn gegen Wirtschaftssanktionen und erst recht gegen militärische Maßnahmen, weil beide Länder weitreichende Wirtschaftsbeziehungen zum Iran pflegen. China ist existenziell auf iranisches Öl und Gas angewiesen. Moskau legte zunächst den Vorschlag vor, Iran solle für einige Jahre auf die Herstellung des atomaren Brennstoffs im eigenen Land verzichten und den benötigten Brennstoff gemeinsam mit Russland auf russischem Territorium herstellen. Da Iran auch diesem Vorschlag nicht zustimmen konnte, einigte man sich darin, dass Iran erlaubt wird, auf niedriger Ebene und nur zu Forschungszwecken Uran im eigenen Land anzureichern, die industrielle Anreicherung solle jedoch in Russland erfolgen. Diese Einigung, die von der IAEA begrüßt wurde – auch die Europäer bezeichnete den Vorschlag als positiv – wurde von Washington abgelehnt. Russlands Außenminister flog kurz vor der entscheidenden IAEA-Sitzung im März 2006 nach Washington, traf sich mit seiner amerikanischen Kollegin und erklärte nach dem Gespräch zum Erstaunen aller Welt vor der Presse, Russland habe keinen neuen Vorschlag. Damit war ein Lösungsvorschlag, bei dem Iran sein Gesicht wahren konnte und der gleichzeitig die Gefahr einer atomaren Aufrüstung Irans ausgeschlossen hätte, aufgrund des Widerstands aus Washington gescheitert.

Wie erfolgversprechend kann man denn die neuen Vorschläge an den Iran bezeichnen? Sind diese wirklich ein Durchbruch?

Da bin ich ziemlich skeptisch. Denn erstens sind die in dem Paket gebotenen Anreize nicht besonders verlockend, vor allem weil sie die Sicherheitsbedürfnisse Irans nicht berücksichtigen. Die USA haben mehrmals erklärt, dass sie nicht bereit wären, Iran die nötigen Sicherheitsgarantien zu gewähren. Zweitens wird von Iran wiederum der Verzicht auf Urananreicherung und die Aussetzung seines Atomprogramms verlangt, was ein Verzicht auf ein verbrieftes Recht bedeuten würde. Ahmadinedschad kann, nachdem er und seine Regierung dieses Recht zu nationalen Ehre hochstilisiert und Millionen im Land dafür mobilisiert hat, ohne Machtverlust diesem Vorschlag nicht zustimmen. Das wissen auch die Amerikaner und Europäer. Aus diesem Grund bin ich der Meinung, dass das Vorschlagspaket eher dazu dient, Iran als Bösewicht und Schurkenstaat darzustellen, als ein Land, gegen das Sanktionen oder gar militärische Maßnahmen gerechtfertigt sind.

Der Iran beruft sich auf sein Recht zur friedlichen Nutzung der Kernenergie. Braucht er diese wirklich?

Nach meiner Auffassung braucht Iran keine Atomindustrie. Erstens sind Atomreaktoren in einem Land, das ständig von Erdbeben heimgesucht wird, sehr gefährlich. Zweitens sind Atomreaktoren sehr kostspielig. Drittens verfügt Iran über reichlich Sonne, Wasser und Wind und könnte sein Energiebedarf weit billiger aus diesen Gaben der Natur decken. Aber ich denke, im Grunde geht es bei dem Konflikt nicht in erster Linie darum, eine Atommacht Iran zu verhindern. Denn selbst wenn Iran die Atombombe herstellen wollte, würde er nach Einschätzung von Experten mindestens fünf bis zehn Jahre dafür brauchen. Eine unmittelbare Gefahr besteht also nicht. Selbstverständlich möchten die USA einen Zugang Irans zum Club der Atommächte verhindern. Aber es geht um weit mehr als das, es geht, wie bereits erwähnt, um die Sicherung der Energiequellen und der Märkte.

Kommen wir nun zur Gesamtsituation im Iran selbst, so wie sie sich seit nunmehr 27 Jahren darstellt. Wie kann man die wesentlichen Merkmale des herrschenden Regimes umschreiben?

Das Regime krankt von Anbeginn an dem Widerspruch zwischen einem Gottesstaat und einer Republik. Schon der Name Islamische Republik ist ein Widerspruch in sich. Denn ein islamischer Staat, ein Gottesstaat, empfängt seine Anweisungen von Gott oder von seinen selbsternannten Stellvertretern auf Erden, eine Republik hingegen richtet sich nach dem Willen des Volkes. Dieser Widerspruch kommt auch in der Verfassung zum Ausdruck. Es gibt zwar in der Islamischen Republik ein vom Volk gewähltes Parlament, auch der Staatspräsident wird direkt vom Volk gewählt. Aber diese Instanzen haben gegenüber jener Instanzen wie die des Revolutionsführers, dessen Befugnisse nahezu uneingeschränkt sind, des Wächterrats, der die Beschlüsse des Parlaments zurückweisen und auch bestimmen kann, wer sich für das Amt des Staatspräsidenten oder einen Sitz im Parlament bewerben darf oder der Justiz, dessen Chef vom Revolutionsführer ernannt wird, keine Macht. Dieses System, das als Welayat-e Faghieh (Herrschaft der Geistlichkeit) bezeichnet wird, bildet eine von drei Säulen des Gottesstaates. Der genannte Widerspruch in diesem System hatte die Folge, dass der Gottesstaat sich bis zum heutigen Tag nicht fest etablieren konnte und sich daher in dauerhafter Krise befindet.

Die zweite Säule bildete die bereits von Chomeini proklamierte Solidarität für die Armen, die er als „Barfüßige und Habenichts“ bezeichnete. Doch auch diese Säule hat längst Risse bekommen, weil die Geistlichen statt für die Armen, in die eigene Tasche gewirtschaftet haben. Heute leben rund fünfzig Prozent der Bevölkerung an oder unter der Armutsgrenze. Demgegenüber sind die führenden Geistlichen zu Millionären und Milliardären geworden. Ahmadinedschad will nun wieder an die Ideale der Revolution anknüpfen, er will nach eigenen Angaben die Korruption abschaffen und soziale Gerechtigkeit walten lassen. Ob ihm dies gelingt, ist höchst fraglich. Jedenfalls hat er, seit einem Jahr im Amt, bisher durch seine Konzeptlosigkeit ein Chaos angerichtet. Die Folge ist eine enorme Kapitalflucht und Flucht der Fachkräfte ins Ausland.

Auch die dritte Säule des islamischen Gottesstaats, die Feindschaft gegen den Westen, hat sich als Flop erwiesen. Denn diese Feindschaft war im Grunde nichts anderes als der Versuch, Dämme gegen die Moderne zu errichten und die iranische Gesellschaft vollständig zu islamisieren. Doch auch hier sah sich das Regime mit einem unlösbaren Widerspruch konfrontiert, dem Widerspruch zwischen technisch-wissenschaftlichen Fortschritt, auf den das Regime nicht verzichten konnte und auch nicht wollte, und kultureller, geistiger und gesellschaftlicher Stagnation, die das Regime dem Volk aufzwingen wollte. Gegen den Willen der Staatsführung hat sich im Iran inzwischen eine breite und weit entwickelte Zivilgesellschaft gebildet, die die Islamisten immer mehr in die Isolation treibt.

Damit weisen Sie auch auf offensichtliche Veränderungen hin, die sich in den letzten Jahren im Iran ergeben haben. Welche Entwicklungen wären hier noch besonders hervorzuheben?

An der Entwicklung der iranischen Zivilgesellschaft haben Frauen einen großen Anteil. Ihr unglaublich mutiger Kampf für Gleichberechtigung, die sie – wie soll es anders sein – noch längst nicht erreicht haben, hat Millionen im Iran die Augen geöffnet und sie ermuntert, an der gesellschaftlichen Emanzipation teilzunehmen. Auch die Jugend, damals Feuer und Flamme für die Revolution, hat sich von den Vorstellungen der Islamisten weit entfernt. Heute sind mehr als 50 Prozent der iranischen Bevölkerung unter 25 Jahre alt. Diese Jugendlichen wollen endlich frei sein, wollen ihre Begabungen frei entwickeln, sie wollen am Leben Spaß haben. Zu nennen sind natürlich auch die Journalisten, Schriftsteller, Künstler und Intellektuelle, die einen unerbittlichen Kampf gegen die Zensur der Meinungsäußerung führen. Hervorzuheben sind schließlich die erfolgreichen Bestrebungen eines Teils der Geistlichkeit und der Islamforscher, den Islam zu reformieren. Die hier bereits erzielten Ergebnisse werden nicht allein für den Iran, sondern für sämtliche islamischen Länder weitreichende Folgen haben. Im Grunde haben wir im Iran zwei verschiedene Gesellschaften, die inzwischen einander nahezu völlig fremd gegenüberstehen: die Zivilgesellschaft, die nach Freiheit und Demokratie strebt und ein Regimewechsel herbeisehnt und das Lager der Islamisten, die nach einem lupenreinen Gottesstaat streben. Sie befinden sich in der Minderheit, haben aber nach wie vor die Macht, das Volk in Schach zu halten. Die Frage ist, wie lange dieser Zustand fortgesetzt werden kann.

Hat Ahmadinedschad für dieses veränderte gesellschaftliche Umfeld ein politisches Konzept?

Nein. Er ist ein Populist und versucht mit Parolen seine Anhänger bei der Stange zu halten. Natürlich ist einiges vom dem, was er sagt, zutreffend. Wenn er zum Beispiel gegen die Korruption wettert, wenn er den Grauen Eminenzen vorwirft, sich am Reichtum des Volkes gemästet zu haben. Da spricht er dem Volk, vor allem „den Barfüßigen und Habenichtsen“ geradezu aus der Seele. Aber wie sieht seine Alternative aus. Das ist bis heute nicht bekannt.

Welche Rolle spielen in der Feindbild-Pflege von Ahmadinedschad seine umstrittenen Äußerungen zu Israel und dem Holocaust? Was ist daran wirklich neu?

Da er keine Lösungen für die akuten Probleme des Landes anzubieten hat, verfährt er nach dem altbekannten Muster: Krisen erzeugen, Feindbilder aufstellen. Seine Attacken gegen Israel, sein konfrontativer Kurs beim Atomkonflikt und schließlich seine angemeldeten Zweifel gegen den Holocaust, gehören dazu. Mit diesen Attacken, mit denen er international Schlagzeilen macht, steigert er seine Popularität, nicht nur im Iran, sondern in der gesamten Region. Hätte der Westen nicht so heftig auf diese Attacken reagiert, wären diese Versuche Ahmadinedschads gescheitert.

Da dies im Westen nun viel diskutiert wird und das nach meiner Auffassung von Israel suggerierte Bild, Iran verbreite einen Antisemitismus, der den Staat Israel gefährde, auch von der deutschen Presse übernommen worden ist, möchte ich betonen, dass es im Iran absolut keine Basis für Antisemitismus gibt. Solange die iranische Geschichte reicht, hatten die Juden keinen Grund, sich als religiöse Minderheit gefährdet oder benachteiligt zu fühlen. Selbst heute, wo die Islamisten das Land beherrschen, können die Juden ihre Religion frei pflegen, sie sind sogar als Religionsgemeinschaft im islamischen Parlament vertreten. Ahmadinedschads Attacken richten sich keineswegs gegen die Juden. Er hat noch nie die Juden angegriffen, sondern immer nur die „zionistische Besatzungsmacht“. Das ist ein großer Unterschied, den man nicht außer Acht lassen sollte.

Kommen wir abschließend zu den Aufgaben der deutschen Friedensbewegung, die sich gegen Kriegsdrohungen der US-Regierung an den Iran wendet. Viele Friedensfreunde in unserem Land stellen jedoch auch die Frage: Muss man Ahmadinedschad gleichfalls als Kriegstreiber bezeichnen, sogar auf selbigem Niveau wie George W. Bush?

Die USA und vor allem auch Israel versuchen ihrerseits diese Attacken zum Anlass zu nehmen, um die internationale Staatengemeinschaft auf einen harten Kurs zu bringen und möglicherweise einen Krieg gegen den Iran zu legitimieren. Die Behauptung, Ahmadinedschad plane einen Angriff gegen Israel oder gar gegen die USA, ist nach meiner Auffassung völlig abwegig. Iran ist weder zu einem solchen Angriff in der Lage, noch gibt es objektive Gründe dafür. Die Attacken sind eher für den Hausgebrauch bestimmt. Sie sollen die Basis der Islamisten verbreiten. Bereits heute gilt Ahmadinedschad in den Augen der unaufgeklärten Massen der islamischen Staaten als ein Held, der es wagt, der Supermacht USA und der größten Macht im Nahen Osten, Israel, die Stirn zu bieten. Je heftiger der Druck von außen, desto mehr wird die Rechnung Ahmadinedschads aufgehen, desto mehr wird er sein Regime stabilisieren können. Sollten Sanktionen oder noch schlimmer militärische Maßnahmen gegen Iran durchgeführt werden, wird sich die iranische Zivilgesellschaft spalten. Das wäre für die demokratische Entwicklung des Landes verheerend. Zudem würden solche Maßnahmen der gesamten Region noch mehr Chaos bescheren. Ein Angriff auf den Iran würde in der Region einen Flächenbrand auslösen, von deren Folgen gewiss auch der Westen nicht verschont bleiben würde.

Die Aufgabe der Friedensbewegung besteht nach meiner Ansicht darin, einerseits die größtmöglichen Kräfte zu mobilisieren, um einen möglichen Krieg gegen Iran zu verhindern. Dazu müssten die EU-Regierungen massiv unter Druck gesetzt werden, damit sie sich öffentlich und eindeutig von den Kriegsabsichten der USA distanzieren. Zweitens darf die Friedensbewegung sich nicht von manchen Äußerungen Ahmadinedschads verführen und täuschen lassen, um dieses Regime, das die Menschenrechte seit 27 Jahren eklatant missachtet und abertausende Menschen, die sich für Demokratie und Freiheit eingesetzt haben, hingerichtet hat, in Schutz zu nehmen. In Wirklichkeit liefern sich Bush und Ahmadinedschad, beide radikale Fundamentalisten, gegenseitig Steilvorlagen. Ahmadinedschad sind die Attacken aus Washington und Israel höchst willkommen. Denn sein Regime lebt von Krisen und Feindbildern. Der Protest gegen die Kriegspolitik der USA darf nicht zur Schonung der Theokratie im Iran führen. Die Zeiten, in denen man innerhalb der Antiimperialistischen Front jedes Verbrechen als Nebenwiderspruch in Kauf nahm und unter den Teppich kehrte, sollten endgültig vorbei sein. Wir sollten nicht vergessen, Ahmadinedschad und seine radikalislamistischen Kampfgefährten haben nicht Demokratie und Freiheit zum Ziel, sondern einen Gottesstaat. Der Kampf gegen die abenteuerliche Politik der USA sollte nicht auf dem Rücken des iranischen Volkes geführt werden.

* Das Interview führte Karl-Heinz Peil

Buchveröffentlichung des Autors:
Iran – die drohende Katastrophe, Verlag Kiepenheuer & Witsch: Köln 2006


Dieser Beitrag erschien in: FriedensJournal Nr. 4, Juli/August 2006

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