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Spiel mit dem Feuer

Was treibt die iranische Führung dazu, das Land der Gefahr eines Angriffs auszusetzen?

Von Bahman Nirumand*

Die USA und noch mehr Israel sind überzeugt, dass Iran den Bau von Atombomben plant. »Wenn es uns nicht gelingt, Iran rechtzeitig zu stoppen, könnte das einen nuklearen Dominoeffekt in der gesamten Region auslösen«, sagte Israels Militärgeheimdienstchef Aharon Seevi. Laut israelischer Presse liegen bereits Pläne zur Bombardierung iranischer Nuklearanlagen vor.

Fast wortgleich wie Seevi äußerte sich der Staatssekretär im US-Außenministerium John Bolton. Es müsse unter allen Umständen verhindert werden, dass Teheran die Fähigkeit zum Bau der Atombombe erlangt, sagte er. Zwar sei die Bush-Regierung bestrebt, »eine friedliche und diplomatische Lösung« herbeizuführen. Doch die USA hielten sich alle Optionen offen, auch den Einsatz von Gewalt. Politische Beobachter befürchten, dass Israel sogar schon vor den US-Präsidentschaftswahlen im November »das Geschäft« erledigen könnte.

Man fragt sich, was die iranische Führung dazu treibt, so mit dem Feuer zu spielen und das Land der Gefahr eines Angriffs auszusetzen. Seit zwei Jahren führen die trickreichen Mullahs die Internationale Atombehörde (IAEA) an der Nase herum. Die USA fordern Sanktionen und wollen den UN-Sicherheitsrat einberufen. Die EU-Staaten, vor allem Deutschland, Frankreich und Großbritannien versuchen zu vermitteln und den Konflikt auf diplomatischem Weg zu lösen. Diese Differenzen im westlichen Lager haben Iran ermöglicht, das seit zwei Jahren erfolgreich erprobte Katz-und-Maus-Spiel mit der Atombehörde auch bei dem zurzeit in Wien tagenden IAEA-Gouverneursrat fortzusetzen, mit dem Ergebnis, dass eine Entscheidung über das iranische Atomprogramm auf November vertagt wurde.

Für diese Verzögerungstaktik kann es zwei Gründe geben. Entweder baut Teheran an der Atombombe und will dadurch Zeit gewinnen. Tatsächlich wird trotz unaufhörlicher Dementis aus dem Iran vor allem in Kreisen der Konservativen die Meinung vertreten, auch Iran benötige zu seiner Verteidigung Atomwaffen. Die Argumente, die hinter vorgehaltener Hand immer wieder vorgebracht werden, basieren auf der zurzeit bedrohlich erscheinenden Lage des Landes. Nach der Besetzung des Irak wurde der Kreis der US-Stützpunkte entlang der iranischen Grenzen geschlossen. Die Türkei ist ein Nato-Land, im Norden Irans sind die USA in den ehemaligen Sowjetrepubliken präsent, ebenso in Afghanistan und Pakistan. Die gesamte Golfregion steht praktisch unter militärischer Kontrolle der USA. Dass die Herrscher der Islamischen Republik diese massive Umzingelung als bedrohlich empfinden, ist nachvollziehbar. Washington hat Iran neben dem Irak und Nordkorea als »Achse des Bösen« bezeichnet und mehrmals erklärt, einen Regimewechsel im Iran herbeiführen zu wollen. Besäße Iran wie Nordkorea Atomwaffen, so das Kalkül in Teheran, würden die USA nie einen Angriff gegen das Land wagen.

Es kann aber auch sein, dass Iran keine Nuklearwaffen plant und mit der Verzögerungstaktik nur die Absicht verfolgt, den Westen zu größeren Konzessionen zu zwingen. Dazu gehören die Garantie des Technologietransfers zu friedlicher Nutzung der Atomenergie sowie die Aufhebung des Wirtschaftsembargos, das die USA seit 25 Jahren über Iran verhängt haben. Zudem möchte Teheran seine Interessen in Afghanistan und im Irak gewahrt wissen.

Ein Gelingen dieser Außenpolitik würde die Position des Islamischen Staates in der Region und international und damit auch im Innern erheblich stärken. Für die überwiegende Mehrheit des iranischen Volkes, die längst den Islamisten den Rücken gekehrt hat, hätte das verheerende Folgen. Eine friedliche Lösung des Konflikts muss allerdings auch darauf zielen, eine atomwaffenfreie Zone im gesamten Nahen und Mittleren Osten zu erreichen – d.h. auch auf ein Ende der israelischen Atomrüstung.

* Der 1936 in Teheran geborene Autor ging zweimal ins Exil: 1965 unter dem Schah und 1982 unter Khomeini.

Der Kommentar von Nirumand erschein als "Gastkolumne" im "Neuen Deutschland" vom 18. September 2004



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