Innenansichten aus Iran
Bahman Nirumand analysiert die Machtkonstellationen innerhalb des Mullah-Regimes
Von Mahmoud Bersani *
Die Islamische Republik Iran steht im Mittelpunkt aktueller internationaler Konflikte. Von US-Präsident George W. Bush zum Teil der »Achse des Bösen« und nächsten Angriffsziel erklärt, soll das Land gezwungen werden, sein international verbrieftes Recht auf zivile Nutzung der Atomenergie aufzugeben. In seinem Buch »Iran – Die drohende Katastrophe« dokumentiert Bahman Nirumand, daß die Eskalation des Konflikts sowohl von den Neokonservativen in den USA als auch von der herrschenden Clique um den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad bewußt forciert wird, um die eigene Stellung zu stärken. Die Krisenabhängigkeit sei geradezu »ein besonderes Merkmal der Islamischen Republik«, meint Nirumand. Durch seine Unfähigkeit, die sozialen Probleme der Menschen zu lösen, und seinen Unwillen, eine Demokratisierung der Gesellschaft zuzulassen, sei das Regime stets dazu gezwungen, Krisen heraufzubeschwören. Mit ihrem Konfrontationskurs spiele die US-Administration den Islamisten deshalb geradezu in die Hände und schwäche diejenigen Kräfte im Iran, die für demokratische Veränderungen eintreten.
Massenterror
Im ersten Teil der Arbeit Nirumands – der einst mit seinem Bestseller »Persien, Modell eines Entwicklungslandes oder Die Diktatur der Freien Welt« von 1967 den internationalen Widerstand gegen das Schah-Regime anfachte – wird der seit nunmehr dreieinhalb Jahren schwelende Konflikt um das iranische Atomprogramm detailliert nachgezeichnet. Er belegt, daß die US-Regierung, aber auch das Mullah-Regime, sich abzeichnende Kompromisse immer wieder torpedierten. Die unrühmliche Rolle der EU, die sich mit ihrer Forderung nach dauerhafter Aufgabe des Atomprogramms offen auf die Seite der USA stellt, wird von Nirumand ebenfalls ausführlich dargestellt und kritisiert.
In einem historischen Abriß diskutiert der Autor die Rolle des politischen Islam in der Revolution von 1979, ohne allerdings eine umfassende Analyse der Ereignisse und Kräfteverhältnisse vorzulegen. Dennoch ergeben sich daraus – gerade für die aktuelle Diskussion in der Linken über das Verhältnis zu islamistischen Bewegungen – wichtige Schlußfolgerungen. So stellt Nirumand dar, wie sich die »antiimperialistische« und pluralistische Haltung des »Revolutionsführers« Ayatollah Ruhollah Chomeini nach der Machtübernahme in Massenterror gegen Linke und Liberale verwandelte. »Er sprach von Aufhebung jeglicher Zensur, von uneingeschränkter Meinungsfreiheit. Er werde alle Organe, die zur Unterdrückung der Bürger gebildet worden waren, auflösen. Der schiitische Mullah sprach von Freiheit des Glaubens. (...) Er versicherte, daß alle bestehenden Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern beseitigt werden würden.« So Chomeini vor der Revolution im Pariser Exil. Was danach kam, ist allgemein bekannt. Vor diesem Hintergrund übt Nirumand heftige Kritik an der kommunistischen Tudeh-Partei: »Unter dem Motto ›Der Feind meines Feindes [die USA und der Westen] ist mein Freund‹ stellten die Parteikader den neuen Machthabern ihre Erfahrungen und ihr Wissen zur Verfügung. Ihre Loyalität ging sogar so weit, daß sie den Mullahs Tausende Regimegegner aus dem eigenen Lager auslieferten, wohl wissend, daß diese in den Gefängnissen gefoltert und hingerichtet werden würden.« Es dauerte nicht lange, bis auch diese Steigbügelhalter Chomeinis dessen Terror zum Opfer fielen.
Machtverschiebung
Die Stärke der Arbeit Nirumands, der seit 2001 den monatlich erscheinenden Iran-Report der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung zusammenstellt, liegt indes in den aktuellen »Innenansichten« aus der Islamischen Republik. Denn die Verhältnisse innerhalb des Regimes, in dem ein »erstaunlicher Pluralismus« herrscht, sind für Außenstehende nur schwer zu durchblicken. Während säkulare Kräfte in diversen Wellen brutaler Repression vernichtet oder atomisiert wurden, gibt es unter den religiös orientierten politischen Strömungen – von denen ganz offiziell als die »Eigenen« gesprochen wird – verschiedene Machtzentren, die um Einfluß ringen. Einen Grund für »die komplizierte Heterogenität der Macht« sieht Nirumand darin, daß die neue Staatsführung nicht aus einem Militärputsch, sondern aus einer Revolution hervorging. Das habe es Chomeini, und insbesondere seinem als wenig charismatisch geltenden Nachfolger Ayatollah Ali Chamenei, unmöglich gemacht, alle beteiligten Kräfte in die Schranken zu weisen. Eines der rivalisierenden Machtzentren ist die Fraktion des im Sommer letzten Jahres zum Staatspräsident gewählten Ahmadinedschad, den Nirumand zum militärischen Arm des »Gottesstaates« zählt. Ahmadinedschad, der Mitglied der paramilitärischen »Armee Jerusalem« war und dem die Verbindung zu Anschlägen auf Oppositionelle nachgesagt wird, versammelte in seinem Kabinett fast ausschließlich Militärs oder Geheimdienstler. Diese von Nirumand als Putsch bezeichnete Entwicklung bedeutet eine Machtverschiebung weg von den Mullahs, den religiösen Autoritäten, hin zu den paramilitärischen Gruppen, die Millionen Mitglieder zählen. Sie entspricht allerdings nicht einer Festigung, sondern der wachsenden Instabilität des Regimes, da sich laut Nirumand die große Mehrheit der Iraner – insbesondere die Jugend, Frauen und die Intelligenz – nach mehr als einem viertel Jahrhundert islamistischer Regierung desillusioniert von dieser abgewendet hat. Das einzige, was den Herrschenden im Iran neue Kraft verleihen kann, ist demnach die Aggression des Imperialismus.
Nirumand: »Je heftiger der Druck von außen, je schärfer die Drohungen, desto größer werden die Neigung und vielleicht auch der innere Zwang, die Forderungen eines Regimes zu unterstützen, das man ablehnt.«
Bahman Nirumand: Iran – Die drohende Katastrophe. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2006. 224 Seiten. 16,90 Euro
* Aus: junge Welt, 28. August 2006
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