Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ein Krieg gegen Iran wäre kein Spaziergang

In Russland werden immer öfter mögliche Kriegsszenarien durchgespielt. Zwei Analysen

Russland beobachtet den Konflikt um das iranische Atomprogramm mit zunehmender Besorgnis. Die Experten sind sich aber keineswegs einig, wie der Fortgang des Konflikts einzuschätzen ist. Im Folgenden dokumentieren wir zwei Beiträge aus der jüngsten Zeit, die beide von der russischen Nachrichtenagentur veröffentlicht wurden.



Atombombe oder Krieg - Iran in jedem Fall ein Sieger

Von Georgi Mirski, Moskau *

Die Situation in Iran wird in zwei Aspekten analysiert. Erstens: Nähern sich die Iraner wirklich dem Bau einer Atombombe an? Und zweitens: Haben die Amerikaner wirklich vor, einen Krieg zu beginnen?

Für die erforderliche Urananreicherung und die Herstellung einer Atombombe innerhalb eines Jahres reichen einige Tausend Zentrifugen. Ursprünglich sprachen die Iraner von ihren Plänen, deren Anzahl im Werk in Natans auf 3 000 zu bringen. Nach der Feier des "Tags der Nukleartechnogie" am 9. April erklärte Gholamreza Agazade, Irans Vizepräsident und Leiter der nationalen Atomenergiebehörde, geplant sei die Inbetriebnahme von 50 000 Zentrifugen.

Die IAEO-Beamten haben bereits mehrmals betont, es sei unmöglich, Irans Streben nach der Entwicklung eigener Kernwaffen zu beweisen. Diese Situation wird sich auch kaum ändern. Dennoch gibt es indirekte Indizien, die die Vermutung zulassen, die Iraner entwickeln in der Tat nicht unbedingt eine rein zivile Atomenergiewirtschaft.

Bereits 2005 hatte Moskau Teheran angeboten, die Urananreicherung für dieses Land in Russland zu erledigen. Dabei garantierte Moskau eine völlige Auslastung der iranischen Atomreaktoren mit nuklearen Brennstoffen. Teheran lehnte diese Idee ab, genauso wie ein Paket von Vorschlägen der ständigen Mitgliedsländer des UN-Sicherheitsrats und Deutschlands. Im Austausch gegen einen Verzicht auf die Urananreicherung wurde Iran damals Unterstützung beim WTO-Beitritt, Hilfe beim Bau von Atomkraftwerken und Lieferungen von Ersatzteilen für die alten Zivilflugzeuge versprochen.

Das Angebot wirkt verlockend - warum lehnt es Iran dennoch ab? In beiden Fällen gibt es nur einen Grund: eine Ablehnung der äußeren Kontrolle über den Anreicherungsprozess. Anscheinend ist Iran bemüht, die Verhandlungen hinauszuzögern, um die Möglichkeit zu bekommen, die Urananreicherung auf den für die Herstellung einer Bombe erforderlichen Stand zu bringen.

Zugleich ist es offensichtlich, dass Iran keine Bombe braucht. Es hat einfach kein Ziel dafür: Die USA sind zu weit entfernt, während bei einem Bombenabwurf auf Israel auch Araber in Mitleidenschaft gezogen werden, die auf israelischem und palästinensischem Territorium leben. Die meisten von ihnen sind Moslems. Ist die Islamische Republik Iran, die Anspruch auf eine Führungsposition in der moslemischen Welt erhebt, fähig, sich zu einem Mord an Millionen Moslems zu entschließen? Eindeutig nicht. Insofern ist eine praktische Anwendung der Bombe unmöglich.

Höchstwahrscheinlich hat Teheran beschlossen, einen "Fünf-vor-zwölf"-Stand zu erreichen, das heißt einen Schritt vor der Herstellung einer Bombe halt zu machen. Dies würde der iranischen Führung ein enormes Ansehen unter der eigenen Bevölkerung bringen und die Möglichkeit bieten, eine dominierende Position in der islamischen Welt einzunehmen und dem Westen seine Bedingungen zu diktieren.

Allerdings spricht Iran bereits jetzt mit allen von der Position der Stärke aus. Es fühlt sich unanfechtbar, weil es einen US-Angriff nicht befürchtet. Eine Bodenoperation ist nicht möglich, weil die Amerikaner im Irak zu tief stecken geblieben sind. Selektive und begrenzte Schläge gegen die Nuklearobjekte würden zwar das iranische Nuklearprogramm um einige Jahre zurück versetzen, jedoch nicht zu einem Wechsel des Regimes führen.

Außerdem werden die Iraner die eventuellen amerikanischen Schläge kaum unbeantwortet lassen. Sie würden die Ölfelder der Nachbarländer und die US-Stützpunkte in der Region angreifen. Dies würde auch ein amerikanisches Fiasko im Irak nach sich ziehen, weil sich in dem Fall auch die irakischen Schiiten gegen die USA erheben werden, die momentan mit den Amerikanern halbwegs kooperieren.

Das würde auch zu einer Niederlage der Republikaner bei den Wahlen 2008 führen, und zwar nicht nur bei der Präsidentenwahl, sondern auch bei den Wahlen von Senatoren und Gouverneuren. Wie groß bei George W. Bush auch immer die Versuchung sein mag, Iran einen Schlag zu versetzen, er ist aber kein Diktator, der die öffentliche Meinung ignoriert und ein Scheitern seiner Partei zulassen würde.

Keine Angst haben die Iraner auch vor den Sanktionen. Die bisher vom UN-Sicherheitsrat bereits beschlossenen Sanktionen scheinen nicht allzu effektiv zu sein. Sie bringen zwar gewisse Unannehmlichkeiten, aber keinen großen Schaden für das Land. Wirklich gefährlich wäre für Iran ein Embargo über den Öl- und Gasexport. Dies ist aber kaum möglich: Niemand außer den Amerikanern würde auf einer solchen Maßnahme bestehen und Teheran ist sich dessen völlig bewusst.

Deshalb können die Iraner getrost erklären, sie würden die von der internationalen Völkergemeinschaft gestellten Bedingungen nicht einhalten und die Urananreicherung nicht stoppen.

Was soll man aber nach dem Ablauf der 60 Tage seit der Annahme der jüngsten Iran-Resolution des UN-Sicherheitsrates Nummer 1747 vom 24. März tun? Es wäre logisch, eine noch schärfere Resolution zu beschließen. Dabei besteht aber die Gefahr, dass Iran in diesem Fall aus der IAEO austreten würde. In dem Fall würde es seine Urananreicherung bereits völlig unkontrolliert betreiben.

Oder sollte man das doch riskieren? Immerhin brauchen die Iraner Investitionen wie die Luft zum Atmen. Immerhin muss Iran, dessen Ölvorräte zu den weltgrößten zählen, 40 Prozent seines Benzinbedarfs durch den Import decken. Eine schrittweise wirtschaftliche Isolierung Irans könnte sich als wirksam erweisen. Mag sein, dass die iranischen Machthaber in dem Fall einen Rückzieher machen und auf ihre nuklearen Ambitionen verzichten würden. Aber auch in dem Fall würden sie das Gesicht bewahren und erklären, sie hatten auch nicht vor, eine Bombe zu bauen, sondern sie wollten lediglich neue Vorzugsleistungen und Privilegien für die Entwicklung der zivilen Atomenergiewirtschaft. "Man konnte uns nicht in die Knie zwingen, wir haben gesiegt" - würde Irans Führung in dem Fall sagen.

* Georgi Mirski ist leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen der russischen Wissenschaftsakademie
Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti identisch sein.

Quelle: RIA Novosti, 13. April 2007



Keine Schachpartie zwischen den USA und Iran

Von Anton Chlopkow, Moskau *

Sollten sich die Amerikaner doch zu einem Schlag gegen Iran entschließen, so werden in erster Linie die Objekte der nuklearen Infrastruktur ihr Ziel sein.

Zu diesen wird sicherlich auch das nukleare Zentrum in Isfahan gehören.

Doch ein Luftangriff auf diese Stadt kann nicht nur ökologische Probleme nach sich ziehen. Isfahan ist eine der größten Kulturmetropolen der islamischen Welt, und wenn die historischen Denkmäler in Mitleidenschaft gezogen werden, bricht nicht einfach nur ein iranisch-amerikanischer Skandal aus, sondern ein Konflikt zwischen der moslemischen Welt und den USA. Eine auf Stärke bauende Operation gegen Iran birgt demnach recht ernste negative politische Folgen für die USA in sich.

Die Wahrscheinlichkeit eines Schlages ist nach wie vor hoch genug. Im vorigen Jahr hatte ich in Washington ein interessantes Gespräch mit einem amerikanischen Experten iranischer Abstammung. Seiner Meinung nach also ist der „Zweikampf“, den die Präsidenten der USA und Irans miteinander ausfechten, „keine Schachpartie, sondern vielmehr ein ’chicken game’“ (wer als erster die Nerven verliert, im Grunde ein Spiel mit dem Untergang). Unter dieser Metapher versteht man am häufigsten eine Wette, bei der zwei Fahrer ihre Wagen aufeinander zu rasen lassen und als Verlierer derjenige gilt, der als erster ausweicht. Das sieht der Situation zwischen Iran und den USA sehr ähnlich.

Beide Politiker, Bush und Ahmadinedschad, tun zahlreiche falsche Schritte und halten den Kurs „aufeinander zu“: „Wer als erster ausweicht, ist der Verlierer!“ Wenn aber keiner von ihnen abbiegt oder es nicht gelingt, dieses nukleare „Spiel“ zu stoppen, können die Folgen für die ganze Umgebung einfach katastrophal sein. Es ist offensichtlich, dass die Iraner im Moment auf niemanden hören und über eine gewisse vernünftige Grenze hinausgehen. Sie zeigen keine Flexibilität in der Frage der Aussetzung der mit der Uranaufbereitung verbundenen Arbeiten, obwohl das für sie in Wirklichkeit keine technologische, sondern eine politische Frage ist. Die Zentrifugen, die sie gegenwärtig in Natanz kreisen lassen (oder sogar schon gestoppt haben), verwirklichen keinerlei industrielle Aufbereitung, denn für ein effektives Ergebnis sind viele Tausende Zentrifugen vonnöten. Die Iraner aber haben ein oder zwei Tausend davon, mehr nicht. Folglich sind die ehrgeizigen Pläne bei der Uranaufbereitung unter den heutigen iranischen Bedingungen absolut unrealistisch.

Teherans Erklärung über den eventuellen Austritt aus dem Sperrvertrag verstärkt nur die Positionen seiner Gegner USA und Israel, gibt jedoch jenen Staaten keine zusätzlichen Argumente in die Hand, die eine reserviertere, ausgewogenere Position beziehen, was die Lösung des Problems anbelangt; zu diesen gehört auch Russland.

Mit jeder abermaligen Handlung oder Erklärung, und sei es einer eher deklarativen als praktischen (beispielsweise Inbetriebnahme zusätzlicher Zentrifugen), fällt es Moskau immer schwerer, bei seinem ausgewogenen Herangehen an die Lösung dieses Problems zu bleiben, darunter im Rahmen des Sicherheitsrates.

Und selbstverständlich: Je länger das „chicken game“ zwischen Iran und den USA dauert, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es dabei keine Gewinner geben wird. Für die Republikaner, die Präsident Bush vertritt, werden die militärischen Handlungen in eine Katastrophe ausarten, weil es praktisch unmöglich ist, diesen Krieg zu gewinnen, und so werden die Republikaner mit beinahe 100-prozentiger Sicherheit nach den turnusmäßigen Präsidentenwahlen die Kontrolle über das Weiße Haus verlieren.

Bei einem Angriff wird Teheran nicht tatenlos bleiben, aber wohin es „asymmetrisch“ seinen Schlag richten wird, ist schwer vorauszusagen. Begreiflicherweise werden die iranischen Raketen das USA-Territorium nicht erreichen, doch gegen welche amerikanischen Stützpunkte werden sie gerichtet werden? Oder: Wo werden die iranischen Raketen in Israel explodieren?

Ausmaß und Charakter der ökologischen Auswirkungen eines Luftangriffs auf Iran werden davon abhängen, worauf konkret die Schläge gerichtet sein und welche Schlagkraft sie haben werden. Falls sie die Räume treffen, in denen Spaltstoffe aufbewahrt werden, besonders die volatilen, in Gasform, können die Folgen ernst genug sein. Radioaktive Massen werden in die Umgebung eindringen, und die Windrose im Nahen Osten ist so beschaffen, dass die todbringenden Ströme unter anderem auch auf die Verbündeten der USA sowie dorthin, wo die amerikanischen Truppen liegen, getragen werden können.

Man darf ferner nicht vergessen, dass Iran als Antwort nicht nur konventionelle Raketen, sondern auch chemische und biologische Massenvernichtungswaffen einsetzen könnte. Das wäre der äußerste, wenig wahrscheinliche Schritt, doch als „Verzweiflungsgeste“ kann das sehr wohl passieren, besonders wenn die Amerikaner eine Bodenoperation starten. Dann wird das etwas viel Schlimmeres sein als eine direkte Kollision von zwei Autos.

Werden die USA Bushehr angreifen? Bei der derzeitigen US-Administration kann man vor nichts sicher sein. Ich denke, dass in dieser Hinsicht zwischen Russland und den USA ein Verstehen existiert: Falls sich die Krise plötzlich entfalten wird und die Angriffe auf Iran (darunter gegen Objekte, in denen sich russische Bürger befinden können) unabwendbar sein werden, wird Moskau darüber so oder so benachrichtigt werden. Sonst geraten die Amerikaner in eine Situation, da die Krise im Nahen Osten eine weit umfassendere und das System an der Wurzel treffende Krise auslösen würde.

* Anton Chlopkow ist Politologe, stellvertretender Direktor des Zentrums für politische Studien Russlands (PIR-Zentrum).
Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

Quelle: RIA Novosti, 20. April 2007


Zurück zur Iran-Seite

Zurück zur Homepage