Das iranische Atomprogramm ist "eine erhebliche Bedrohung für den Frieden und die Stabilität des Nahen Ostens" / "Iran's nuclear activities pose a sigificant threat to the peace and stability of the Middle East"
Ein Bericht aus dem Pentagon über die militärischen Fähigkeiten des Iran / Deutsche Zusammenfassung, amtliche Darstellung
Im Internet kursiert neuerdings ein Dokument aus US-amerikanischen
Geheimdienstkreisen, in dem es um Umfang, Bewaffnung, Ausrüstung und
Stärke der iranischen Streitkräfte geht. Das als "unclassified" (nicht
klassifiziert) bezeichnete Dokument aus dem US-Verteidigungsministerium
mit dem Titel "UNCLASSIFIED REPORT ON MILITARY POWER OF IRAN" trägt das
Datum vom "April 2010". Zum ersten Mal wurde der Bericht in der
Online-Ausgabe der Washington Post am 20. April 2010 veröffentlicht. Das
Pentagon selbst hat das Dokument nicht online gestellt, sondern
lediglich einen halbamtlichen Kommentar veröffentlicht, den wir unten
ebenfalls dokumentieren (im Kasten). Das ist erstaunlich, da es sich bei
dem Text doch um einen Bericht an den US-Kongress handelt.
Der Text enthält wenig Spektakuläres. Die Angaben über Umfang und
Bewaffnung der Streitkräfte dürften realistisch sein. Sie gehen nicht
über das hinaus, was auch allgemein zugängliche Quellen bzw. die
Selbstdarstellungen der iranischen Regierung aussagen. Interessanter
sind die Einschätzungen über die strategische Ausrichtung der iranischen
Außen- und Sicherheitspolitik. Im Vordergrund steht augenscheinlich das
Ziel Teherans, seine militärische Verteidigungsfähigkeit zu erhöhen, und
zwar vor allem gegenüber Drohungen von Seiten der USA und Israels.
Angestrebt werden danach Fähigkeiten zur "Abschreckung", "asymmetrischer
Vergeltung" und "Abnutzungskriegen" ("attrition warfare"). Zur
"Abschreckung" zählen die Verfasser des Geheimdienstpapiers auch das
Bestreben des Iran, sich die "Möglichkeit offen zu halten", eigene
Atomwaffen zu entwickeln. Schließlich verfüge Teheran über die
Möglichkeit zu "begrenzten offensiven Operationen", wozu das iranische
Raketenarsenal und die Marine beitragen würden.
Eine wesentliche Rolle spielt das Ziel Teherans, eine bedeutende Regionalmacht im Nahen/Mittleren Osten zu werden. Diesem Ziel untergeordnet sind u.a. Unterstützungsleistungen an die Hisbollah im Libanon und palästinensische "Terrororganisationen" wie Hamas, PLFP oder der Islamische Dschihad. Inoffizielle Waffenlieferungen gehen auch an "terroristische" Gruppierungen im Irak, um
US-Militäreinrichtingen zu treffen und die Interessen der USA zu
"untergraben".
Der Einfluss in Afghanistan ist dem Bericht zu Folge "facettenreich".
Unterstützung erführen offiziell der afghanische Präsident Karsai und
inoffiziell verschiedene regionale Widerstandskräfte und politische
oppositionelle Gruppen. Dies schließe auch verdeckte Waffenlieferungen
von Seiten der Islamischen Revolutionsgarden ein. Beweisen ließe sich
dies aber nur indirekt über das Baujahr der in Afghanistan auftauchenden
Waffen iranischen Ursprungs.
Die Iranische Militärdoktrin erscheint nach dem US-Bericht ausgesprochen
defensiv ausgerichtet zu sein. Die Lageeinschätzung sieht Bedrohungen
vor allem durch Angriffe über die türkische und irakische Grenze,
weshalb dort der größte Teil der iranischen Landstreitkräfte
konzentriert sei. Deren Ziel sei es, eine mögliche Invasion "hinauszuzögern"
oder "abzuschwächen" ("slow") und eine diplomatische Lösung des
Konflikts anzustreben.
Der Abschnitt in dem Papier, der sich mit Irans Atomprogramm befasst,
ist Besorgnis erregend. Zwar werden keine spektakulären Informationen
über den vermeintlichen Griff Teherans nach der Atombombe geliefert,
sondern nur die bekannten Vorwürfe des Westens wiederholt, wonach Iran
sein Atomprogramm nicht offenlege und mit dem IAEO bzw. dem
UN-Sicherheitsrat nicht ausreichend zusammenarbeite. Umso stärker aber
wird der Hauptvorwurf erhoben, dass die iranischen Atomaktivitäten eine
"erhebliche Bedrohung für den Frieden und die Stabilität des Nahen
Ostens" darstellen.
Angesichts zahlreicher sehr detaillierter Auflistungen von im Iran
vorhandenen Waffensystemen nach Qualität und Quantität überrascht das
klägliche Eingeständnis im letzten Satz des Berichts, dass man keine
Informationen über die Finanzausstattung des Atom(waffen)- und
Raketenprogramms Teherans habe. ("We have no information on Iran's
missile funding nuclear or weapons program budget.") Welcher
US-Geheimdienst auch immer für diesen Bericht verantwortlich zeichnet:
Es ist Zeit, dessen Chef wegen nachgewiesener Unfähigkeit zu entlassen.
Vielleicht erklärt sich auf diese Weise aber die Scheu des Pentagon, den
Bericht mit diesem Armutszeugnis im Original zu veröffentlichen.
P. Strutynski
Report to Congress Outlines Iranian Threats
By John J. Kruzel *
WASHINGTON, April 20, 2010 -- Iran may be capable of striking the United
States with an intercontinental ballistic missile by 2015, according to
a Defense Department report submitted to Congress yesterday.
The unclassified analysis outlines near-term and longer-term threats
posed by Iran, including Iran's nuclear ambitions and its desire to
extend its influence in the Middle East.
"With sufficient foreign assistance," the report states, "Iran could
probably develop and test an intercontinental ballistic missile capable
of reaching the United States by 2015."
The report states that central to Iran's "deterrent strategy" is its
pursuit of a nuclear program that could potentially move it closer to
developing a nuclear weapon. Iran contends that its nuclear ambitions
are for peaceful purposes.
"Iran's nuclear program and its willingness to keep open the possibility
of developing nuclear weapons is a central part of its deterrent
strategy," the report says.
The department's release of the analysis comes on the heels of the
Nuclear Security Summit and testimony by the Pentagon's top policy
chief, who last week said the U.S. approach to Iran remains centered on
preventing it from obtaining nuclear weapons and on countering Iran's
influence in the Middle East.
The Nuclear Security Summit, which convened leaders of more than 40
countries here last week, followed the unveiling of the Nuclear Posture
Review, a Defense Department-led effort that represents the first
overarching look at U.S. nuclear strategy since the end of the Cold War.
While the Nuclear Posture Review narrows the number of scenarios in
which the United States would execute a nuclear strike, Defense
Secretary Robert M. Gates said this week that "all options are on the
table" for countries such as North Korea and Iran.
Michele Flournoy, undersecretary of defense for policy, told the Senate
Armed Services Committee last week that President Barack Obama's
administration continues to view challenges posed by Iran as a top
national security concern.
"First, we are working to prevent Iran from acquiring nuclear weapons,"
she told senators, delineating the challenges posed by Iran. "Second, we
are countering Iran's destabilizing activities and support for terrorism
and extremists in the Middle East and around the world."
The written report to Congress cited Iran's influence in the Middle East
-- including its proxies Hezbollah and Hamas, in Lebanon and Gaza,
respectively -- and its reach into Iraq and Afghanistan. Military and
defense officials have characterized such behavior as "destabilizing."
Flournoy last week said a vital component of U.S. strategy to counter
Iranian influence is to strengthen the security capacities of vulnerable
states in the region, noting that both Gates and Navy Adm. Mike Mullen,
chairman of the Joint Chiefs of Staff, both have traveled to the region
in recent months.
"It's a vital avenue for countering destabilizing Iranian activities,
and we believe we are seeing some results," Flournoy said of efforts to
build partner capacity. "In Iraq and Lebanon, for instance, our efforts
to develop the capacity of security forces and improve governance have
helped to weaken Iran's proxies."
The Obama administration's diplomatic overtures have helped to shore up
the international consensus needed to put pressure on Iran, Flournoy
said, referring to economic and other sanctions the United States and
its allies are seeking to place on Iran.
"Meanwhile, our efforts in [the Defense Department] have helped to shore
up the ability of our regional partners to defend themselves and to
counter destabilizing activities from Iran," she said. "We have also
reassured our partners that the U.S. is fully committed to their security."
* American Forces Press Service, April 20, 2010; www.defense.gov
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