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Ein US-geführter Regimewechsel liegt nicht im Interesse der iranischen Bevölkerung

Der Atomstreit mit dem Westen und die innenpolitische Lage im Iran gehören zusammen

Von Kamran Matin*

Die Folgen des Sieges von Mahmud Ahmadineschad bei den Präsidentenwahlen im Iran im vergangenen Jahr sind längst auch außerhalb der iranischen politischen Landschaft zu spüren. Ein Beispiel ist der Streit zwischen dem Iran und den Vereinigten Staaten sowie der EU über das Kernwaffenprogramm des Iran, der mehr und mehr eskaliert. Diese Eskalation wurde zusätzlich voran getrieben und verstärkt durch die neuen Kommentare von Ahmadineschad über Israel, und der Westen hat nicht gezögert, dies für die politische und diplomatische Konfrontation mit dem Iran zu nutzen.

Im Inneren wird die relative "demokratische" Öffnung, die die reformbereite Regierung unter Mohammad Chatami verursacht hatte, zunehmend zurückgenommen. Gleichzeitig findet eine Militarisierung der iranischen Gesellschaft statt. Die gewaltsame Unterdrückung der inneren Opposition hat sich in den letzten Monaten verstärkt. In dieser Beziehung ist die gewaltsame Behandlung der iranischen Arbeiter eine weniger bekannte Entwicklung. Diese kämpfen zur Zeit mit einer großen Anzahl von Streiks und Demonstrationen für die Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen.

Alle diese Entwicklungen sind miteinander verbunden und Teile eines größeren Prozesses in der iranischen Politik und Gesellschaft, der im Laufe der letzten zwei Jahre stattfand. Mit dem Ende des Krieges mit dem Irak und dem Tod von Khomeini wurden die Mitglieder der islamisch-populistischen Splittergruppen aus den Staatsorganen entfernt. Das ebnete den Weg für Rafsandschanis Wirtschaftsreformen, deren Kernstück ein beispielloses Privatisierungsprogramm war – ähnlich der Schocktherapie Russlands anfangs der 1990er Jahre. Diese Reformen hatten einen drastischen Verfall der Lebensbedingungen für die Mehrheit der iranischen Bevölkerung zur Folge. Bis dahin hatten die meisten ein bestimmtes Maß an staatlichem Schutz unter den populistischen Kriegsregierungen genossen.

Dieser Prozess ebnete in Verbindung mit zunehmender Korruption, Begünstigung und politischer Verdrängung den Weg für das politische Wiedererstarken der früheren islamischen Populisten, die in der Zwischenzeit eine ideologische Metamorphose in eine liberale Richtung vollzogen hatten. Jedoch war der Sieg ihres Kandidaten Mohammad Chatami bei den Präsidentschaftswahlen von 1997 nicht so sehr der Zustimmung der Bevölkerung zu ihrem strategischen Programm zuzuschreiben (sie forderten eine islamische Zivilgesellschaft). Er war vielmehr eine Folge der tiefen und weit verbreiteten Unzufriedenheit mit einer 8 Jahre dauernden Verarmung während der Regierungszeit von Rafsanjani.

Der Erdrutsch-Sieg von Chatami mit einem reformistischen Programm schuf in allen Teilen der iranischen Gesellschaft viel Hoffnung auf wirkliche Veränderungen. Trotz zweier Amtsperioden scheiterten die Reformer jedoch daran, ihre im Wesentlichen demokratische Agenda mit den konkreten wirtschaftlichen Problemen zu verbinden, welche vordringlich für die Mehrheit der iranischen Bevölkerung waren. Die Gründe für diesen Misserfolg sind am ehesten in der Version des Liberalismus der Reformer zu suchen. Tatsächlich unterschieden sich die Reformer wenig hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Vorstellungen vom pragmatisch-technokratischen Ansatz Rafsanjanis. Beiden waren das Kapital und das Eigentum heilig.

Aber während die Reformer im traditionellen, wenig produktiven Basar und dem Kapital der Händler ein Hindernis für ihre liberalen Politiken und für das Wachstum des industriellen Kapitals im Iran sahen, war Rafsanjani vernünftiger in seinem Verständnis von und der Beziehung zum Basar, in dem er eine enorme Wirtschaftsbasis und eine beträchtliche politische Macht sah. Kurzum, die Reformer sahen demokratische Reformen als eine Vorbedingung für ein Wirtschaftswachstum an, dessen Vorteile dann der Erwartung nach zu den Massen nach unten dringen würden – eine Formel, wie wir sie in jedem liberalen Wirtschaftslehrbuch finden. Diese Annahme war und ist natürlich ein Trugbild, wie die realen Entwicklungen demonstriert haben. Zur Zeit leben mehr als 30 Prozent der Iraner unterhalb der Armutsgrenze, während eine kleine superreiche Klasse entstanden ist, die mannigfaltige Verbindungen zu den Zentren der Macht hat.

Aber warum und wie verschwand das 20 Millionen starke Stimmenpotential der Reformer? Der Grund dafür ist, dass diese Reformer einfach nie versucht haben, dieses enorme populäre Mandat zu aktivieren. Sie taten dies nicht, und konnten daher die Menschen, die sie gewählt hatten, nicht ermutigen, an den politischen Kämpfen des Tages direkt teilzunehmen. Sie taten es nicht, weil dies leicht außer Kontrolle geraten wäre und mit sozialen Unruhen hätte enden können, die sie zugleich mit den Konservativen von der politischen Bühne gefegt hätten. Die Unterstützung der Reformer für die unbarmherzige Unterdrückung der Studentenproteste durch die Polizei und die Sicherheitskräfte unter der Kontrolle der Konservativen im Juni 1999 war ein klares Zeichen, wie sehr die Reformer und Chatamis Verwaltung Angst vor eigenen politischen Handlungen hatten, selbst wenn es dabei um ihre direkten Rivalen ging. Schließlich unterstützte Chatami das Vorgehen der Sicherheitskräfte bei den Unruhen und bezeichnete die Protestierenden als Rowdies.

Der Sieg von Ahmadineschad war aus diesen Gründen letztlich nicht überraschend. Die liberalen Politiken von Chatami waren insgesamt relevant und vorteilhaft für den oberen Mittelstand, dessen Größe zugleich mit den Privatisierungsprogrammen von Rafsanjani zugenommen hatte. Und da sie sich in einen politischen und definitorischen Diskurs mit den Konservativen über die Natur der Islamischen Republik, die Bedeutung der Republik, die Quellen von Legitimität und Gesetz usw. verfingen, entfernten sie sich immer mehr von der harten Lebenswirklichkeit der überwältigenden Mehrheit der Menschen im Iran. Das war der Kontext, in dem Ahmadineschad das Rennen um die Präsidentschaft mit einem Programm begann und gewann, das soziale Gerechtigkeit, die Umverteilung des Reichtums und den Kampf gegen die Korruption versprach.

Wie steht nun die nukleare Frage in Beziehung zu diesen Entwicklungen? Eine wenig bekannte Tatsache ist, dass es zur Zeit einen intensiven Kampf innerhalb des Regimes zwischen der selbst ernannt "fundamentalistischen" Splittergruppe von Ahmadineschad und der traditionell pragmatisch-konservativen Splittergruppe gibt, deren enorme Wirtschaftsinteressen durch die anscheinend populistische Agenda von Ahmadineschad bedroht werden. Teile dieser traditionell konservativen Splittergruppe sind jetzt dabei, eine Verbindung mit den Reformern einzugehen, um die "fundamentalistischen" Einflüsse zurückzudrängen.

Jedoch sollte der populistische Deckmantel der Splittergruppe von Ahmadineschad uns nicht von einer wichtigen Tatsache ablenken: Ahmadineschad vertritt eine neue junge Staatselite, die sich nicht mehr mit der politischen und wirtschaftlichen Unterordnung unter die traditionelle Verbindung zwischen Basar und Ulema zufrieden gibt, und die als die durch das Privatisierungsprogramm von Rafsanjani erzeugte Klasse der Neureichen glücklich ist. Tatsächlich ist die Eskalation des Konflikts mit dem Westen ein Mittel, das Ahmadineschad und seine Splittergruppe in ihrem internen Machtkampf mit dieser politisch starken Verbindung verwenden.

Aber auch das ist nur eine Seite der Geschichte. Die andere Seite ist, dass die "Greater Middle East"-Strategie der amerikanischen Neo-Konservativen unvollständig bleibt, solange das iranische Regime nicht abgesetzt oder kooptiert ist. Ohne eine kontrollierte Integration des Iran in die internationale Wirtschaft wird der Iran ein potentielles Problem für die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten bleiben. Und die iranische Staatselite ist sich dessen nur zu bewusst, und daraus folgen die Versuche, die eigene Position auch für zukünftige Verhandlungen zu konsolidieren. Und diese Position ist nicht inkompatibel mit einem militärisch ausgerichteten Atomprogramm.

Das Interesse der iranischen Bevölkerung liegt weder in den regionalen Abenteuern der Islamischen Republik, noch in einem möglichen US-geführten Regimewandel, der die bestehende Infrastruktur der iranischen Gesellschaft zerstören würde, man muss sich hierfür nur die Entwicklungen im Irak ansehen. Die iranischen Arbeiter und die verarmten Massen müssen ihren eigenen Kampf um die Freiheit und soziale Gerechtigkeit unabhängig führen, unabhängig auch von einer westlichen Politik, die einen Regimewandel im Iran verfolgt.

* Kamran Matin, Exiliraner, Doktorand der Politischen Wissenschaften, Universität Sussex (UK)


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