Iran: Nach Amtsantritt des neuen Staatspräsidenten gehen Menschenrechtsverletzungen unvermindert weiter
Internationale Liga für Menschenrechte fordert Konsequenzen von Seiten der Bundesregierung und der EU
Nachfolgend dokumentieren wir
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eine Presseerklärung der Internationalen Liga für Menschenrechte zur Menschenrechtssituation im Iran, und
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ein Hintergrundpapier, in dem einige Vorwürfe an die iranischen Behörden belegt werden.
Pressemitteilung der Internationalen Liga für Menschenrechte, 24. August 2005
Die Islamische Republik Iran missachtet und verletzt die Menschenrechte nach
wie vor systematisch. Der neue iranische Staatspräsident, Mahmoud
Ahmadinejad, gilt als Vertreter des iranischen Staatsterrorismus, wie er
sich seit Gründung dieses Regimes etabliert und entwickelt hat. Der
religiöse Hardliner soll persönlich für Menschenrechtsverletzungen und
mehrere Hinrichtungen verantwortlich sein.
Besonders in der "Kurdenfrage" des Iran ist in letzter Zeit eine Eskalation
zu verzeichnen. Im Iran leben über sechs Millionen Kurden. Seit Monaten
gehen viele von ihnen auf die Straße, um ihrer Forderung nach demokratischen
Rechten und Freiheiten Ausdruck zu verleihen. Die kurdische Bevölkerung ist
in besonderem Maße der staatlichen Unterdrückung und Verfolgung ausgesetzt,
von Folterungen und politischen Morden betroffen. Unter dem neuen
Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad droht sich die Situation, die in der
Bundesrepublik kaum zur Kenntnis genommen wird, noch zu verschärfen. Außer
Kurden sind insbesondere Regimekritiker, Menschenrechtsaktivisten,
Rechts-anwälte, Journalisten, Frauenrechtlerinnen, Frauen und Homosexuelle
der Repression des iranischen Regimes ausgeliefert, wie die Fälle aus
letzter Zeit eindrucksvoll bestätigen (s. Fallschilderungen im Anhang).
Die „Internationale Liga für Menschenrechte“ hat sich zum Iran des Öfteren
zu Wort gemeldet und die dortige Menschenrechtssituation nachdrücklich
verurteilt; das gilt auch für die aktuellen Menschenrechtsverletzungen. Die
Liga verurteilt aber auch die bundesdeutsche Praxis, Asylberechtigungen von
hier lebenden Iranern vermehrt zu widerrufen und sie einer drohenden
Abschiebung in den Iran auszusetzen (vgl. Liga-Pressemitteilung vom 28.01.
2005: „Liga hält Welle von Wider-rufsverfahren gegen Asylberechtigte für
einen Skandal“). Die Liga hält diese Praxis des Bundesamts für Migration
und Flüchtlinge weiterhin für einen Skandal, denn der Widerruf von
Asylberechtigungen verstößt in vielen dieser Fälle gegen völkerrechtliche
Standards und gefährdet die betroffenen Flüchtlinge. Der Entzug des
Asylstatus’ beschädigt die soziale Existenz der Betroffenen und schwächt
ihren Schutz vor Auslieferung an Verfolgerstaaten, wo sie der Gefahr von
Folter, Misshandlung und Mord ausgesetzt wären.
Dass iranische Flüchtlinge - trotz der katastrophalen
Menschenrechtssituation und enormer Gefährdung - tatsächlich in den Iran
abgeschoben werden können, zeigte der Fall der nicht asylberechtig-ten Zahra
Kameli, deren Abschiebung Anfang dieses Jahres erst in allerletzter Minute
verhindert werden konnte – dank des öffentlichen Protests und der
Zivilcourage eines Flugkapitäns, der sich weigerte, die gesundheitlich
angeschlagene Zahra Kameli gegen ihren Willen nach Teheran auszu-fliegen.
Kameli wäre als „Ehebrecherin“ und zum Christentum konvertierte ehemalige
Muslima im Iran akut mit Folter, Steinigung und Tod bedroht gewesen.
Die „Internationale Liga für Menschenrechte“ fordert die zuständigen Bundes-
und Länderbehörden eindringlich auf, gefährdete Menschen nicht in den Iran
abzuschieben – aber auch nicht in andere Länder, in denen die
Menschenrechtslage prekär ist. Die Liga bedauert in diesem Zusammenhang,
dass die Europäische Union während der diesjährigen Tagung der
UN-Menschenrechtskommission keine Resolution zu den staatlich angeordneten,
systematischen und massiven Menschenrechtsverletzungen im Iran eingebracht
hat. Die Liga hält es für einen internationalen Skandal, dass die
Uni-versalität der Menschenrechte offenbar unter die Räder des
internationalen Antiterrorkampfes gera-ten ist und den (bislang eher
erfolglosen) Verhandlungen der EU über das Nuklearprogramm des Iran zum
Opfer zu fallen droht. Strategische Militär- und Wirtschaftsinteressen der
europäischen und deutschen Außenpolitik dürfen nach Auffassung der Liga den
notwendigen Menschenrechtsdialog nicht weiter verdrängen.
Die „Internationale Liga für Menschenrechte“ sieht in Sachen Iran gerade
nach dem Amtsantritt des neuen Staatspräsidenten akuten Handlungsbedarf für
Bundesregierung und Europäische Union. Sie müssen verstärkt ihrer
völkerrechtlichen Verpflichtung nachkommen, alles in ihrer Macht Stehende zu
unternehmen, um Teheran zu veranlassen, die systematischen
Menschenrechtsverletzungen abzustellen und unabhängige internationale
Untersuchungsdelegationen ins Land zu lassen.
Dr. Rolf Gössner, Liga-Präsident
Mila Mossafer, Liga-Vorstandsmitglied
Die Liga möchte im Folgenden auf einige wenige aktuelle Fälle hinweisen:
Repression gegen Kurden
Mitte Juli wurde in der Stadt Mahabad der politische Aktivist Kamal Asfarum
ermordet. Er hatte sich aktiv für die Rechte der Kurden im Iran eingesetzt.
Die Regierung in Teheran hingegen bezeichnet den Getöteten, der im Iran auch
unter dem Namen Shwane Seyed-Ghaderi bekannt ist, als Unruhestifter und
rückt ihn in die Nähe eines Kriminellen. Seine offensichtliche Ermordung
durch Sicherheitsagenten des Regimes in Teheran (so die Deutsche Welle,
21.08.05) hat einen wütenden Aufstand in der iranischen Provinz Kurdistan
provoziert.
Aus Protest gegen das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte befinden sich
ganze kurdische Städte im Streik und ihre Bevölkerung leistet zivilen
Widerstand gegen tägliche Attacken von Seiten der irani-schen
Sicherheitskräfte. Während der Protestaktionen sind Dutzende von Menschen
getötet, Hunderte verletzt und verhaftet worden.
Am 2. August 2005 wurden die „Ashti-Zeitung“ und die Wochenzeitung „Asu“ in
iranisch Kurdistan verboten. Die Frauen- und Menschenrechtsaktivistin Dr.
Roya Toloui wurde in ihrer Heimatstadt Sanandaj mit der Begründung
verhaftet, sie habe "Friedenstörung" und "Handlungen gegen die nationale
Sicherheit" begangen. Sie beklagt eine anhaltende Diskriminierung der
Kurden, obwohl diese sich durchaus als iranische Staatsbürger verstünden.
Auch in einem UN-Bericht ist dem Teheraner Regime unlängst Diskriminierung
der von kurdischen und anderen ethnischen Minderheiten besiedelten Gebiete
vorgeworfen worden: In den Kurden-Regionen sei die Wasser- und
Stromversorgung besonders schlecht, hieß es in dem UN-Bericht, und auch der
Aufbau der Infrastruktur dort sei völlig unzureichend.
Die Liga fordert eine unabhängige Aufklärung sämtlicher Todesfälle und die
Bestrafung der Täter. Die Liga fordert darüber hinaus eine unverzügliche
Freilassung von Dr. Roya Toloui, eine Wiederzulassung der verbotenen
Zeitungen und die Beendigung der Diskriminierung der kurdischen Bevölkerung.
Repression gegen Journalisten
Akbar Ganji ist einer der bekanntesten Journalisten im Iran und einer der
schärfsten Kritiker des herrschenden islamischen Regime. Er sitzt im
Gefängnis und schwebt in Lebensgefahr. Er war wegen seiner unmenschlichen
Behandlung in Haft mehr als 60 Tage lang in den Hungerstreik getreten. Er
musste wegen akuter Lebensgefahr ins Krankenhaus eingeliefert werden, wo ihn
seine Familie und Anwälte nicht besuchen durften. Laut BBC hat Akbar Ganji
inzwischen seinen Hungerstreik beendet. Gesundheitlich befindet er sich in
einer kritischen Lage, auch wenn sich sein Zustand stabilisiert. Weiterhin
ist er einem enormen politischen Druck seitens der Revolutionsführer und
Justizbeamten ausgesetzt.
Die Liga fordert, Akbar Ganji bedingungslos freizulassen, weil er lediglich
von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht hat.
... gegen Rechtsanwälte
Rechtsanwalt Abdolfattah Soltani, Mitbegründer des Forums für
Menschenrechtsanwälte (zu denen auch die Friedensnobelpreisträgerin Shirin
Ebadi zählt) wurde am 30. Juli 2005 auf Befehl des Teheraner
Generalstaatsanwalts Said Mortazavi verhaftet. Dieser Staatsanwalt ist
verantwortlich für den Tod der iranisch-kanadischen Foto-Journalistin Zahra
Kazemi, die während ihrer Gefangenschaft im Juni 2003 gestorben ist. Der
inhaftierte Soltani gehört zu jenen Anwälten, die sich um die Aufklärung
dieses Todesfalls kümmern. Seine Verhaftung, die sich einige Tage vor
Beendigung des Gerichtsverfahrens in diesem Fall ereignete, soll offenbar
all jene Anwälte einschüchtern, die die Todesumstände Kazemis aufzudecken
versuchen. Soltani ist an einen unbekannten Ort verbracht worden. Die
Iranische Justiz behauptet, dass Soltani aus ganz anderen Gründen verhaftet
worden sei. Er wird beschuldigt, „vertrauliche Informationen über
Nuklear-Spione innerhalb und außerhalb des Landes zu verbreiten“.
Der iranische Rechtsanwalt Nasser Zarafshan hatte nach den Serienmorden an
Politikern und Schriftstellern im Jahr 1998 seine ganze Kraft dafür
eingesetzt, die Drahtzieher für diese Morde dingfest zu machen. Er war
Rechtsbeistand einiger Familien der Opfer dieser Morde. Er hatte sich
kritisch zu diesem Fall und zu den Ermittlungen geäußert. Deshalb ist er
verhaftet und nach einem unfairen, nichtöffentlichen Prozess von einem
Militärgericht zu fünf Jahren Gefängnis und 50 Peitschenhieben verurteilt
worden. Seit August 2002 ist er im berüchtigten Teheraner Ewin-Gefängnis
inhaftiert. Im Juni 2005 trat er in einen unbefristeten Hungerstreik.
Nachdem er wegen akuten Nierenversagens notoperiert werden musste, ist er
unmittelbar nach dieser Operation wieder in das Gefängnis verlegt worden.
Die Liga fordert, die genannten Anwälte bedingungslos freizulassen, weil sie
lediglich ihren Be-rufspflichten nachgekommen sind und von ihrem Recht auf
freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht haben.
Hinrichtung von Jugendlichen, Frauen und Homosexuellen
Am 20 Juli 2005 sind in der ostiranischen Stadt Meshed die beiden
Jugendlichen Mahmoud Asgari und Ayaz Marhoni im Alter von 16 und 18 Jahren
wegen homosexueller Handlungen nach 228 Peitschen-hieben öffentlich durch
den Galgen hingerichtet worden. Diese barbarischen Akte haben erneut
gezeigt, dass das iranische Regime weiterhin gegen die Allgemeine Erklärung
der Menschenrechte und den Internationalen Pakt über Kinderrechte, zu dessen
Vertragsstaaten der Iran gehört, verstößt. Auch hält sich das iranische
Regime nicht an die EU-Vereinbarungen von 2004, in der es versprach,
Hinrichtungen von Jugendlichen zu verbieten. Einen Tag nach den
Hinrichtungen äußerten verschiedene Abgeordnete des iranischen islamischen
Parlaments aus Mashad ihre Verärgerung – nicht etwa über diese staatlich
verüb-ten Morde, sondern über die kritische Berichterstattung der
ausländischen Medien.
Zwei Homosexuelle, Farbod Mostear und Ahmad Chooka, beide 27 Jahre alt, sind
von einem Gericht in der iranischen Stadt Arak zum Tode verurteilt worden.
Die Todesurteil sind vom obersten iranischen Gerichtshof bestätigt worden.
Die beiden können sich keinen Rechtsbeistand leisten. Sie sollen am 27.
August 2005 öffentlich gehängt werden.
Eine Frau namens Fatemeh (es ist nur der Vorname bekannt) ist von einem
Teheraner Gericht zur Steinigung verurteilt worden. Die iranische Zeitung
„Iran“ hat das Urteil am 16. Mai 2005 bekannt gegeben.
Die Liga fordert, alle anstehenden bzw. beschlossenen
Hinrichtungen/Steinigungen sofort zu stoppen, ebenso andere barbarische
Strafen und Folterungen. Sie fordert die Freilassung politischer Gefangener
und ordentliche Gerichtsverfahren gegen die für Menschenrechtsverletzungen
verantwortlichen Personen.
Dr. ROLF G Ö S S N E R
Rechtsanwalt/Publizist, Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte
Internet: www.rolf-goessner.de; Liga: www.ilmr.de
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