Warnung vor Sturm auf Kandil
Iranische Offensive gegen kurdische Guerillas im Grenzgebiet zu Irak
Von Nick Brauns *
Die iranische Armee bereitet sich offenbar darauf vor, in den Kandil-Bergen im iranisch-irakischen Grenzgebiet, die Stützpunkte kurdischer Guerillaorganisationen zu zerschlagen. Hier haben sowohl die Arbeiterpartei Kurdistans PKK wie auch ihre iranisch-kurdische Schwesterorganistion, die Partei für ein freies Leben in Kurdistan PJAK, ihre Hauptquartiere mit Tausenden Guerillakämpfern.
Seit Beginn der iranischen Offensive gegen die PJAK am 16. Juli in der Grenzregion von Xinere und Xakurke wurden nach iranischen Angaben Dutzende Guerillas getötet und drei Camps auf nordirakischem Territorium erobert. Dagegen meldete die PJAK acht gefallene Kämpfer und gibt die Zahl der getöteten Soldaten und Revolutionsgardisten mit 225 an, darunter drei namentlich genannte iranische Generäle. Bei der Bombardierung wurden zudem mindestens drei Zivilisten getötet. 800 Bewohner seien aus ihren Dörfern im Nordirak geflohen, meldet das Internationale Komitee vom Roten Kreuz.
Nach PKK-Angaben hat die iranische Armee 30 000 Soldaten und schwere Waffen im Grenzgebiet zusammengezogen. »Ihr Ziel ist letztlich der Einmarsch in die Kandil-Berge«, befürchtet der PKK-Oberkommandierende Murat Karayilan. Die PKK habe Iran nicht den Krieg erklärt. Doch wenn die Angriffe nicht gestoppt würden, sei die PKK bereit, gemeinsam mit der PJAK die von ihr seit mehr als zehn Jahren kontrollierte Region im iranisch-irakisch-türkischen Grenzgebiet zu verteidigen.
Die irakische Regierung und die kurdische Regionalregierung haben Untersuchungskommissionen ins Grenzgebiet geschickt, hüllen sich aber ansonsten in Schweigen. So dementierte der kurdische Minister für die Peschmerga-Truppe, Jabbar Yawar, ebenso wie das irakische Innenministerium, daß es zu Grenzverletzungen durch die iranischen Truppen gekommen sei. Mahmoud Osman, ein unabhängiger Abgeordneter im kurdischen Regionalparlament, beschuldigt daher die irakische Regierung, gemeinsam mit der Türkei und dem Iran eine Allianz gegen PKK und PJAK gebildet zu haben. Auch die US-Besatzungstruppen, die die Türkei mit Geheimdienstinformationen über die PKK-Guerillastellungen versorgen, seien Teil dieser Allianz, denn das türkische Militär gebe diese Informationen an die Iraner weiter. Wie örtliche Beobachter gegenüber der kurdischen Agentur Firat äußerten, sollen rund 300 türkische Kommandosoldaten zur Unterstützung der iranischen Offensive im Einsatz sein.
Die USA hatten zuerst versucht, die seit ihrer Gründung 2004 auch bewaffnet für Autonomierechte der Kurden im Iran eintretende PJAK zur Destabilisierung des Landes zu nutzen. Nachdem die Organisation sich einer solchen Instrumentalisierung versperrte, wurde sie von den USA 2009 auf ihre Liste terroristischer Organisationen gesetzt.
Um eine Lösung der kurdischen Frage in Iran ohne äußere Einmischung zu ermöglichen, hatte die PJAK seit 2009 einen Waffenstillstand verkündet. Die jetzige iranische Militäroffensive scheint außenpolitische Ursachen zu haben. Da die Türkei auf die harte NATO-Linie gegenüber Syrien eingeschwenkt ist, droht Iran eine weitere Isolation in der Region. Mit dem Ausspielen der antikurdischen Karte soll offenbar versucht werden, die Türkei wieder enger an die Seite des Iran zu führen.
Gegenüber Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) forderte dessen iranischer Amtskollege Ali Akbar Salehi am Montag (25. Juli) telefonisch, Maßnahmen gegen den als deutschen Staatsbürger in Köln lebenden PJAK-Vorsitzenden Haji Ahmadi zu ergreifen.
* Aus: junge Welt, 27. Juli 2011
Pressemitteilung
von Andrej Hunko (MdB), Harald Weinberg (MdB), Ulla Jelpke (MdB),
Heidrun Dittrich (MdB), Ingrid Remmers (MdB), Cansu Özdemir (MdBü
Hamburg), Barbara Cárdenas(MdL Hessen), Ali Atalan (MdL NRW), Bärbel
Beuermann (MdL NRW), Murat Cakir (Rosa Luxemburg Stiftung, Hessen),
Prof. Dr. Werner Ruf (Friedensforscher Kassel)
Der völkererchtswidrige Angriff der Iranischen Armee im kurdischen
Nordirak ist nicht hinnehmbar
Seit dem 16. Juli 2011 greift das Iranische Militär völkerrechtswidrig
Ziele in der kurdischen Autonomieregion im Nordirak an. Aufgrund
tagelanger Bombardierungen und Gefechte kamen dabei bislang mehr als 250
iranische Soldaten, 8 Mitglieder der PKK nahen Partei für ein freies
Leben in Kurdistan (PJAK), sowie 3 Zivilisten ums Leben. Unzählige
Menschen wurden verletzt. Das Internationale Rote Kreuz berichtet von
Dorfzerstörungen. Hunderte Familien, aus der grenznahen Region, befänden
sich auf der Flucht. Offenbar strebtder Iran an, trotz anhaltender
Friedensbemühungen der PJAK und der PKK, den Kandil, eines der
Rückzugsgebiete der kurdischen Freiheitsbewegung im Nordirak, einzunehmen.
"Die völkerrechtswidrige Grenzüberschreitung durch das iranische Militär
ist nicht hinnehmbar, wir fordern die Bundesregierung und die EU dazu
auf, sofort alle politischen Wege zu nutzen, um ein weiteres unnötiges
Blutvergießen zu verhindern," dazu MdB, Die Linke, Harald Weinberg.
An der Grenze wurden, Berichten zufolge mehr als 30000 Soldaten, ebenso
wie modernste Waffensysteme, von denen selbst die Hauptstadt der
kurdischen Autonomieregionen, Erbil bedroht würde, stationiert. Auch
türkische Spezialkräfte unterstützten die grenzüberschreitenden
Operationen. Der für Sicherheitsfragen zuständige Minister der
kurdischen Regionalregierung, Jabbar Yawar, kritisierte "dasseit 2007
durch militärische Angriffe des iranischen und des trkischen Militärs
mehr als 400 Dörfer geräumt werden mussten.
Abgeordnete des Irakischen Parlaments bezeichnen das völkerrechtswidrige
Vorgehen berechtigter Weise ebenfalls als "eine gefährliche Aggression
gegen die Autonome Region Kurdistan, die offenbar gut mit der Türkei
koordiniert worden sei." Am 11. Juli war der türkische Außenminister A.
/Davutog(lu///zu Gesprächen in den Iran gereist. In der regierungsnahen
Tageszeitung Zaman bekräftigte der dem türkischen Ministerpräsidenten
R.T. Erdogan nahe stehende Kolumnist, Fehmi Koru die Zusammenarbeit der
Türkei mit den USA wie auch die Kooperation mit dem Iran. Er drohte,
dass "ein ähnliches Massaker, wie gegen die Tamil Tigers in Sri Lanka
auch an PKK und PJAK begangen werden könne."
"Die Türkei wäre gut beraten, sich solch unverhohlene Drohungen zu
sparen und stattdessen den seitens der Kurden schon länger geforderten
Weg zu einer friedlichen und demokratischen Lösung endlich ernst zu
nehmen. Die von ihr angestrebte Mittlerfunktion im Nahen Osten ist
jedenfalls nicht über gewaltsame Interventionen oder deren Unterstützung
zu erreichen. Hier ist auch die Bundesregierung gefragt, ihren
politischen Einfluss zu nutzen und der bereits angekündigten Abwendung
der Türkei von der Europäischen Union etwas entgegen zu setzen,"
kommentiert die Bundestagsabgeordnete, Ingrid Remmers (DIE LINKE.)
Im Iran leben ca. 8 Millionen Kurden. Immer wieder kritisieren
Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International (AI), dass diese
"im besonderen Maße religiöser, wirtschaftlicher und kultureller
Diskriminierung durch das Iranische Regime ausgesetzt sind." Daher
stehen laut AI mehrere "kurdische Organisationen seit Jahren in
bewaffneter Opposition zur Islamischen Republik Iran." Führende
Mitglieder der PJAK hätten sich jedoch wiederholt "für eine friedliche
und dialogische Lösung des Konflikts ausgesprochen," wenn u.a.
"Militäroperationen eingestellt, Menschenrechte und kulturelle Rechte
eingehalten und politische Gefangene freigelassen würden." 2009 erklärte
die Organisation folglich einen einseitigen Waffenstillstand.
"Nach den Wahlen am 12. Juni hat sich die Lage in der Türkei dramatisch
zugespitzt. Mit den spezifischen Schikanen gegen die kurdische
Bevölkerung und der Aberkennung des Mandates des gewählten Abgeordneten
Hatip Dicle signalisiert die türkische Führung völliges Desinteresse an
einer parlamentarisch-demokratischen Lösung des türkisch-kurdischen
Konflikts. Die Anzeichen einer möglicherweise mit dem Iran koordinierten
militärischen "Lösung" der Kurdenfrage sind höchst Besorgnis erregend.
Das wohlwollende Schweigen der EU und der Bundesregierung hierzu, aus
vermeintlichen geostrategischen Interessen, muss endlich aufhören," so
MdB, Die LINKE, Andrej Hunko.
Parallel zu den militärischen Angriffen kam es in mehreren grenznahen
iranischen Orten zu Razzien, bei denen, Agenturangaben zufolge, mehrere
politische Aktivisten festgenommen wurden. Zudem wurden durch den Iran
Kopfgelder von 5000 $, für einfache Mitglieder und 50000 $ für führende
Mitglieder der PJAK ausgeschrieben. "Die Situation in der Region wird
auf besorgniserregende Weise zugespitzt. Im Iran kam es ohnenhin neben
einer alltäglichen Folterpraxis im Jahr 2010 zu mindestens 388
Hinrichtungen. Momentan sitzen mindestens 16 kurdische politische
Gefangene, die in Prozessen ohne anwaltliche Vertretung zum Tode
verurteilt wurden, in der Todeszelle. Die Internationale Öffentlichkeit,
darf sowohl zu den Militäreinsätzen, wie auch zu den
Menschenrechtsverletzungen nicht schweigen," bekräftigt Cansu Özdemir,
Bürgerschaftsabgeordnete der LINKEN in Hamburg.
"Ermutigt wird die Kriegsallianz Iran-Türkei selbst von den USA, die
die türkische Armee mit Geheimdienstinformationen über die kurdischen
Freiheitskämpfer versorgt," kritisiert die Bundestagsabgeordnete der
LINKEN, Ulla Jelpke. "Doch auch die Bundesregierung ist Teil dieser
antikurdischen Allianz, in dem sie hier lebende Kurdinnen und Kurden mit
dem PKK-Verbot kriminalisiert und als Terroristen verfolgt. Alle
demokratischen Kräfte und die Friedensbewegung müssen jetzt mit den
erneut von Massakern bedrohten Kurden solidarisch sein."
Obwohl - oder gerade weil - die kurdische Bewegung von der Mehrheit der
Bevölkerung getragen wird, seit Jahren auf Frieden orientiert und auf
parlamentarischer und kommunalpolitischer Ebene, trotz erheblicher
Repression, konkrete Schritte der Demokratisierung und der Emanzipation
der Frau einfordert und umsetzt, erhält sie kaum Unterstützung seitens
"der westlichen" Regierungen.
"Gerade wir in Hessen, die im letzten Jahr eine offizielle Partnerschaft
mit der türkischen Region Bursa eingegangen sind, haben Verantwortung,
von der türkischen Politik die Einhaltung der elementarsten
Menschenrechte einzufordern, - und dies auch angesichts der erstarkten
parlamentarischen Rolle der pro-kurdischen Bewegung seit den letzten
Wahlen, die einen Demokratisierungsschub für die gesamte Türkei bedeuten
kann", fordert Barbara Cárdenas, MdL DIE LINKE in Hessen.
"Auch die Überfälle von Faschisten auf kurdische Büros in Hannover und
Peine, sowie an vielen Orten in der Türkei, können nicht abgekoppelt von
den Militäroperationen und der Kriminalisierung der Kurden verstanden
werden. Die LINKE wendet sich demgegenüber konsequent gegen rechte
Gewalt und Faschismus," so Heidrun Dittrich, MdB aus Hannover, "In
Anbetracht der angestrebten Neuordnung des Mittleren Ostens könnte die
organisierte emanzipatorische Politik der kurdischen Seite ein seitens
der Regierungen der EU und den USA unerwünschtes Rollenmodell für
mögliche, demokratische und stabilisierende, gesellschaftliche
Entwicklungen sein. Die Verantwortlichen müssten sich dann allerdings
vorwerfen lassen, durch ihre Politik dazu beizutragen, eine gesamte
Region bewusst zu destabilisieren und unnötiges Blutvergießen mit zu
verantworten."
Quelle: Newsletter der Informationsstelle Kurdistan e.V., 29.Juli 2011
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