Iran im virtuellen Visier
MEDIENgedanken: Fiktion und Realität in Videospielen
Von Michael Schulze von Glaßer *
31. Oktober 2014 in der Wüste vor
der iranischen Hauptstadt Teheran:
M1-Abrams-Panzer der USMarines
preschen durch die karge
Landschaft und ziehen lange
Staubwolken hinter sich her. Über
den Köpfen der aus ihren Panzern
lukenden Soldaten schnellen
Kampfflugzeuge hinweg. Militärhubschrauber
fliegen eilig vorbei.
Dunkle Rauchwolken steigen am
Horizont empor. Eine Meldung
kommt über den Funk: »Aufklärer
berichten: feindliche Panzer
voraus.« Artillerie-Raketen fliegen
über die Panzer hinweg. Die Soldaten
machen sich bereit für die
Schlacht. Es zischt kurz – eine
Granate explodiert direkt vor einem
der US-Kampfpanzer. Diese
nehmen nun anrückende Feind-
Panzer ins Visier: »Feuer!« Die
Granaten ziehen einen Flammenschweif
hinter sich her und
explodieren. Nach kurzer Zeit ist
das Gefecht beendet: »Boooom.
Ziel zerstört«, jubelt ein Soldat.
Die nahezu fotorealistische
Schlachtfeld-Szene stammt aus
dem dieser Tage erscheinenden
Videospiel »Battlefield 3«. Darin
kämpft der Spieler in der Rolle eines
US-Soldaten in Iran. Das brisante
Konflikt-Szenario haben die
Entwickler des schwedischen »Digital
Illusions«-Studios dabei bewusst
gewählt: »Wir wollten das
Spiel so schlüssig wie möglich wirken
lassen, denn wenn die Spieler
aufhören, daran zu glauben,
dass das alles wirklich so und nicht
anders passieren könnte, hat man
nur noch einen ganz normalen
Shooter von der Stange«, erklärt
David Goldfarb, Lead Designer und
Lead Writer von »Battlefield 3«, in
einem Entwickler-Tagebuch. »Es
muss sich real anfühlen, es soll
Emotionen hervorrufen«, beschreibt
Goldfarb das Entwicklungsziel.
Aber dürfen reale Konflikte wie
der zwischen den USA und dem
Iran überhaupt in Videospielen
aufgegriffen werden? Martin Lorber
vom »Battlefield 3«-Publisher
»Electronic Arts« rudert zurück:
»Es werden in dem Spiel keinerlei
politische Aussagen getroffen«,
behauptet der PR-Director. Es
handele sich in dem Spiel um ein
rein fiktives Szenario, welches im
Übrigen neben Teheran auch an
anderen Orten wie New York und
Paris spiele. Der Kasseler Politikwissenschaftler
Peter Strutynski
bewertet das Szenario von »Battlefield
3« ebenfalls als Fiktion.
Auch wenn zwischen Washington
und Teheran momentan diplomatische
Eiszeit herrsche, hätten
die USA mit der Wirtschaftskrise
genügend andere Probleme. Zudem
mangele es an Zustimmung
für eine militärische Intervention
in Iran. Kriege würden zudem vor
allem aus der Luft geführt, große
Panzerschlachten wie im »Battlefield
3«-Trailer gebe es nicht mehr.
Allerdings sieht Strutynski im Szenario
des Videospiels durchaus
»eine Art psychologischer Kriegsvorbereitung
« und damit eine politische
Aussage. Das Videospiel
mache aus einem fiktiven Krieg,
der auf einem realen politischen
Konflikt basiere, einen interessanten
und spannenden Zeitvertreib
für die Spieler. Der Politikwissenschaftler
hält das Spiel daher
für einen »gefährlichen
Sprengsatz«.
Das Phänomen, dass in PCSpielen
Feindbilder verbreitet
werden, die in den meisten Fällen
dem politischen Zeitgeist folgen,
ist nicht neu. In den letzten
Jahren griffen viele Spiele politisch
brisante Szenarien auf: so
thematisierte das 2009 erschienene
Videospiel »Operation Flashpoint:
Dragon rising« den auch in
der Realität gegebenen Rohstoffhunger
Chinas. In dem Taktik-
Shooter-Videospiel führt dies zu
einem Krieg mit den USA. Russische-
Ultranationalisten sind im
2010 veröffentlichten Luftkampf-
Actionspiel »H.A.W.X. 2« die
Feinde.
Es darf dabei nicht vergessen
werden, dass heutige Videospiele
fast ausschließlich von westlichen
Firmen für den westlichen Markt
entwickelt werden – die in den
Spielen vermittelten Geschichten
werden also nahezu immer nur
aus westlicher Sicht erzählt. Die
Medienwissenschaftlerin Sabine
Schiffer merkt aber an, dass es
wenig Sinn mache, Videospiele alleine
in den Fokus der Kritik zu
stellen. Damit Feindbilder bei den
Mediennutzern Wirkung erzeugen
und die politischen Ansichten verändern,
müssten sie in zahlreichen
Medien weitreichend verbreitet
werden.
Die Geschichte von »Battlefield
3« basiert auf dem realen politischen
Konflikt um Iran und führt
ihn in einem fiktiven Krieg mit den
USA im Jahr 2014 fort. Ein spannendes
Szenario, das aber vor allem
dafür geschaffen wurde, um
die Kassen klingeln zu lassen: der
US-Publisher Electronic Arts fährt
mit dem Spiel einen Frontalangriff
auf den bisherigen Platzhirsch
im Genre der First-Person-
Shooter – das US-Unternehmen
»Activision«. Dessen neues Shooter-
Spiel »Call of Duty: Modern
Warfare 3« erscheint nicht mal
zwei Wochen nach »Battlefield 3«.
In »Modern Warfare 3« provozieren
russische Terroristen einen
Dritten Weltkrieg zwischen
Russland und den NATO-Staaten
– auch Berlin soll in dem Spiel zum
virtuellen Schlachtfeld werden.
* Der Autor ist Beirat der Informationsstelle
Militarisierung e.V.
und beschäftigt sich auf der Website
Militanment.info ausführlich
mit militärischen Videospielen und
Filmproduktionen.
Aus: Neues Deutschland, 29. Oktober 2011
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