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Gefährliche Feindschaft

Israel und Iran

Von Norman Paech *

Vor einigen Monaten sandte die israelische Regierung einen Politiker der Opposition, Jossi Beilin von der Meretz-Partei, nach Berlin. Einziger Punkt seiner Mission: die Bundesregierung von der tödlichen Bedrohung Israels durch Iran zu überzeugen und für härtere Sanktionen gegen Iran zu werben. Wer dieser Tage nach Jerusalem fährt, wird vor allem mit diesem Thema konfrontiert. Wie dramatisch die israelische Regierung die Bedrohung einschätzt, zeigten die Manöver der israelischen Luftwaffe im Mittelmeer, mit denen Bombenabwürfe auf iranische Atomanlagen geübt wurden. Es vergeht keine Woche, in der nicht ein israelischer Militär oder Politiker die Möglichkeit eines militärischen Schlages gegen Iran bekundet.

Die Unterstellung, dass die iranische Regierung über die wahren Absichten ihres Atomprogramms täusche, mag mit der notorischen Unglaubwürdigkeit politischer Regierungserklärungen ganz allgemein zusammenhängen. Man schließt hier eben nur von sich auf andere. Sie kann aber auch aus der ganz rationalen Einsicht erwachsen, dass ein Staat in der Situation Irans – von Atomstaaten und US-amerikanischen Vasallenstaaten umgeben, ohne Gewaltverzicht oder ein Sicherheitsabkommen, welches die USA verweigern, die statt dessen selbst mit einem militärischen Überfall drohen – nur allzu plausible Gründe hat, sich mit dem ultimativen Mittel, d. h. der Atombombe zu schützen. Einziger Ausweg aus dieser atomaren Hochrüstung wäre die allseitige konsequente Abrüstung – sei es nun in Israel oder Pakistan, in Indien oder in den USA.



Mahmud Ahmadinedschad hat das iranische Atomprogramm über die letzten Jahre so vehement verteidigt, dass ein Verzicht oder ein Moratorium der Urananreicherung einem politischen Selbstmord gleichkäme. Das weiß die israelische Regierung, und das wissen auch die europäischen Regierungen und die USA. Wenn sie dennoch – nur gebremst von Russland und China – die Sanktionsschraube weiter anziehen, rückt eine militärische Intervention unweigerlich immer näher. Ein Einlenken, d. h. eine Aufgabe des Anreicherungsprogramms, werden sie damit nicht bewirken, aber wahrscheinlich das, was sie verhindern wollen: die Produktion waffenfähigen Urans.

Denn welche Alternative bleibt der Regierung in Teheran, wenn sie aus innenpolitischen Gründen gar nicht auf die Forderungen der USA eingehen kann? Dass Iran in Ruhe die Urananreicherung weiter verfolgen kann, ist in keinem Fall zu erwarten. Am 6. September 2007 zerstörte Israel eine im Aufbau befindliche Atomanlage in Syrien. Mit der Zerstörung der syrischen Atomanlagen hat Israel nicht nur demonstriert, dass es militärisch in der Lage ist, solche gezielten Operationen erfolgreich durchzuführen.

Politikverweigerung als Prinzip der Politik

Es hat auch gezeigt, dass eine solche Aktion faktisch ohne Reaktion des betroffenen Staates und ohne Sanktion der UNO bleibt. 1981, als Israel den Osirak-Reaktor in Irak zerstörte, hatte der UNO-Sicherheitsrat sofort danach den Angriff als völkerrechtswidrig verurteilt. Das blieb zwar ohne direkte Konsequenz für Israel. Die Resolution 487 zeigte aber den Willen der UNO, solche Völkerrechtsverstöße auf keinen Fall zu dulden, selbst wenn jede Sanktion gegen Israel am Veto der USA scheiterte.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Die offenen Völkerrechtsbrüche, die USA und NATO mit ihren Kriegen gegen Jugoslawien und Irak begangen haben, sind ohne Rüge, geschweige denn Sanktion durch die UNO geblieben. Und so werden sich auch Israel und die USA derzeit sicher sein können, dass eine gezielte Luftoperation gegen die schon lange identifizierten Ziele in Iran ohne gravierende Reaktionen der UNO bleiben wird – was die Kriegsgefahr beträchtlich erhöht.

Iran hat bis jetzt offensichtlich nur begrenzte Möglichkeiten, militärisch auf einen solchen Angriff zu reagieren. Außerdem riskiert es, mit Vergeltungsangriffen gegen Israel jenes Szenario heraufzubeschwören, welches der israelische Historiker Benny Morris in der »New York Times« mit unweigerlichen Atomschlägen Israels vorausgesagt hat.

Morris ist auch davon überzeugt, dass ein Krieg mit atomarer Zuspitzung unvermeidlich sein wird, wenn Iran in den Besitz von eigenen Atomwaffen gelangen sollte. Denn um einem Vernichtungsschlag Teherans zuvorzukommen, werde Israel von seinen Waffen Gebrauch machen – eine apokalyptische Vision, gegen die sich jede Vorstellung sträuben muss. Sie arbeitet mit der Projektion, dass Iran auf jeden Fall die Vernichtung Israels im Visier hat.

Alle Versicherungen vom religiösen Oberhaupt Irans, Ayatollah Chamenei, bis zum langjährigen Leiter der iranischen Verhandlungsdelegation, Ali Laridschani, und selbst von Ahmadinedschad, dass man keine Angriffspläne schmiede, noch nie einen Krieg gegen einen anderen Staat begonnen habe, der Besitz und der Einsatz von Atomwaffen nicht mit den Gesetzen des Koran vereinbar seien, werden mit der gleichen Selbstgewissheit abgewiesen, wie man auch mit Hamas oder Hizbollah umgeht. Man unterstellt die Nutzlosigkeit des Dialogs, um damit dessen Nutzlosigkeit beweisen zu können; man verweigert die Politik, um mit der Politikunfähigkeit den Griff zu den Waffen begründen zu können.

Treiben die Kontrahenten also mit fataler Notwendigkeit auf eine militärische Konfrontation zu? So sehr dieses drohende Szenario jeder Vernunft und rationalen Überlegung widerspricht, unwahrscheinlich ist es leider nicht. Denn schon einmal haben wir uns grundlegend getäuscht. Während der extensiven Debatten im UNO-Sicherheitsrat über die angeblichen Massenvernichtungswaffen in Irak 2002/2003 klammerten sich alle an die pazifizierende Wirkung des politischen Diskurses, um nachher doch einsehen zu müssen, dass die Entscheidung zum Krieg gegen Irak schon lange vorher gefallen war

Auch die Vorbereitungen für gezielte militärische Schläge gegen die weit verstreuten Atomanlagen und militärischen Kommandozentralen in Iran sind nach allen verfügbaren Informationen bereits soweit vorangetrieben, dass es nur noch des Einsatzbefehls bedarf. Die Tatsache, dass ein derartiger Angriff in jedem Fall ein Verstoß gegen die UNO-Charta wäre und auch nicht mit der neuen Heeresdoktrin der USA vom »pre-emptive strike«, dem vorbeugenden Schlag, gerechtfertigt werden könnte, bereitet den Überlegungen der USA und Israels offensichtlich überhaupt keine Irritationen mehr. Man ist bereits »jenseits des Völkerrechts« und frönt einem ungeschminkten Völkerrechtsnihilismus.

Wo aber bleibt der politische Weg, den alle Beteiligten immer wieder beschwören? Bedrohungen, seien sie real oder nur eingebildet, lassen sich nur durch Verhandlungen und Dialog aus dem Weg räumen. Die Bedrohung Israels aber liegt in der Drohung durch Israel und die USA selbst. Sollte diese Drohung Wirklichkeit werden, so wird sie nicht nur die unmittelbar beteiligten Staaten, sondern die ganze Region in eine Katastrophe stürzen. Darüber hinaus wird der internationale Terror Dimensionen entfalten, wie wir sie bisher wahrscheinlich nur im Anschlag vom 11. 9. 2001 erlebt haben.

Zwei zerrissene, heterogene Länder

Doch wer droht nun eigentlich wem? Die verbalen Angriffe des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad heizen die antiisraelische und antisemitische Stimmung im Lande mächtig an. Die Replik Israels fällt mit der Drohung eines militärischen Angriffs umso deutlicher aus. Bleibt noch die Frage nach dem Warum.

In Israel und Iran haben wir es mit zwei Regierungen zu tun, die ihre innenpolitische Schwäche darüber zu kompensieren versuchen, dass sie einen äußeren Feind ausmachen, der ihr Land bedroht. Die zerrissene und sehr heterogene israelische Gesellschaft wird seit langem über die Notwendigkeit, sich gegen die feindlichen Nachbarn zu wehren, zusammengehalten. Ahmadinedschad wiederum versucht, die Probleme zwischen Sunniten und Schiiten zu entschärfen und eine innenpolitische Krise abzuwenden, indem er beide Gruppen auf den gemeinsamen Feind Israel einschwört. Schon Friedrich Engels sprach von dem »alten bonapartistischen Mittel, sich der inneren Schwierigkeiten durch einen auswärtigen Krieg zu erwehren«. Das Wissen um den katastrophalen Ausgang eines solchen Krieges für beide Seiten sollte allerdings auch den Spielraum für Deeskalation und Dialog erweitern. Gelingt es den europäischen Regierungen, sowohl Iran als auch Israel bei ihren innenpolitischen Schwierigkeiten zu helfen, wird auch die gegenseitige Bedrohung ihre Notwendigkeit verlieren und überflüssig werden.

Präventiver Schlag?

Der französische Außenminister Bernard Kouchner hat es für »völlig inakzeptabel« erklärt, dass Iran eine Atombombe bauen könnte. Israel werde nicht so lange abwarten, bis sich Iran mit einer Atombombe bewaffnet habe, sagte Kouchner vergangene Woche der israelischen Zeitung »Haaretz«.

Die iranische Führung sei sich darüber bewusst, dass sie mit einem Präventivschlag rechnen müsste. Ein Militärschlag sei jedoch keine Lösung, fuhr Kouchner fort. Es müssten weitere Sanktionen verhängt werden, aber auch der Dialog dürfe nicht abbrechen. Die israelische Regierung sieht in Iran ihren größten Feind in der Region.
AFP



* Prof. Norman Paech ist außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag.

Aus: Neues Deutschland, 8. Oktober 2008


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