Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kompromiß in Sicht

Iran prüft Vereinbarung mit Rußland, Frankreich und den USA im Atomstreit

Von Knut Mellenthin *

Iran will Mitte dieser Woche offiziell erklären, ob es einem Deal zustimmt, der unter Vermittlung der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) mit Rußland, Frankreich und den USA ausgehandelt wurde. Die Gespräche hatten in der vergangenen Woche am Sitz der Behörde in Wien stattgefunden. Die vier Delegationen hatten sich dabei auf die Grundsätze einer Einigung verständigt, die IAEA-Generalsekretär Mohammed ElBaradei anschließend zu einem Vertragsentwurf zusammengefaßt hatte. Während die Regierungen Rußlands, Frankreichs und der USA schon am Freitag bekanntgaben, daß sie den Entwurf akzeptieren, will Teheran den Vorschlag zunächst gründlich prüfen. Einflußreiche iranische Politiker wie Parlamentspräsident Ali Laridschani, der früher selbst Chefunterhändler seines Landes bei den Atomgesprächen war, haben bereits Kritik an dem Abkommen geäußert. Die IAEA geht aber dennoch davon aus, daß Iran die Vereinbarung »in einem günstigen Licht« betrachten werde.

Einzelheiten des Vertragsentwurfs wurden bisher nicht veröffentlicht. Vorgesehen ist offenbar, daß Iran rund 1200 Kilogramm niedrig angereichertes Uran – das sind 75 bis 80 Prozent seiner Vorräte – nach Rußland liefern wird. Dort soll das Material von jetzt 3,5 Prozent auf 19,75 Prozent angereichert werden. Anschließend soll es in Frankreich zu Metallplatten verarbeitet werden. Diese werden zum Betrieb eines Versuchsreaktors in Teheran benötigt, der medizinische Isotope für Krebspatienten herstellt. Den Reaktor hatten die USA dem Iran noch zu Zeiten der Schah-Herrschaft zur Verfügung gestellt.

Das Material, das Argentinien 1993 zum Betrieb des Reaktors geliefert hatte, reicht nur noch für etwa ein Jahr. Iran hatte sich deshalb im Juni an die IAEA mit der Bitte um Hilfe bei der Beschaffung neuer Brennplatten gewandt. Die US-Regierung hatte daraufhin, zunächst in Geheimkontakten, das jetzt offenbar vereinbarte Verfahren vorgeschlagen. Einige iranische Politiker würden es zwar vorziehen, das erforderliche Material auf dem internationalen Markt zu kaufen, ohne gleichzeitig den größten Teil ihrer eigenen Vorräte an schwach angereichertem Uran wegzugeben. Allerdings dürfte das keine realistische Option sein, da Iran unter den jetzigen Verhältnissen keinen Verkäufer finden würde.

Unterdessen hat der vorgeschlagene Deal heftige Aufregung und Empörung bei israelischen Politikern ausgelöst. Premierminister Benjamin Netanjahu bezeichnete die geplante Vereinbarung als unzureichend. Die internationale Gemeinschaft müsse ihren Druck auf Iran verstärken, um das Land zu einem vollständigen Verzicht auf jede Form von Urananreicherung zu zwingen. Vizepremier Silwan Schalom sprach am Freitag sogar bei UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in New York vor und forderte, daß die internationale Gemeinschaft den Vertragsentwurf der IAEA ausdrücklich verurteilen müsse. Iran sei ohnehin nicht bereit, auf Atomwaffen zu verzichten, sagte Schalom, der der rechten Likud-Partei von Netanjahu angehört. Israel ist das einzige Land des Nahen Ostens, das Atomwaffen besitzt und produziert. Im Gegensatz zu Iran hat es den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet und weigert sich, seine Atomanlagen durch die IAEA kontrollieren zu lassen.

* Aus: junge Welt, 26. Oktober 2009


Zurück zur Iran-Seite

Zur Atomwaffen-Seite

Zurück zur Homepage