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Atom-Geflüster im Hinterzimmer

Erstmals soll es Gespräche zwischen Iran und Israel über Nuklearfragen gegeben haben

Von Jan Keetman, Istanbul *

Haben Iraner und Israelis in aller Stille Atomverhandlungen geführt? Die israelische Zeitung »Haaretz« will davon erfahren haben. Es wäre ein Zeichen beiderseitiger Vernunft, das der Nahe Osten dringend braucht.

Zum ersten Mal soll es in der Atomfrage so etwas wie einen Kontakt zwischen Iran und Israel gegeben haben. Wie es heißt, nahmen Ende September sowohl Vertreter Irans als auch Israels an einem von Australien organisierten, nichtöffentlichen Forum teil. Die Gespräche fanden der israelischen Zeitung »Haaretz« zufolge am 29. und 30. September in Kairo statt. Es sollen auch Vertreter aus Jordanien, Ägypten, Tunesien, Marokko, Saudi-Arabien, den USA und der EU beteiligt gewesen sein.

An drei Tagen wurde über die Idee einer atomwaffenfreien Zone im Mittleren Osten diskutiert. Laut »Haaretz« soll dabei der Vertreter Irans bei der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) Ali Asghar Soltanieh, der Direktorin für Waffenkontrolle der israelischen Atombehörde, Meirav Zafary-Odiz eine heikle Frage gestellt haben: »Haben Sie Atomwaffen, oder haben Sie keine?« Zafary-Odiz soll dabei mit einem Lächeln geantwortet haben.

Israel verfügt Experten zufolge über bis zu 200 Atomsprengköpfe, was es aber nicht zugibt. Die israelische Führung hat andererseits mehrfach zu verstehen gegeben, ein iranisches Atomwaffenprogramm notfalls durch einen militärischen Angriff stoppen zu wollen.

Die gemeinsame Teilnahme von Vertretern Irans und Israels an dem Forum und einige dabei ausgetauschte Worte kann man indessen kaum als diplomatischen Kontakt bezeichnen und schon gar nicht als Beginn von Verhandlungen zwischen beiden Seiten. Nach iranischer Darstellung hat es sie nicht gegeben, denn der iranischen Öffentlichkeit wird Israel seit der Islamischen Revolution von 1979 als der Inbegriff des Bösen dargestellt. Der Sprecher der iranischen Atomenergieorganisation Ali Shirzadian stritt sofort jeden diplomatischen Kontakt mit Israel ab: »Dies ist eine Lüge, eine Art psychologischer Operation, geschaffen, um den fortlaufenden Erfolg der diplomatischen Gespräche in Genf und Wien zu beeinträchtigen«, sagte Shirzadian.

Bei diesen Gesprächen gibt es indessen so etwas wie einen Hoffnungsschimmer. Der Chef der IAEA, Mohamed al-Baradei, ist optimistisch, dass es bald zu einem Durchbruch bei den Verhandlungen mit Iran kommen wird. Seit Anfang der Woche verhandelt Iran mit den USA, Russland und Frankreich in Wien über einen Export seines angereicherten Urans ins Ausland.

Wie die BBC unter Hinweis auf nicht namentlich genannte russische Experten meldet, sieht der Entwurf einer Vereinbarung, die nun auf dem Tisch liegt, eine Art Kreislauf des Urans vor: Iran schickt sein bereits teilweise angereichertes Uran, etwa 1200 Kilogramm, an die IAEA, diese gibt es weiter an Russland. Dort wird es auf den für einen Reaktor nötigen Anreicherungsgrad gebracht. Dann geht das Uran zurück an die IAEA, die es an Frankreich weitergibt, wo die Brennstäbe fertig gestellt werden. Frankreich sendet das Uran wieder über die IAEA zurück nach Iran, wo es in einem Versuchsreaktor gebraucht wird.

Das Geschäft bietet für alle Seiten Vorteile. Der Westen könnte sicher sein, dass zumindest aus dem bisher angereicherten Uran nicht etwas abgezweigt wird, um es auf den für eine Bombe notwendigen Anreicherungsgrad zu bringen. Iran kann seine Atomanlangen behalten. Es wäre nicht ganz ausgeschlossen, dass Iran in Zukunft auf dem einen oder anderen Wege eine Atombombe baute, doch es wäre zumindest Zeit gewonnen.

Die Sache hat allerdings einen Haken: Iran hat zwar erklärt, es wäre bereit, für seinen Versuchsreaktor angereichertes Uran zu importieren. Die Bereitschaft, eigenes Uran auch zu exportieren, wurde aber bisher nicht erklärt. Nach all dem Streit um seine Atomanlagen ist es fraglich, ob Teheran willens ist, sein Uran nun einfach herzugeben. Außerdem steht Baradeis Lob für die »sehr konstruktiven« Verhandlungen im Widerspruch dazu, dass Iran noch Anfang der Woche versucht hat, Frankreich von den Gesprächen auszuschließen.

Angesichts jahrelangen Stillstandes ist aber jeder Hoffnungsschimmer willkommen. Dies gilt auch für eine überraschende Entwicklung in eine andere Richtung.

* Aus: Neues Deutschland, 23. Oktober 2009


Sprung über den Schatten

Von Roland Etzel **

Setzen wir einmal voraus, dass die Gespräche Iran/Israel tatsächlich stattgefunden haben -- und es spricht mehr dafür als dagegen --, dann bleibt festzuhalten: Bessere Nachrichten als diese zum Thema Atom kann man gegenwärtig aus dem Nahen Osten nicht erwarten. Zwar haben beide Seiten ihre Rituale bei bestimmten Themen und flüchten sich, darauf angesprochen, in Attitüden, die man als lächerlich bezeichnen könnte, wäre der Gegenstand nicht so ernst bis lebensgefährlich. Die Islamische Republik verneint die Legitimität des israelischen Staates und möchte deshalb auch nicht mit dessen Vertretern gesprochen haben. Israelische Politiker wiederum überhören jede Frage nach ihren Atomwaffen, auch wenn alle Welt weiß, dass es sie gibt. Und wenn sie von Iran sprachen, war das gewöhnlich mit Drohungen verbunden. Selbst wenn es jetzt also nur einen Hinterzimmerkontakt gegeben hat, ist das die angenehmste Überraschung, die es dieses Jahr im Nahen Osten gab.

Leider gibt es auch einen schlechten Teil der Nachricht. Wenn Geheimgespräche bekannt werden, bedeutet das häufig auch ihr Ende. Und bei den erwähnten Empfindlichkeiten sind sie nicht so einfach woanders fortsetzbar. Es wäre deshalb jetzt hilfreich von der EU oder wem auch immer, die weiter bestehenden Gräben nicht zu vertiefen, sondern vielleicht mal Brücken zu bauen. Warum nicht auch im Geheimen.

** Aus: Neues Deutschland, 23. Oktober 2009 (Kommentar)


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