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Teheraner Gretchenfrage

Die Wiener IAEA hat nur zum Teil gesagt, wie Iran es mit dem Atom hält *

Iran hat an Atomwaffen gearbeitet - das ist die Botschaft des Berichts der Wiener Atombehörde. Daraufhin wurde sofort der Ruf nach »beispiellosen Sanktionen« laut, falls Teheran nicht einlenkt.

Schärfere Sanktionen ja, Militärschlag nein: Nachdem die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) nach ihren eigenen Angaben über »erdrückende Belege« für Arbeiten an einer iranischen Atombombe verfügt, zeichnet sich eine härtere Gangart des Westens gegen die Führung in Teheran ab. Allerdings stemmt sich die UN-Vetomacht Russland gegen weitere Sanktionen. Deutschland und Frankreich wollen mehr Druck, lehnten am Mittwoch aber militärische Maßnahmen gegen Iran ab.

Israels Regierung hüllte sich in Schweigen. In einer kargen Erklärung hieß es, die Bedeutung des IAEA-Berichtes bestehe darin, dass das Streben Irans nach Atomwaffen beendet werden müsse. Derweil wächst deshalb weltweit die Sorge vor einem militärischen Alleingang Israels. Iran hat nach IAEA-Erkenntnissen zumindest bis 2010 an der Entwicklung einer Atombombe gearbeitet. So soll Iran Sprengkapseln getestet haben, die für eine Atombombe geeignet wären, und ballistische Raketen für Atomsprengsätze vorbereiten.

Die Führung in Teheran wies den am Dienstag vorgelegten Bericht als »politisch motiviert« zurück. Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad bestritt die Vorwürfe und schwor, sein Land werde nicht ein Jota vom eingeschlagenen Weg abweichen. Ahmadinedschad sagte am Mittwoch nach Angaben der Nachrichtenagentur Fars, ein zivilisiertes und kulturvolles Land wie Iran benötige keine Atombomben und führe auch keine Terroranschläge aus. Allerdings fügte der Präsident hinzu, dass die Iraner vor niemandem Angst hätten, sollten sie einmal die Absicht haben, eine Atombombe zu bauen.

»Jede zusätzlichen Sanktion gegen den Iran wird als Mittel für einen Machtwechsel in Teheran angewendet«, sagte Russlands Vizeaußenminister Gennadi Gatilow nach Angaben der Agentur Interfax und lehnte weitere Strafmaßnahmen ab - im Gegensatz zu westlichen Staaten. Falls sich Teheran ernsthaften Verhandlungen verweigere, würden »neue, schärfere Sanktionen unausweichlich«, sagte Bundesaußenminister Guido Westerwelle. »Eine Diskussion über militärische Optionen lehnen wir ab«, fügte er hinzu. Für Wolfgang Gehrcke, Mitglied im Vorstand der Bundestagsfraktion der LINKEN, liegt die einzige dauerhafte Lösung in Verhandlungen, für die sich alle Seiten bewegen müssen.

* Aus: neues deutschland, 10. November 2011


Die Schwelle zum Krieg

Standpunkt von Roland Etzel **

Es wird wieder »vom Irren« geredet - diesmal geht es um den Irren aus Teheran, den man sich vertrauenstötend vorstellen soll, dazu kriegslüstern, hinterhältig und also als Verhandlungspartner gänzlich disqualifiziert. Gegen »Irre« früherer Jahre, wie den aus Bagdad, das hatten uns die Politiker eingebläut, konnte nur noch Krieg in Frage kommen, um sie davon abzuhalten, uns, die zivilisierte Welt, zu bedrohen.

Später kann man ja - wie Tony Blair nach der Irak-Invasion - zugeben, dass man ein bisschen geflunkert und die Existenz von Massenvernichtungswaffen erfunden hat. Eine sechsstellige Zahl Menschen hat es das Leben gekostet, und der Krieg ist noch nicht vorbei.

Nun wiegeln die Politiker reihenweise ab - ausgenommen jene, die glauben, ohne Schlachtenlärm in den USA nicht Präsident werden zu können. Die israelischen tun es auf die wenig beruhigende Weise, dass sie uns sagen, sie wollten »im Moment« nicht angreifen; andere, zum Beispiel die aus dem deutsch-grün-gelben Spektrum, sprechen sich eigentlich gegen Krieg aus, bringen aber ansonsten jedes Verständnis dafür auf, dass sich Israel, die einzige Atommacht im Nahen Osten, existenziell bedroht fühlt und daher handeln müsse.

Gewiss wäre es das Beste, behielten jene recht, die das alles für einen großen politischen Theaterdonner halten. Doch eines müssen sicher auch sie einräumen: Die Schwelle zu einem Krieg gegen Iran ist wieder ein Stück gesunken.

** Aus: neues deutschland, 10. November 2011 (Kommentar)


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