"Nationales Internet" gegen die Nation
Iran will kritische Internetnutzung kontrollieren
Von Behrouz Khosrozadeh *
Die Islamische Republik Iran investiert nach den umkämpften Präsidentschaftswahlen 2009
beträchtliche finanzielle und personelle Mittel in die Bekämpfung regimekritischer
Netzgemeinschaften.
Der Videoclip über die Ermordung der Iranerin Neda Agha Soltan durch einen Basidsch-Milizionär
ging 2009 um die Welt. Zum Unmut der iranischen Regierung. Seitdem mühen sich insbesondere
die Revolutionsgardisten (Sepah), den Zugang zu regimekritischen Online-Medien zu erschweren.
Iran gehört ohnehin zu den Staaten mit der geringsten Internetgeschwindigkeit – ein bewusst
eingesetztes Mittel zur Bekämpfung oppositioneller Online-Netzwerke. Für die Jahre 2010 und 2011
hat die iranische Regierung überdies 500 Millionen Dollar für die Bekämpfung des »Weichen Kriegs«
bereitgestellt. So werden unter anderem die virtuellen Aktivitäten der von »westlich-ausländischen
Staaten gelenkten« Opposition bezeichnet. Das stärkste Zensurorgan ist die Revolutionsgarde
Sepah (auch Pasdaran genannt). Sie gründete 2009 die »Cyberarmee« und arbeitet intensiv mit
dem Ministerium für Information und Kommunikationstechnologie zusammen, das ihr die besten
Hacker und Filtertechnologien zur Verfügung stellt. Sepah erhielt 2009 mit der Übernahme des
größten iranischen Telekommunikationsunternehmens die Möglichkeit, auf kaltem Wege nicht nur
die Internetnutzung, sondern auch das Mobilfunknetz auszuspionieren.
Derzeit ist China der wichtigste Lieferant von Filtertechnologie für Iran. Aber auch die finnischdeutsche
Firma Nokia Siemens hat dem Regime mit dem Verkauf von Netzwerktechnologie zur
effektiven Überwachung der mobilen Kommunikation nach den Wahlen von 2009 verholfen.
Zu den Angriffszielen der Zensurbehörde gehören die meistbesuchten Websites wie Facebook und
Twitter, ungezählte regimekritische Online-Medien und sogar Onlinedienste unabhängiger
Nachrichtenagenturen und Onlineausgaben legaler Zeitungen. Auch die großen Suchmaschinen
werden zensiert. Die iranischen Behörden sind in der Lage, den E-Mail-Verkehr von Bürgern zu
kontrollieren, die nicht über höhere technische Kenntnisse verfügen. Diese Aktivitäten der
Cyberarmee haben nachweislich Verhaftungen und in manchen Fällen den Foltertod nach sich
gezogen. Selbst die Websites bedeutender, einst dem Ayatollah Khomeini nahestehender, nun aber
regimekritischer Geistlicher werden zensiert.
Seit kurzem plant Iran nun die Errichtung eines »nationalen Internets«. Dieses Netzwerk, das die
Internetkommunikation über einen in Iran errichteten Server laufen lässt, ermöglicht zwar eine
schnellere Datenübertragung, aber auch eine stärkere Kontrolle über die Nutzer, die die Zensur
bisher mit Filterbrecher-Programmen umgehen. Ein totaler Ausstieg aus dem internationalen
Netzwerk ist allerdings unter Regimeexperten und Politikern umstritten. Man benötigt dafür ebenfalls
ausländisches Know-how und entsprechende Ausrüstung.
Laut offiziellen iranischen Statistiken gibt es derzeit etwa 28 Millionen Internet-Nutzer im Land (bei
einer Bevölkerung von 77 Millionen). Die meisten sind »normale« Nutzer, die mit ihren technisch
bescheidenen Computern kaum Möglichkeiten haben, gesperrte Websites und Blogs zu besuchen.
Bei geringen Geschwindigkeiten ist das Herunterladen von Internetseiten mühsam. Nur zwei Prozent
der Nutzer verfügen über Hochgeschwindigkeitsanschlüsse. Die Exil-Iraner haben weitaus größere
Möglichkeiten, sich über inneriranische Geschehnisse zu informieren als viele Iraner im Inland.
Ahmadinedschads Regierung beschloss 2009 einen Katalog von Strafmaßnahmen für die
Beleidigung religiöser und staatlicher Autoritäten und für eine bewusst unklar definierte »Störung der
nationalen Sicherheit« via Internet. Trotz des relativen Erfolg der Cyberarmee der Ayatollahs bleibt
das Netz ein wichtiges Medium für Information und Kommunikation oppositioneller Kräfte, die das
große, aufgrund der Unterdrückungspolitik noch stille Potenzial der unzufriedenen Massen mit
nationalen und internationalen Nachrichten speist. Der Kampf des Regimes gegen die Freiheit des
eigenen Volkes wird ein Kampf gegen Windmühlen bleiben.
* Aus: Neues Deutschland, 29. August 2011
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