"Der Westen muss seine Sanktionen, die mit dem iranischen Nuklearprogramm begründet wurden, schrittweise aufgeben"
Wissenschaftler des Hamburger Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik empfiehlt Vertrauensbildung statt Eskalation (Dokumentation)
Am 5. März veröffentlichte das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) eine Stellungnahme zum Atomkonflikt mit dem Iran, die nicht nur die gegenwärtige Politik des Westens kritisiert, sondern auch zeigt, welche realistischen Schritte einzuleiten wären, um den Konflikt zu entschärfen. Wir dokumentieren im Folgenden große Teile der Stellungnahme.
Sieben Schritte auf dem Weg zu einer friedlichen Lösung des Atomkonflikts mit dem Iran
Stellungnahme aus dem Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH)[AUSZUG]
Michael Brzoska, Oliver Meier und Götz Neuneck *
(...)
Welche Elemente müsste ein nachhaltiges Kompromisspaket, das sowohl für den Westen als auch für die iranische Führung akzeptabel wäre, enthalten?
Erstens sollte der Westen die Urananreicherung im Iran akzeptieren. Ein vollständiger Verzicht auf iranische Urananreicherung, wie er vom Westen seit 2003 gefordert wird, ist nicht realistisch, schon weil es keine erkennbare politische Kraft im Iran gibt, die diese Position unterstützt. Urananreicherung für zivile Zwecke muss dem Iran – unter der Voraussetzung entsprechender Überwachung – zugestanden werden.
Der Iran müsste allerdings seinerseits bereit sein, dem Westen in einigen Punkten ebenfalls entgegenzukommen, damit die USA und die EU-Mitgliedstaaten einen Kompromiss akzeptieren, der Urananreicherung im Iran umfasst.
Als
zweites Element einer stabilen Lösung müsste der Iran ein Zusatzprotokoll für die Überwachung nuklearer Aktivitäten ratifizieren und verbindlich umsetzen. Das Zusatzprotokoll erlaubt unter anderem – anders als das „Standardprotokoll“, das auf die Überwachung angemeldeter Anlagen und Nuklearmaterialien begrenzt ist – der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) unter bestimmten Bedingungen Inspektionen überall im Land. Auf der Grundlage eines Zusatzprotokolls kann sichergestellt werden, dass der Iran kein geheimes Atomprogramm betreibt. Der Iran hat ein entsprechendes Zusatzprotokoll bereits unterzeichnet, aber bislang nicht ratifiziert.
Weiterhin müsste der Iran, als
drittes Element, einer Begrenzung der Urananreicherung zustimmen. Die Fähigkeit zur Urananreicherung bringt ein Land der Atomwaffenfähigkeit näher. Dabei gilt: Je effizienter die Anreicherungskapazität und je höher der Anreicherungsgrad, desto schneller kann atomwaffenfähiges Material für eine Atombombe produziert werden. Das um ca. 3 Prozent angereicherte Material steht unter IAEO-Kontrolle und ist für die Energieerzeugung geeignet. Sehr problematisch ist, dass der Iran begonnen hat, Uran mit einem Anreicherungsgrad von 20 Prozent für den Forschungsreaktor in Teheran herzustellen. Solches Material kann in kürzester Zeit auch in atomwaffenfähiges Material umgewandelt werden. Im Iran benötigt nur für den Teheraner Forschungsreaktor 20-prozentig angereichertes Uran. Eine Begrenzung der Anreicherung auf ein bis zwei Produktionsstätten sowie die generelle Beschränkung auf einen Anreicherungsgrad von max. 5 Prozent (mit begrenzten Ausnahmen für die Herstellung kleiner Mengen von Uran mit einem Anreicherungsgrad von maximal 20 Prozent für Forschungszwecke) sollte daher für den Iran akzeptabel sein. Eine weitere Möglichkeit ist, das angereicherte Uran halbjährlich ins Ausland zu verbringen und gegen fertige Brennstäbe zur Energieproduktion umzutauschen. Erleichtert würde eine solche Begrenzung für Teheran, wenn andere Staaten ähnliche Verpflichtungen eingingen und damit keine Sonderbehandlung des Iran stattfände. Eine weitere Möglichkeit, das iranische Atomprogramm für den Westen akzeptabler zu machen, bestünde darin, besonders gefährliche Aktivitäten multilateral zu betreiben. Zum Beispiel könnte die Urananreicherung für den Iran in einer Anlage erfolgen, an der auch ausländische Firmen oder Staaten beteiligt sind. Vor einigen Jahren hat die iranische Führung selbst vorgeschlagen, eine solche multilaterale Anlage im Iran im Rahmen eines internationalen Konsortiums zu betreiben. Darüber hinaus sind eine Reihe von hilfreichen technischen Vorschlägen gemacht worden, die darauf abzielen, einen militärischen Missbrauch ziviler Anreicherungskapazitäten zu erschweren. Über die Details der Überprüfung der Modalitäten einer Begrenzung der Anreicherung von Uran könnte auf technischer Ebene verhandelt werden, sobald dies im Grundsatz vom Iran akzeptiert ist.
Ein
viertes Element eines Kompromisspakets müsste der Verzicht des Iran auf die Wiederaufarbeitung von Plutonium sein. Der geplante Schwerwasserreaktor von Arak ist aus energiewirtschaftlicher Sicht nicht zu legitimieren und es gibt auch keine kommerziell relevante zivile Nutzung für Plutonium. Der Verzicht auf den Betrieb von Arak wäre ein vertrauensbildendes Element, der Verzicht auf die Wiederaufbereitung von Plutonium eine notwendige Voraussetzung für eine diplomatische Lösung. Auch hier wäre eine parallele Verpflichtung anderer Staaten hilfreich um der Führung im Iran die Zustimmung zu erleichtern.
Ein
fünftes Element besteht in der Aufklärung der bestehenden Verdachtsmomente über ein militärisches Atomwaffenprogramm. Dies könnte erfolgen, ohne dass der Iran öffentlich eingestehen muss, den nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV) verletzt zu haben. Beispielsweise könnte eine IAEO-Kommission in einem vertraulichen Prozess gemeinsam mit dem Iran klären, ob, wann und wie verdächtige Aktivitäten eingestellt wurden. Einen Präzedenzfall gibt es: Auch das ehemals geheime südafrikanische Atomwaffenprogramm wurde so zur Zufriedenheit aller Beteiligten abgewickelt.
Im Gegenzug müsste der Westen als
sechstes Element Sicherheitsgarantien für den Iran abgeben. Die USA, Großbritannien und Frankreich müssten erklären, dass der Iran seinen Verpflichtungen unter dem NVV nachkommt und Garantieerklärungen dafür abgeben, dem Iran weder mit dem Einsatz von Atomwaffen zu drohen noch solche Waffen gegen das Land einzusetzen. Darüber hinaus müssten sich die USA den allgemeinen, auch konventionelle Angriffe umfassenden Sicherheitsgarantien Frankreichs und Großbritanniens anschließen, die bereits Teil des europäischen Verhandlungsangebots waren. Dabei können sie sich auf das in der Charta der Vereinten Nationen enthaltene Verbot des Angriffskriegs beziehen.
Schließlich müsste der Westen,
siebtens, seine Sanktionen, die mit dem iranischen Nuklearprogramm begründet wurden, schrittweise aufgeben. Die Schwierigkeit besteht darin, die verschiedenen Sanktionen im Rahmen einer Einigung stufenweise rückgängig zu machen. Parallel zu einer Vereinbarung über das iranische Atomprogramm sollten Gespräche zur Vertrauensbildung über das iranische Raketenprogramm oder Fragen der maritimen Sicherheit stattfinden. Bevor beide Seiten zu einem regelmäßigen Dialog über andere Themen zurückfinden, muss aber zunächst die Kontroverse um das Nuklearprogramm entschärft werden.
Hürden auf dem Weg zu einer Lösung
Ein aus den oben beschriebenen Elementen bestehendes stabiles Kompromisspaket ist relativ einfach zu umreißen, lässt sich aber in der heutigen Situation nur schwer in die Tat umsetzen. Zwei besonders hohe Hürden stehen im Weg. Das größte Hindernis ist das hohe Maß an gegenseitigem Misstrauen. Im Westen ist die Mehrheit der politischen Klasse davon überzeugt, dass der Iran sich auf dem Weg zur Atombombe befindet. Die technischen Fähigkeiten des Iran lassen keinen anderen Schluss zu, als dass Teheran der Option zum Bau von Atomwaffen immer näher kommt. Aber auch andere Staaten, wie zum Beispiel Brasilien, investieren in den Bau von Anreicherungsanlagen und produzieren angereichertes Uran. Brasilien aber wird vom Westen nicht sanktioniert. Aus iranischer Sicht misst der West hier mit zweierlei Maß, was als Zeichen für die feindlichen Absichten gegenüber dem Iran betrachtet wird. (...) Um einen nachhaltigen Kompromiss zu erreichen, ist deshalb an erster Stelle rasche Vertrauensbildung von großer Bedeutung.
Das zweite wichtige Hindernis auf dem Weg zu einer friedlichen Lösung, sind die unterschiedlichen Positionen zu den Konturen und Elementen eines Kompromisspakets. Weder die unterschiedlichen politischen Akteure im Iran sind sich hier einig, noch spricht der Westen mit einer Stimme. In Teheran nutzen verschiedene Fraktionen den Atomkonflikt, um ihre Position im innenpolitischen Machtkampf zu stärken. Aber auch im westlichen Lager klaffen die von Politikern vorgetragenen Vorstellungen über einen Kompromissvorschlag weit auseinander. (...)
Kurzfristig wird es daher vor allem darauf ankommen, eine militärische Eskalation durch konkrete vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen zu verhindern. Der Iran kann durch die aktive Teilnahme an der für 2012 vorgesehenen Konferenz über eine massenvernichtungswaffenfreie Zone im Nahen Osten und die Ratifizierung des Vertrags über ein umfassendes Verbot von Atomtests seinerseits zur Vertrauensbildung beitragen. Parallel könnte ein westliches Bekenntnis zu einer Zone frei von Massenvernichtungswaffen im Nahen Osten sowie weitere Abrüstungsschritte im Bereich der Nuklearrüstung, wie die Ratifizierung des umfassenden Teststoppvertrags durch die USA, die iranische Kompromissbereitschaft stärken. (...)
(...)
Die politische Anerkennung bestehender Realitäten und der Verzicht auf Umsturzbestrebungen würden die Vertrauensbildung unter den aktuellen Bedingungen befördern. Der Westen muss akzeptieren, dass politische Veränderungen im Iran nur aus dem Land selbst kommen können. Der Iran muss seine aggressive Rhetorik gegenüber regionalen Nachbarn und Israel beenden. Es wird daher vor allem von den innenpolitischen Entwicklungen im Iran, in den USA und in Israel abhängen, ob es möglich sein wird, den Weg zu dem skizzierten Kompromiss auch tatsächlich erfolgreich zu beschreiten.
5. März 2012
* Die ganze Stellungnahme kann hier als pdf-Datei heruntergeladen werden: "Sieben Schritte ..." [Externer Link].
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