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Internationale Atomenergiebehörde berät über Iran

Überweisung an UN-Sicherheitsrat nicht sicher - Russland mit neuen Vorschlägen

Die letzten Agenturmeldungen vom 6. März 2006 lauteten:

  • Mit einem neuen Kompromisspaket will Russland die Krise um das iranische Atomprogramm entschärfen. Das Angebot sehe vor, dem Iran die Anreicherung von Uran in kleinen Mengen zu gestatten, wie Diplomaten am IAEA-Sitz in Wien am 6. März der Nachrichtenagentur AFP sagten. Zugleich solle dem Iran der Erwerb von Technologie untersagt werden, mit der angereichertes Uran für Atomwaffen benutzt werden kann. Derzeit sei das Angebotsbündel allerdings sowohl für die USA und das so genannte EU-Trio als auch für den Iran unannehmbar." (AFP)
  • Der russische Vorschlag zur Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens für die Urananreicherung auf russischem Boden liegt weiterhin auf dem Verhandlungstisch. Das erklärte der russische Außenminister Sergej Lawrow am Montag vor der Presse in Moskau. Die Realisierung dieses Angebots Russlands solle jedoch mit anderen Maßnahmen einhergehen wie zum Beispiel mit dem Wiedereinstieg Irans in ein Moratorium für die Urananreicherung. "Erforderlich sind mehrere Maßnahmen..., darunter die Rückkehr Irans in das Zusatzprotokoll (mit der IAEO) und dessen Ratifizierung", sagte Lawrow. (RIA Novosti)
Noch ist nicht klar, wie das Gremium in Wien entscheiden wird. Klar ist nur, dass die USA mit Macht darauf drängen, das iranische Atomprogramm vor den UN-Sicherheitsrat zu bringen, dass die EU ebenfalls den Sicherheitsrat einschalten wollen, wenn auch vielleicht noch nicht in der Absicht, eine harte Resolution gegen den Iran zu erwirken, dass Russland immer noch versucht, aus dem Streit ein Geschäft zu machen, und dass die iranische Regierung selbst immer mehr dazu gedrängt wird, ihre Rechte, die ihr nach dem Statut der IAEO und nach dem Nichtverbreitungsvertrag zustehen, auf jeden Fall wahrzunehmen.
Im Folgenden dokumentieren wir zwei Artikel, die sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit der bevorstehenden Tagung des IEAO-Gouverneursrats auseinandersetzen.



USA drängen auf Ultimatum gegen Teheran

Behandlung im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen noch offen

Von Olaf Standke*

Heute nimmt der Gouverneursrat der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) in Wien entscheidende Beratungen darüber auf, wie der Dauerstreit um das iranische Atomprogramm im UN-Sicherheitsrat behandelt werden soll.

Die Bühne der Weltpolitik ist alles andere als eine moralische Anstalt. Beim Streit um das iranische Atomprogramm sieht die liberale Londoner Tageszeitung »The Guardian« sogar wieder einmal eine Inszenierung der Doppelmoral. Während am Freitag auch die Atom-Gespräche zwischen Teheran und der EU-Troika in Wien in letzter Minute scheiterten, nahmen die USA fast zeitgleich mit Indien einen Staat gleichsam offiziell in den Klub der Kernwaffenmächte auf, der sich weigert, den Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen. Die absurde Washingtoner Logik: Eben weil Delhi in dieser Frage außerhalb des Völkerrechts bleibt, müsse man es anders behandeln als etwa Nordkorea oder Iran. Mit einem Kooperationsabkommen zur zivilen Nutzung der Atomenergie als Belohnung?

Gegenüber Teheran agiert Washington da ganz anders, obgleich oder weil das Land noch weit vom Bau eigener Kernwaffen entfernt ist. Wenn der Gouverneursrat der Atomenergiebehörde heute in Wien zusammentritt, erhoffen sich die USA weiteren Druck für eine Behandlung des Falles im Weltsicherheitsrat, auch wenn Diplomaten an der Donau eine neue, Iran-kritische Resolution von dem 35-Länder-Gremium nicht erwarten. Es hatte die »Akte Iran« bereits vor vier Wochen übergeben. Wann die 15 Mitglieder dort über den Atomstreit beraten, steht noch nicht fest.

Die USA wollen möglichst schnell mit der Arbeit an einer höchstinstanzlichen Verurteilung des Teheraner Vorgehens beginnen. Während sich der republikanische Senator Richard Lugar für direkte Gespräche im Atomstreit mit Iran aussprach, wünscht sich das Weiße Haus laut »Washington Post« eine kritische Resolution des UN-Sicherheitsrats, mit der Teheran ein Ultimatum von 30 Tagen zur Einstellung der im Januar begonnenen Teilprozesse der Urananreicherung gestellt wird – sonst drohten schwere diplomatische Konsequenzen.

So hätten US-amerikanische und europäische Diplomaten Reisebeschränkungen für iranische Politiker, Wirtschaftssanktionen und ein Ölembargo erörtert. Russland und China, die beiden ebenfalls mit Vetoprivileg ausgestatteten wichtigsten Gegenspieler der USA im Rat, halten dagegen nach wie vor eine Verhandlungslösung für möglich.
Das tut auch Iran, drohte am Wochenende aber gleichzeitig, man werde die Urananreicherung erneut voll aufnehmen, sollte sich das UN-Gremium mit dem Thema befassen. Vom Atomprogramm wolle man grundsätzlich nicht lassen, so Unterhändler Ali Laridschani gestern noch einmal vor der internationalen Presse, und in dieser Absicht findet die Teheraner Führung auch weiter große Unterstützung in der eigenen Bevölkerung, wie die Demonstrationen am Wochenende zeigten.

Ein Abkommen mit Moskau über den Bau einer Anlage zur Urananreicherung auf russischem Boden scheiterte bisher daran, dass Teheran darauf besteht, Uran zu Forschungszwecken auch im eigenen Land anreichern zu dürfen – was die USA und die EU bisher ablehnten, weil je nach Grad der Anreicherung so auch die Voraussetzungen für den Bau von Atombomben geschaffen werden könnten. Einen Austritt Irans aus der IAEA, wie von Laridschani angedeutet, werde es aber nicht geben, hieß es gestern korrigierend in Teheran. Laridschani habe lediglich die grundsätzliche Frage gestellt, wieso ein IAEA-Mitglied davon abgehalten werden solle, einen Zugang zur friedlichen Nutzung der Kernenergie zu erhalten. Die International Crisis Group (ICG), einer Denkfabrik mit Sitz in Brüssel, empfiehlt den USA und ihre Verbündeten, Iran eine »verzögerte begrenzte Urananreicherung« zu erlauben, verbunden mit einer Reihe von reizvollen politischen und wirtschaftlichen Angeboten.

Zur Doppelmoral Washingtons gehört in diesem Zusammenhang auch die jetzt erstmals offiziell gemachte Ankündigung, man werde künftig die eigene atomare Abrüstung auf Eis legen. Linton Brooks, der Vorsitzende der Nationalen Atomsicherheitsbehörde, räumte ein, dass die USA-Regierung den in wichtigen internationalen Vereinbarungen – wie dem Vertrag über die nukleare Nichtverbreitung – verankerten Abbau der atomaren Arsenale durch die Kernwaffenmächte nicht mehr verfolgen werde. Vielmehr müssten die Vereinigten Staaten angesichts der internationalen Lage ihre Kernwaffen modernisieren, so Brooks in Oak Ridge (Bundesstaat Tennessee), wo sich eine der größten Atomwaffenfabriken der Supermacht befindet. Er präsentierte zugleich umfangreiche Pläne zur Entwicklung neuer Atomsprengköpfe wie den Robust Nuclear Earth Penetrator, der unterirdische Ziele zerstören soll.

Verpflichtungen der Nichtkernwaffenstaaten im Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag

  • Jeder Nichtkernwaffenstaat, der Vertragspartei ist, verpflichtet sich, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber von niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper weder herzustellen noch sonstwie zu erwerben und keine Unterstützung zur Herstellung von Kernwaffen oder sonstigen Kernsprengkörpern zu suchen oder anzunehmen. (Artikel II)
  • Jeder Nichtkernwaffenstaat, der Vertragspartei ist, verpflichtet sich, Sicherungsmaßnahmen anzunehmen, wie sie in einer mit der internationalen Atomenergie-Organisation nach Maßgabe ihrer Satzung und ihres Sicherungssystems auszuhandelnden und zu schließenden Übereinkunft festgelegt werden, wobei diese Sicherungsmaßnahmen ausschließlich dazu dienen, die Erfüllung seiner Verpflichtungen aus diesem Vertrag nachzuprüfen, damit verhindert wird, dass Kernenergie von der friedlichen Nutzung abgezweigt und für Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper verwendet wird... (Artikel III)
  • Dieser Vertrag ist nicht so auszulegen, als werde dadurch das unveräußerliche Recht aller Vertragsparteien beeinträchtigt, unter Wahrung der Gleichbehandlung und in Übereinstimmung mit den Artikeln I und II die Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke zu entwickeln. Alle Vertragsparteien verpflichten sich, den weitestmöglichen Austausch von Ausrüstungen, Material und wissenschaftlichen und technologischen Informationen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie zu erleichtern, und sind berechtigt, daran teilzunehmen... (Artikel IV)
* Aus: Neues Deutschland, 6. März 2006


Hektische Diplomatie vor dem 6. März

Erneutes Treffen EU–Iran zu Teherans Atomprogramm überraschend angekündigt. Vorwürfe an Washington

Von Knut Mellenthin**

Immer noch kein Durchbruch im Streit um Irans ziviles Atomprogramm. Die letzten Tage vor der nächsten Vorstandssitzung der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) werden für hektische diplomatische Aktivitäten genutzt. Am 6. März wird das Gremium, in dem 35 Staaten vertreten sind, voraussichtlich über die Einschaltung des UNO-Sicherheitsrats entscheiden.

Überraschend will sich das EU-Trio (Großbritannien, Frankreich, Deutschland) sich zuvor noch einmal mit iranischen Vertretern treffen, vielleicht bereits am heutigen Freitag. Die Initiative dazu ging offenbar von iranischer Seite aus. Vermutlich will Ali Laridschani, der Sekretär des Obersten Nationalen Sicherheitsrats des Iran, die Europäer offiziell über den Stand der Verhandlungen mit Rußland informieren.

Zuvor war am Mittwoch die dritte Runde der russisch-iranischen Gespräche ohne greifbares Ergebnis zu Ende gegangen. Das Treffen wurde überraschend schon am Mittwoch abend für beendet erklärt; allgemein waren mehrtägige Gespräche erwartet worden. Ali Laridschani versicherte am Donnerstag morgen auf einer Pressekonferenz in Moskau, die Verhandlungen würden fortgesetzt, doch stehe dafür noch kein Datum fest. Der Verlauf des Treffens sei »konstruktiv« und »sehr nützlich« gewesen, aber die Diplomaten bräuchten »mehr Zeit zum Nachdenken« über die Einzelheiten des russischen Vorschlags, so Laridschani. Zugleich warf der iranische Verhandlungsführer der US-Regierung vor, sie wolle die russisch-iranischen Verhandlungen blockieren und durch Druck auf Rußland eine Einigung verhindern.

Moskau hat vorgeschlagen, Iran im Austausch gegen einen Verzicht auf Urananreicherung mit Reaktorbrennstoff zu beliefern. Teheran möchte aber sicherstellen, daß es seine Forschungs- und Entwicklungsarbeiten fortsetzen kann, um die Technik der Urananreicherung zu meistern. Zu diesem Punkt, den USA und EU vermutlich nicht akzeptieren werden, hat sich Rußland bisher nicht öffentlich geäußert.

Ein großes Hindernis in den iranisch-russischen Verhandlungen scheint derzeit die Forderung Moskaus, daß die Iraner zu ihrer im November 2003 freiwillig verkündeten Unterbrechung aller Arbeiten an der Urananreicherung zurückkehren müßten. Dafür gebe es, so Laridschani, überhaupt keinen konkreten Anlaß. Denn Irans kürzlich wiederaufgenommene Vorarbeiten zur Anreicherung stünden lückenlos unter Kontrolle der IAEA.

Unterdessen hat der ägyptische Präsident Hosni Mubarak die USA eindringlich vor einem Angriff auf den Iran gewarnt. In diesem Fall würde nicht nur der bewaffnete Widerstand im Irak zunehmen, sondern die Schiiten der gesamten Region, im Libanon ebenso wie auf der arabischen Halbinsel, würden sich auf Irans Seite stellen.

** Aus: junge Welt, 3. März 2006


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