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Alle in einem Boot

Resolutionsentwurf der IAEA gegen Iran. Washington veranlaßt Rußland und China erneut zu »Schulterschluß« gegen Teherans Atompolitik

Von Knut Mellenthin *

Der US-Regierung ist es erneut gelungen, Rußland und China zu einem demonstrativen »Schulterschluß« gegen Iran zu veranlassen. Dem Vorstand der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) lag am Freitag (18. Nov.) ein scharf formulierter Resolutionsentwurf vor, der von den »Iran-Sechs« gemeinsam vorbereitet und eingebracht worden war. Zu dieser Gruppe gehören außer den USA, Rußland und China auch Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Bis Redaktionsschluß war das Abstimmungsergebnis noch nicht bekannt. Es wurde aber mit einer großen Mehrheit für den Antrag der Sechsergruppe gerechnet.

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Am 18. November verabschiedeten die Delegierten des in einem geschlossenen Treffen des IAEA-Gouverneursrats in Wien mit klarer Mehrheit eine Resolution auf der Basis des Berichts vom 8. November 2011. Darin wird der Iran aufgefordert, seine mehr als dreijährige Abschottung gegenüber den Versuchen der IAEA zu beenden, diesen Vorwürfen nachzugehen. Der Iran solle die Forderungen des UN-Sicherheitsrats erfüllen und andere Aktivitäten beenden, die zur Herstellung von Atomwaffen beitragen könnten.

Zur Eröffnung des Treffens brachte IAEA-Direktor Yukiya Amano ähnliche Sorgen zum Ausdruck, "die mögliche militärische Dimensionen des iranischen Nuklearprogramms betreffen". Seine Agentur halte die Informationen, die zu solchen Verdächtigungen führten, für grundsätzlich glaubwürdig.

Die Resolution fiel milder aus, als der Westen gehofft hatte. Aber sie wurde von China und Russland mit getragen, die der Iran normalerweise zu seinen Unterstützern gegen westlichen Druck zählt.

Ein leitender Diplomat sagte der Nachrichtenagentur AP, dass Teheran besonders unglücklich über den taktischen Schritt des Westens sei, die Sprache der Resolution im Austausch für die Unterstützung Moskaus und Pekings verwässert zu haben.

Nachrichtenagenturen, 20. November 2011



In deren Entwurf ist, Vorabmeldungen zufolge, die Rede von »tiefer und zunehmender Besorgnis über die ungelösten Fragen hinsichtlich des iranischen Atomprogramms, einschließlich jener Punkte, die aufgeklärt werden müssen, um die Existenz einer möglichen militärischen Dimension auszuschließen«. Iran wird aufgefordert, »sich ernsthaft und ohne Vorbedingungen auf Gespräche einzulassen, die darauf abzielen, das internationale Vertrauen in die ausschließliche friedliche Natur seines Atomprogramms wiederherzustellen«.

Damit ist das zentrale taktische Ziel Washington erreicht, das Bestehen einer geschlossenen Einheitsfront der »internationalen Gemeinschaft« gegen Iran zur Schau zu stellen. Das stand in Frage, nachdem sich das russische Außenministerium in den vergangenen Tagen deutlich vom aggressiven Kurs der USA und der EU abgegrenzt hatte. Noch am Sonntag hatte Außenminister Sergej Lawrow den jüngsten Iran-Bericht von IAEA-Generalsekretär Jukija Amano und die darauf aufgebaute westliche Propaganda kritisiert: »Aufgrund der Art, wie dieses Thema sich trotz des Fehlens neuer Erkenntnisse in Israel, den USA und Europa entwickelt hat, gehe ich davon aus, daß diese Kampagne wohl inszeniert wurde, um Leidenschaften in der öffentlichen Meinung anzuheizen und den Boden für die Durchsetzung einseitiger Strafmaßnahmen vorzubereiten.«

Daß der Resolutionsentwurf der Sechsergruppe keinen Ruf nach neuen kollektiven Sanktionen enthält – für die die IAEA übrigens gar nicht zuständig ist – und daß darin auch keine neuerliche Anrufung des UN-Sicherheitsrats vorgesehen ist, wird in den Mainstreammedien als »Kompromiß« und als »Zugeständnis an Rußland und China« bezeichnet. In Wirklichkeit liegt der Streit um das iranische Atomprogramm schon seit 2006 in der Zuständigkeit des Sicherheitsrats. Dieser könnte jederzeit zu diesem Thema einberufen werden, ohne daß es eines Ersuchens der Atomenergiebehörde bedürfte.

In seiner Rede zur Eröffnung der IAEA-Sitzung hatte Amano am Donnerstag (17. Nov.) von »ernster Besorgnis« über das iranische Atomprogramm gesprochen. Dabei fiel auf, daß er genau denselben Ausdruck (»serious concern«) auch für Nordkorea verwendete, obwohl dieses Land mehrere Atombomben besitzt und seit April 2009 keinerlei Inspektionen durch die IAEA mehr zuläßt. Amano teilte dem Vorstand, in dem rotierend jeweils 35 Staaten vertreten sind, mit, daß er dem Iran die Entsendung einer hochkarätigen Delegation (»high-level team«) vorgeschlagen habe, »um die im Anhang – seines jüngsten Berichts – aufgeführten Fragen zu klären«. Dieser Besuch solle möglichst bald vereinbart, aber trotzdem »gut geplant« werden.

Irans Außenminister Ali-Akbar Salehi, der bis zu seiner Ernennung am 26.Mai die nationale Atomenergieorganisation geleitet hatte, kündigte am Mittwoch eine detaillierte »analytische« Antwort auf Amanos jüngsten Bericht an. Zugleich warnte er Kräfte im eigenen Land vor »hastigen Reaktionen« wie etwa der Forderung nach einem Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag, die vor allem im Parlament oft zu hören ist.

* Aus: junge Welt, 19. November 2011


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