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Ehrliche Kompromiss-Suche oder weiter Säbelgerassel?

Neue Verhandlungsrunde um iranische Atomanlagen in Genf

Von Knut Mellenthin *

Es ist ein explosives Gemisch, das die Diplomaten jetzt entschärfen sollen. Es geht um Drohkulissen und Versöhnungsgesten, um Nationalstolz und Selbstbehauptung, und über allem schwebt die Furcht vor einem nuklearen Wettrüsten im Nahen Osten. Der Streit um das iranische Atomprogramm zählt derzeit zu den gefährlichsten internationalen Krisen.

Gibt es einen Neuanfang im Streit um das iranische Atomprogramm? In Genf treffen sich am heutigen Donnerstag (1. Okt.) Vertreter Irans und der Sechsergruppe – China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Russland und USA – zum Gespräch. Es ist die erste Begegnung dieser Art, bei der auch die Vereinigten Staaten als aktive Teilnehmer am Tisch sitzen. Noch unter George W. Bush hatte es im Juli 2008 ein ähnliches Treffen gegeben, an dem der US-Vertreter nur als schweigender Beobachter teilnahm. Während es sich damals nur um einen Versuchsballon handelte, könnte das heutige Treffen eine Reihe weiterer Gespräche einleiten. Allerdings steht Präsident Barack Obama unter starkem Druck aus dem Kongress, sich nicht auf längere Verhandlungen mit Iran einzulassen.

Letzte Meldungen

Die fünf UN-Vetomächte und Deutschland haben sich bei den Atomgesprächen mit dem Iran darauf geeinigt, Uran für das Land im Ausland anzureichern. Zudem sollten die Gespräche über das iranische Atomprogramm intensiviert werden, sagte EU-Chefdiplomat Javier Solana am 1. Okt. Die Gesprächspartner hätten ihre grundsätzliche Zustimmung bekundet, dass "im Iran schwach angereichertes Uran für die weitere Anreicherung in andere Länder exportiert" werden soll, sagte Solana vor Journalisten. Der radioaktive Stoff soll demnach in einem Forschungsreaktor eingesetzt werden. Solanas Angaben zufolge wird der Iran den Inspekteuren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) "in den kommenden Wochen" den Zugang zu der zweiten Atomanlage zur Urananreicherung nahe der Stadt Ghom ermöglichen. Ende Oktober soll es ein weiteres Treffen zwischen der Sechsergruppe und dem Iran geben.

Bei dem Treffen kamen auch US-Unterhändler William Burns und der iranische Chefunterhändler Said Dschalili zusammen. Burns und Dschalili, ein Vertrauter des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, hätten sich nach dem Mittagessen in den Gärten der Villa zu einem Gespräch getroffen, sagte ein Sprecher des US-Außenministeriums. Es war das erste Treffen dieser Art seit Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und dem Iran vor 30 Jahren. Burns sprach dabei nach Angaben des Außenministeriums die Bedenken der internationalen Gemeinschaft über das iranische Atomprogramm an.
Nach Informationen der iranischen Nachrichtenagentur Isna bekräftigte Dschalili bei dem Treffen mit Vertretern aus Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Russland, China und den USA das Recht des Iran, sein Atomprogramm weiterzuführen. Der Iran werde "niemals" auf dieses Recht verzichten. Es dürfe jedoch kein Land Atomwaffen besitzen, fügte er hinzu. Dschalili sprach im Anschluss von "guten" Verhandlungen.
Teheran wolle eine "Ausweitung des Dialoges über die Atomkraft und andere Themen auf die Gipfelebene der Weltmächte", erklärte der iranische Außenminister Manutschehr Mottaki am 1. Okt. bei den Vereinten Nationen in New York.
Das Bundesaußenministerium sprach von "einem ersten Schritt im angestrebten Dialog über das Atomprogramm". Neben einer Fortsetzung der Gespräche seien aber auch "sichtbare praktische Schritte" notwendig. Nur so könne der Iran seinen Verpflichtungen gegenüber der internationalen Gemeinschaft gerecht werden, sagte ein Außenamtssprecher.
US-Präsident Barack Obama nannte die Gespräche konstruktiv. Der Iran müsse nun aber Taten folgen lassen.
US-Außenministerin Hillary Clinton hat die wiederaufgenommenen Verhandlungen zwischen den fünf UN-Vetomächten plus Deutschland und dem Iran als produktiv bezeichnet. Das Treffen am Donnerstag in der Nähe von Genf habe "das Tor geöffnet" für mögliche Fortschritte, was die Klarstellung der Absichten des iranischen Atomprogramms betreffe, sagte sie vor Journalisten in Washington. "Es wurde eine Reihe von Themen angesprochen und auf den Tisch gelegt. Jetzt müssen wir abwarten und sehen, ob und wie schnell der Iran reagiert", sagte Clinton weiter.

Der Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Mohamed ElBaradei, wird nach Angaben seiner Organisation bald in den Iran reisen. ElBaradei sei vom Iran eingeladen worden, teilte die IAEA am 1. Okt. mit. Die Erklärung folgte wenige Stunden nach der Wiederaufnahme der monatelang ausgesetzten Verhandlungen zwischen der Sechsergruppe und dem Iran in der Nähe von Genf. Bei den Gesprächen hatte Teheran nach EU-Angaben signalisiert, in den kommenden Wochen internationale Inspektoren in seine neue Fabrik zur Urananreicherung zu lassen. ElBaradei hatte die Anlage kritisiert.

Quelle: Nachrichtenagenturen AP, dpa, AFP, 1. Oktober 2009



Die Gegensätze scheinen nach wie vor unversöhnlich. Die Sechsergruppe fordert von Iran die Stilllegung der Urananreicherungsanlage in Natanz und die Einstellung aller mit der Anreicherung verbundenen Arbeitsprozesse. Dazu gehört als Vorbereitung die Umwandlung von Rohuran in Gas. In Natanz wird das Gas mit Hilfe mehrerer tausend Zentrifugen in schwach angereichertes Uran umgewandelt, das als Brennstoff für Atomkraftwerke benutzt wird. Alle Arbeiten werden von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) überwacht, die auch das produzierte Uran unter Kontrolle behält.

Irans Regierung hat angekündigt, dass sie bei ihrer Ablehnung der Stilllegungsforderung bleiben wird. Dabei spielen für sie insbesondere vier Gesichtspunkte eine Rolle. Hauptgrund für die Zurückweisung des vor allem von den USA gestützten Ansinnens »der sechs« ist für Teheran, dass deren Forderung keine rechtliche Grundlage hat. Im Rahmen des Atomwaffensperrvertrags (NPT) dürfen alle Unterzeichnerstaaten Anreicherungsanlagen betreiben, sofern sie diese von der IAEA überwachen lassen. Iran müsste also zustimmen, sich unter ein einmaliges Sonderrecht mit eindeutig diskriminierendem Charakter stellen zu lassen.

Des weiteren betont die iranische Regierung immer wieder, dass sie Atomwaffen für ethisch unvertretbar und für verteidigungstechnisch kontraproduktiv hält. Für die Behauptung der USA und der EU, Iran arbeite an der Entwicklung von Kernwaffen, gebe es keine Beweise. Tatsächlich würde es unter den gegebenen Umständen wie ein Schuldeingeständnis wirken und medial entsprechend ausgeschlachtet werden, wenn Iran seine Anreicherungsanlagen stilllegen würde.

Ferner verweist Iran darauf, dass es nach wie vor kein international garantiertes System gibt, das die Versorgung von Staaten, die selbst keine Anreicherung betreiben, mit Reaktorbrennstoff sicherstellt. In den 90er Jahren haben mindestens 19 Staaten aufgrund US-amerikanischen Drucks ihre Verhandlungen mit Iran über eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet der zivilen Atomwirtschaft abgebrochen. Das einzige Land, das in diesem Bereich immer noch mit Iran kooperiert, ist Russland. Indessen deutet die andauernde Verschiebung des Termins für die Fertigstellung des mit russischer Hilfe gebauten Reaktors Buschehr darauf hin, dass man auch in Moskau nicht unempfindlich gegen Druck aus den USA ist.

Schließlich müsste Iran immer mit nachgeschobenen Forderungen des Westens rechnen, wenn es im Streit um die Anreicherung nachgäbe. Die Behauptungen regierungnaher USA-Kreise, Iran betreibe zahlreiche geheime Produktionsstätten für die Entwicklung von Atomwaffen, impliziert das Verlangen nach landesweiten Kontrollmaßnahmen, die weit über den NPT hinausgehen würden. Letztlich könnte der Beweis, dass es nicht doch ein geheimes iranisches Atomwaffen-Programm gibt, erst nach einer militärischen Besetzung des Landes geführt werden. Die Vorwürfe würden also keineswegs verstummen, wenn Teheran im Streit um die Anreicherung nachgäbe. Eher würden sie noch verstärkt werden.

Gerade die letzten Tage mit demonstrativen Tests von Shahab-Mittelstreckenraketen durch Iran und neuen Drohungen des Westens legten eines nahe: Wer wirklich eine politische Lösung des Konflikts will, sollte zuerst auf unbewiesene Behauptungen und Polemiken verzichten. Der Westen müsste glaubhaft machen, dass er Iran nicht an den Pranger stellen würde, wenn Teheran sich auf Kompromisse einlässt. Eine Einigung wird nur unterhalb der jetzigen Forderung nach Stilllegung des gesamten Anreicherungssystems möglich sein. Der iranische Vorschlag, das angereicherte Uran jeweils umgehend unter IAEA-Aufsicht zu Brennstäben zu verarbeiten, deutet an, in welcher Richtung Kompromisslinien liegen könnten.

* Aus: Neues Deutschland, 1. Oktober 2009


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