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ElBaradei bleibt stur

Atomstreit: Iran kompromißbereit, USA und EU weiter auf Konfrontationskurs

Von Knut Mellenthin *

Der Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA), Mohamed ElBaradei, hat am Freitag (28. Aug.) seinen dritten Quartalsbericht für das laufende Jahr an die Mitgliedsstaaten verschickt. Der Report, der den Zeitraum seit dem 5. Juni behandelt, ist vorläufig nicht öffentlich, aber schon im Internet zu finden.

Dem Bericht zufolge hat Iran seit Mai den Umfang seiner Urananreicherung nicht mehr gesteigert; derzeit sind sogar etwas weniger Zentrifugen in Betrieb als damals. Darüber hinaus hat die iranische Atombehörde sich in den letzten Wochen mit der IAEA auf eine Ausweitung der Kontrollmaßnahmen in der Anreicherungsanlage von Natanz, unter anderem durch mehr Kameras und noch mehr unangemeldete Inspektionen, geeinigt. Den IAEA-Inspektoren wurde auch ein Besuch in dem noch im Bau befindlichen Schwerwasser-Reaktor bei Arak ermöglicht.

Das gesamte leicht angereicherte Uran, das in Natanz produziert wird, bleibt unter exakter Kontrolle durch die IAEA. Alle im Westen angestellten »Berechnungen«, wie lange Iran brauchen würde, um dieses Uran zur Waffenfähigkeit (etwa 90 Prozent) anzureichern, sind also fiktiv: Um diesen Prozeß auch nur in ganz geringem Umfang zu beginnen, müßte Iran zuvor die Zusammenarbeit mit der IAEA aufkündigen.

USA, Israel und die EU hatten in den letzten Wochen massiven Druck auf ElBaradei ausgeübt, um die Aufnahme propagandistischer Spekulationen über ein angebliches iranisches Atomwaffenprogramm in den Bericht durchzusetzen. Der Generaldirektor, der zum Jahresende ohnehin aus dem Amt scheidet, ist diesem Verlangen nicht gefolgt. In seinem Report heißt es lediglich, wie schon bei früheren Gelegenheiten: »Es bleiben eine Anzahl offener Fragen, die Anlaß zur Besorgnis geben und die geklärt werden müssen, um die Existenz einer möglichen militärischen Dimension des iranischen Atomprogramms auszuschließen.« Zugleich klagte ElBaradei, wie schon in früheren Berichten, daß die Staaten, die in diesem Zusammenhang Vorwürfe gegen Iran erheben, einen Teil ihrer angeblichen Beweisdokumente zurückhalten und dadurch eine Klärung sehr erschweren.

Die Diskussion über den Bericht steht auf der Tagesordnung der nächsten Sitzung des 35köpfigen IAEA-Vorstands, die vom 7. bis 11. September in Wien stattfindet. Aber schon vorher, nämlich am Mittwoch, werden die »Iran-Sechs« -- China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Rußland und USA -- über nächste Schritte gegen Iran sprechen. Die westlichen Staaten wollen China und Rußland möglichst schnell auf neue Sanktionen festlegen.

Unterdessen hat Iran die Unterstützung von mindestens 118 Staaten -- das ist die Mehrheit aller UN-Mitglieder -- für einen Resolutionsentwurf gewonnen, der auf der Generalversammlung der IAEA präsentiert werden soll, die am 14. September beginnt. Thema: Die Ächtung militärischer Angriffe auf zivile Atomanlagen.

* Aus: junge Welt, 31. August 2009


Justizchef entläßt Staatsanwalt

Iran: Prüfung von angeblichen Häftlingsmißhandlungen angeordnet **

Unter den Regierenden im Iran zeichnen sich wachsende Differenzen ab. Der neue Leiter der iranischen Justiz, Sadek Laridschani, entließ den bei der Opposi­tion berüchtigten Teheraner Staatsanwalt Said Mortasawi, wie die amtliche Nachrichtenagentur IRNA am Samstag abend meldete. Zugleich ordnete der Bruder von Parlamentspräsident Ali Laridschani eine Prüfung der Berichte über Mißhandlungen von inhaftierten Oppositionellen an. Der als Hardliner geltende Mortasawi hatte nach den Protesten gegen das offizielle Ergebnis der Präsidentenwahl vom 12. Juni Anklage gegen Dutzende Demonstranten erhoben. Mehr als 100 von ihnen stehen seit dem 1. August in einem Verfahren vor Gericht, das von Kritikern als Schauprozeß verurteilt wird. Während seiner gesamten Amtszeit hat Mortasawi politische Aktivisten sowie regimekritische Journalisten verhaften lassen. Außerdem hat er die Schließung von mehr als 120 Zeitungen verfügt. Von »Reformern« wird er als »Schlächter der Presse« und »Folterer von Teheran« bezeichnet.

Justizchef Laridschani ernannte laut IRNA Abbas Dschafari Dowlatabadi zum neuen Teheraner Staatsanwalt. Zugleich wurde klargestellt, daß die angelaufenen Prozesse gegen Oppositionelle weitergehen würden. Dennoch werteten Beobachter die Entlassung Mortasawis als Hinweis auf einen gemäßigteren Kurs des neuen Justizchefs. Dafür spricht auch, daß Sadek Laridschani ein dreiköpfiges Gremium zur Prüfung der Foltervorwürfe im Gefängnis Kahrisak ernannte.

Der unterlegene Präsidentschaftskandidat Mahdi Karrubi hat das inzwischen geschlossene Gefängnis wiederholt mit der Haftanstalt Abu Ghraib in Bagdad verglichen, wo US-Soldaten irakische Gefangene demütigten und folterten. Dazu erklärte Parlamentspräsident Ali Laridschani, bei einer parlamentarischen Untersuchung hätten sich die Vorwürfe als haltlos erwiesen. Karrubi hielt dem jetzt entgegen, eine sorgfältige Prüfung hätte niemals in so kurzer Zeit zu einem so eindeutigen Ergebnis kommen können.

Beobachter konstatieren, daß die Brüder Laridschani zunehmend auf Konfrontationskurs zu Präsident Mahmud Ahmadinedschad zu gehen scheinen. Dazu gehöre auch, daß Justizchef Sadek Laridschani den von Ahmadinedschad entlassenen Geheimdienstminister Gholem Mohseni Edschehi zum Generalstaatsanwalt ernannte.

** Aus: junge Welt, 31. August 2009


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