"Ernsthaft besorgt"
Die Internationale Atomenergie-Organisation legt neuen Bericht über das iranische Atomprogramm vor. Friedensforscher: Nichts wirklich Neues
Am 8. November 2011 legte der Generaldirektor der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO, englische Abkürzung IAEA) den mit Spannung erwarteten
Bericht über das iranische Atomprogramm vor. Darin äußert sich die IAEO "ernsthaft besorgt" über eine mögliche militärische Dimension des iranischen Atomprogramms geäußert. Es gebe "glaubwürdige" Informationen, wonach der Iran bis 2003 ein "stukturiertes Programm" zur Entwicklung von Atomwaffen verfolgt habe. Schließlich gebe es Hinweise darauf, dass "einige Aktivitäten", die für die Entwicklung nuklearer Sprengköpfe "relevant" sind, auch in der Zeit danach fortgeführt wurden und möglicherweise noch andauern.
Nach den in dem IAEO-Bericht erhobenen schweren Vorwürfen gegen den Iran wegen seines Atomprogramms haben die USA postwendend weitere Sanktionen gegen Teheran angedroht. "Wir werden den Druck aller Voraussicht nach verstärken", sagte ein ranghoher US-Regierungsvertreter, der nicht namentlich genannt werden wollte, laut AFP in Washington. "Wir schließen nichts aus, wenn es um Sanktionen geht", ergänzte er. Maßnahmen sollten aber mit anderen Staaten abgesprochen werden.
Iran dementiert
Der Iran "braucht keine Atombombe", um Washington und seinen Verbündeten die Stirn zu bieten, erklärte dagegen Präsident Mahmud Ahmadinedschad. Die USA verfügten selbst über 5000 Atomsprengköpfe und würden dem Iran "unverschämterweise" vorwerfen, eine Atombombe zu bauen, sagte Ahmadinedschad laut einem Bericht des iranischen Staatsfernsehens. Auch der iranische Außenminister Ali Akbar Salehi dementierte Atomwaffenabsichten. "Es gibt keine zuverlässigen Beweise, dass der Iran einen atomaren Sprengkopf entwickeln wird", sagte er. Dem Westen und den USA warf er vor, "ohne ernsthafte Argumente und Beweise" Druck auf den Iran auszuüben. Zugleich versicherte er, das Atomprogramm diene ausschließlich friedlichen Zwecken.
Vor wenigen Tagen hatte Ali Akbar Salehi der IAEO vorgeworfen, sie lasse sich bei der Analyse des iranischen Atomprogramms von politischen Erwägungen leiten. "Wenn die IAEO eine unparteiische Organisation ist, müsste sie jegliche Versuche einiger Länder abwehren, sie unter Druck zu setzen, und ihre Arbeit weiter professionell erfüllen“, fuhr Salehi fort. „Die iranische Führung hält Dokumente für gefälscht, die iranische Forschungen im Bereich von Atomwaffen belegen sollen. Die Amerikaner hatten bereits früher ähnliche Dokumente veröffentlicht“, sagte der Minister.
Dabei meinte Salehi den so genannten Niger-Skandal, als die CIA 2002 Dokumente publik gemacht hatte, nach denen der Irak Versuche unternehme, in Niger Spaltmaterial für sein Atomprogramm zu erwerben. „Mit den ‚Dokumenten’ wurde die Irak-Invasion gerechtfertigt. Nachdem zehntausende unschuldige Menschen getötet wurden, stellte sich heraus, dass die Papiere gefälscht worden waren“, sagte Salehi.
Nach einem Artikel in Focus (online) gab auch die "New York Times" bedenken, dass der IAEO-Bericht keine große Aussagekraft besitze. Grund seien die Einschränkungen des Ahmadinedschad-Regimes für die Inspektoren. Problematisch sei außerdem, dass die IAEO unvermeidlich nicht nur in technische, sondern in politische Diskussionen verwickelt werde – so wie vor dem Irak-Krieg 2003.
Moskau-Connection?
Einige schon vorab durchgesickerten Details aus dem IAEO-Bericht lösten zahlreiche Spekulationen über eine "russische Spur" im iranischen Atomprogramm aus.
Besonders ausführlich sei im IAEO-Bericht die fünfjährige Arbeit des Atomphysikers Wjatscheslaw Danilenko im iranischen Atomphysik-Zentrum beschrieben. Er soll die entscheidende Rolle für den technologischen Durchbruch Teherans gespielt haben. Wie eine Quelle aus dem Umfeld der Atomenergie-Holding Rosatom verriet, hatten das US-Außenministerium und die IAEO in Moskau nach Informationen über Danilenko angefragt.
Den Moskauer Behörden zufolge ist er allerdings kein russischer Bürger. Wjatscheslaw Danilenko soll einen ukrainischen Pass haben. Die Zeitung "Kommersant" fand zwei Personen mit diesem Namen:
Der erste mit dem Namen Wjatscheslaw Danilenko arbeitet am Institut für Geophysik der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften. Er bestritt jedoch, mit dem iranischen Atomprogramm etwas zu tun zu haben.
Der zweite mit denselben Namen soll im Russischen Institut für Technische Physik seit den 1950er Jahren bis zur Pensionierung gearbeitet haben. Die Leitung des Forschungszentrums wollte aber nichts zu Danilenkos möglicher Tätigkeit im Iran sagen. Einen Kontakt zu ihm konnte nicht hergestellt werden. In seinem Ruhestand soll er in Kiew gelebt haben. Das ist aber kein Grund, Danilenko als ukrainischen Wissenschaftler anzusehen.
Der frühere IAEO-Experte Gennadi Schakin sagte allerdings, die Behauptungen, dass ein einziger Experte aus der früheren Sowjetunion, dem Iran zu Atomwaffen verholfen hätte, sei unglaubwürdig. „Mit der gesamten Technologie der Atomwaffen-Entwicklung waren lediglich 15 bis 20 Personen vertraut. Andere Experten befassten sich mit einzelnen Aspekten dieser Arbeit“, betonte Schakin.
Auch Iwan Truschkin vom Zentrum für politische Forschungen (PIR-Zentrum) stellte die Version der westlichen Medien infrage: „Iran hat nicht genug Kräfte, um Atomsprengköpfe zu modellieren“, heißt es in einem Artikel der Russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti.
Was tun?
Skepsis überwiegt auch bei Oliver Meier vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Uni Hamburg. In einem Interview im Deutschlandradio sagte er am 9. November, der IAEO-Bericht enthalte nichts wirklich Neues. Meier wörtlich: "Der Bericht bestätigt das, was die Experten aber auch sicherlich die Geheimdienste schon seit Langem vermuten, dass der Iran eben gezielt auch versucht, die Fähigkeit zu erlangen, nicht nur spaltbares Material für Atomwaffen herzustellen, sondern auch den Sprengkopf zu entwickeln; und er macht diesen Befund glaubwürdiger und von daher ist da nichts grundsätzlich Neues drin." Auf die Frage angesprochen, was zu tun sei, plädiert Meier für die Fortsetzung von "gezielten Sanktionen", die eine Weiterentwicklung des militärtischen Atomprogramms erschweren können. Dagegen hält er nicht von einer Verschärfung "umfassender Sanktionen", z.B. gegen die iranische Nationalbank. In deren Folge würde die iranische Politik nur noch enger zusammenrücken. Wichtiger seien daher "Gesprächsangebote", "die auch glaubwürdig sind".
Quellen: AFP, dapd, RIA Novosti, Deutschlandradio
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