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Zum IAEA-Bericht über ein mögliches iranisches Atomwaffenprogramm

Von Jan van Aken *

Am 8. November 2011 hat die IAEA einen umfangreichen Bericht über mögliche militärische Aspekte des iranischen Atomprogramms veröffentlicht. Während in den internationalen Medien ein aktuelles Atomwaffen-Programm des Iran suggeriert wird, liefert der IAEA-Bericht dazu praktisch keine Hinweise – er befasst sich fast ausschließlich mit Hinweisen auf ein mögliches, aber bereits stillgelegtes Programm aus der Zeit vor 2003.

1. Fast alle Hinweise und Indizien, die der Bericht benennt, beziehen sich auf ein mögliches Atomwaffenprogramm vor 2003. Dies deckt sich mit Informationen, die ich persönlich bei einem Gespräch in der IAEA im September 2011 bekommen habe. Es deckt sich auch mit dem so genannten „National Intelligence Estimate“ der USA aus dem Jahre 2007, das „mit großer Sicherheit“ urteilte, dass „Teheran 2003 sein Atomwaffenprogramm eingestellt hat“.

2. Im IAEA-Bericht heißt es in Absatz 45 wörtlich: „Die Informationen zeigen, dass vor Ende 2003 die Aktivitäten im Rahmen eines strukturierten Programms stattfanden. Es gibt auch Hinweise, dass einige Aktivitäten, die für die Entwicklung einer Atomwaffe relevant sind, nach 2003 weitergeführt wurden, und dass einige möglicherweise immer noch stattfinden.“ Wichtig ist hier, dass auch die IAEA feststellt, dass ein „strukturiertes Programm“ Ende 2003 beendet wurde. Die Formulierung „Aktivitäten, die für Atomwaffen relevant sind“, ist sehr vage und deutet darauf hin, dass die IAEA hier ausschließlich Hinweise auf dual-use Aktivitäten hat. Im zusammenfassenden Absatz 53 heißt es schlicht: „some activities may still be ongoing“ – einige Aktivitäten könnten zur Zeit noch fortgesetzt werden. Im Absatz 18 des Anhanges zum IAEA-Bericht heißt es zudem, dass die IAEA für die Zeit nach 2003 nur begrenzte Informationen besitzt.

3. Im Anhang des Berichtes sind auf sehr unprofessionelle Weise die (deutlichen und aus meiner Sicht überzeugend wirkenden) Hinweise für Aktivitäten vor 2003 mit möglichen Aktivitäten nach 2003 vermischt, sodass beim flüchtigen Lesen der Eindruck eines kontinuierlichen, bis heute reichenden Programms entsteht, dessen Existenz jedoch offensichtlich nicht belegt ist.

4. Im Bericht werden des Öfteren „neue Informationen“ erwähnt. „Neue Informationen“ bedeutet nur, dass die IAEA diese Informationen in jüngster Zeit bekommen hat, es bedeutet jedoch nicht, dass diese sich auch auf die Zeit nach 2003 beziehen.

5. Folgende Informationen im IAEA-Bericht beziehen sich auf die Zeit nach 2003:

a) Wissenschaftliche Veröffentlichungen iranischer Wissenschaftler zu so genannten „exploding bridgewire detonators“ in 2005. Dazu gibt die IAEA selbst an, dass es dafür auch Anwendungen jenseits von Atomsprengköpfen gibt. Zudem beruhen diese Veröffentlichungen wahrscheinlich auf Arbeiten aus dem Zeitraum vor 2003.

b) Nach Informationen von zwei Mitgliedsstaaten hat der Iran 2008 und 2009 Modellstudien an kugelförmigen Urankomponenten durchgeführt (Absatz 52 des Anhangs), wofür es nach Angaben der IAEA keine anderen Anwendungen als in einer Atomwaffe gäbe. Zudem habe ein Mitgliedsstaat die IAEA darüber informiert, dass der Iran auch nach 2006 noch an Neutronenquellen gearbeitet haben „könnte“ (Absatz 56 des Anhangs). Unklar bleibt jedoch, wie zuverlässig diese Informationen sind. Richtigerweise stellt der IAEA-Bericht hier fest, dass der Iran hierzu Stellung beziehen sollte.

6. Die „Informationen von Mitgliedsstaaten“, die im IAEA-Bericht häufig herangezogen werden, sind mit äußerster Vorsicht zu betrachten. Es handelt sich dabei sehr wahrscheinlich um Geheimdienstinformationen. Wie unzuverlässig (oder rein politisch motiviert) diese sind, hat nicht zuletzt der Irak-Krieg 2003 gezeigt, zu dessen Vorbereitung umfassende Geheimdienstinformationen über mögliche unterirdische oder mobile Biowaffen-Laboratorien herangezogen worden waren, die sich am Ende alle als falsch herausgestellt haben. Nicht jede Geheimdienstinformation ist zwangsläufig falsch, aber eine UN-Organisation wie die IAEA darf sich bei den einzigen Aspekten, die auf mögliche Atomwaffenaktivitäten des Iran nach 2003 hinweisen, nicht allein auf derartige „Informationen von Mitgliedsstaaten“ stützen. Damit macht sie sich zum Sprachrohr westlicher Geheimdienste und diskreditiert sich selbst.

7. Zusammenfassend

a) trifft es zu, dass der Iran nicht vollständig mit der IAEA kooperiert, beispielsweise keine Design-Informationen zur Verfügung stellt und in der Vergangenheit nukleare Aktivitäten verheimlicht hat; zudem sollte der Iran zu den verschiedenen vagen Verdächtigungen für den Zeitraum nach 2003 Stellung beziehen sowie die umfassenden Inspektionen nach dem Zusatzprotokoll des Atomwaffensperrvertrages zulassen;

b) halte ich es für gut möglich, dass der Iran bis 2003 eine umfassendes Programm zur Entwicklung eines atomaren Sprengkopfes unterhalten hat;

c) sehe ich auch im jüngsten Bericht keinen belastbaren Hinweis darauf, dass dieses Programm bis heute weitergeführt wird. „Kein Hinweis“ bedeutet nicht, dass der Iran kein Programm hat – es ist aber andererseits nicht hinnehmbar, dass die IAEA aus rein politischer Motivation in der Öffentlichkeit suggeriert, dass der Iran bis heute aktiv an Atomwaffen arbeitet, obwohl die IAEA dafür eben keine Hinweise hat außer einigen wenigen, nicht weiter qualifizierten Geheimdienstinformationen.

* Jan van Aken, Hamburg, war von 2004 - 2006 Biowaffeninspektor bei den Vereinten Nationen und ist jetzt für DIE LINKE Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. www.linksfraktion.de, 15. November 2011


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