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Im "Land der Finsternis"

Eindrücke von einem Streifzug durch die iranische Hauptstadt Teheran im Frühling

Von Hannes Hofbauer, Teheran *

In Teheran sind nur wenige Touristen unterwegs. Zwischen Verkehrslärm und Ruheoasen überrascht die Metropole mit Gastfreundschaft und teils aufgelöster Geschlechtertrennung.

Beim ersten Schritt auf den Boulevard vor dem Hotel verschlingt einen die iranische Hauptstadt wie ein Moloch. Sechsspurige Schneisen bahnen sich ihren Weg durch die Bezirke. Verkehrshölle. Von den schneebedeckten Viertausendern im Norden der Metropole sind nur schemenhaft Umrisse erkennbar. Der Smog hüllt die 14 Millionen Menschen in eine für Megapoleis typische Wolke aus Staub, Ruß und Abgasen.

Die wahrhaft Gläubigen unter den Frauen versuchen dem Angriff auf ihre Lungen mit ins Gesicht gezogenem Tschador über dem streng gebundenen Hidschab zu begegnen. Üblicher sind locker über das aufgesteckte Haar gelegte Kopftücher, die den Blick auf Haarfarbe und Frisur freigeben und mit einer Spange so befestigt sind, dass noch von »anständiger«, den Kleidervorschriften entsprechender Bedeckung gesprochen werden kann.

Im Straßenbild hasten Männer und Frauen gleichberechtigt aneinander vorüber, gegen die Schar der Mopeds und Motorräder oder gar die Aggressivität einbiegender Buschauffeure richten beide Geschlechter wenig aus. Allgegenwärtig fordert der 1989 verstorbene Ajatollah Khomeini, mit seinem auf Lebzeiten bestellten Nachfolger Khamenei an seiner Seite, auf riesigen Plakatwänden Respekt - vor seiner Person und dem im dritten Jahrhundert des islamischen Kalenders verschwundenen zwölften Imam, auf dessen Wiederkehr die Islamische Republik Iran ihre theokratische Verfassung aufgebaut hat. Bis dahin, das hat sich die Elite der Mullahs fein ausgedacht, vertritt ihn der jeweils respektabelste oder durchsetzungsfähigste Rechtsgelehrte.

Staatliche Ämter zieren fein kalligrafierte Sprüche aus dem Koran. Die in arabischer Schrift verfassten Suren sind teilweise ins Englische übersetzt: »… und seid nicht sarkastisch zueinander und beschimpft euch nicht und nennt euch nicht bei bösen Spitznamen«. Aufrufe wie dieser haben in der Hektik des Straßenverkehrs durchaus Sinn. Profaner geht es rund um die großen Kreuzungen zu. Am Kreisverkehr Ferdowsi, in dessen Mitte der berühmte namensgebende Poet in marmorner Pose sitzt, schwingen Dutzende von Männern jedem Passanten Bündel von Dollarnoten entgegen. In Zeiten der Inflation, die im März 2012 offiziell mit 22 Prozent angegeben wird, blüht der Devisenhandel. Wer ein wenig mehr verdient als er unmittelbar verbraucht, flüchtet, wenn auch nur für ein paar Wochen, in den Dollar. Der wird eingeschweißt in kleinen und mittleren Einheiten angeboten: zu 20-, 50-, 100- oder 200-Dollarbündeln. Eine Million Rial ergeben Mitte April ein Bündel von gerade einmal 30 Dollar.

Gastfreundschaft im Getümmel der Metropole

Das Abendessen nehmen wir in einem »traditionellen persischen Restaurant« ein, wie eine kleine Leuchttafel am Eingang einlädt. Außer diesen wenigen vertrauten Buchstaben ist nirgendwo eine lateinische Schrift auszumachen. Ein freundlicher Herr am Nebentisch hilft aus. Wir folgen seiner Speisen-empfehlung: saftiges Lammkebab, Safranreis, Pfefferoni und Dough, ein an das türkische Ayran erinnernder Joghurt. Dazu papierdünnes Weizenbrot, genannt Lawasch. Unser Nachbar ist in Eile und wünscht uns noch einen angenehmen Aufenthalt in »seiner Stadt«. Nebenbei erwähnt, dass unsere Rechnung bereits beglichen ist. Gastfreundschaft im Getümmel einer Millionenstadt.

Zur Schau gestelltes, lustvolles Konsumieren gilt hier als dekadent. Entsprechend rar sind Stätten eines auf Konsum orientierten öffentlichen Raumes, ohne den der Westler nicht auszukommen meint. Ein letztes, als alt klassifiziertes Kaffeehaus in der Teheraner Shahid Azodi-Straße, das »Nayeb«, wird von den wenigen Touristen der Stadt und einer kleinen Gruppe betagter Männer frequentiert. Auch die Preise für Kaffee oder Tee, den europäischen angeglichen, wirken auf die durchschnittsverdienende lokale Bevölkerung abschreckend.

Ein anderer, nicht durch die Kaufkraft definierter öffentlicher Raum erschließt sich dem Besucher erst nach und nach. Kleine Parkanlagen, sauber gepflegt und mit Frühlingsblumen übersät, weisen an den Weggabelungen Trinkbrunnen auf, die auch für Teezubereitung und das Auffüllen von Wasserpfeifen benutzt werden. Wie selbstverständlich erobern sich die Menschen jedes Fleckchen Wiese, um auch wochentags in kurzen Arbeitspausen darauf Platz zu nehmen, Mitgebrachtes auszupacken und in einer der Großstadt Tribut zollenden Eile zu verzehren.

Geheimnisvoll bleibt der Umgang mit der Geschlechtertrennung in Verkehrsmitteln. »Women only«, auch in englischer Aufschrift, heißt auf keinesfalls, dass alle anderen Abteile in der U-Bahn oder im Bus für Frauen unzugänglich sind. Umgekehrt werden in selteneren Fällen auch Männer in den Frauenwaggons der Metro gesichtet, vor allem dann, wenn es sich um offensichtlich verliebte Paare handelt, die das tun, was in jedem Reiseführer als No-go bezeichnet wird: turteln, Händchen halten und die Köpfe zusammenstecken. Beim Taxisystem bricht die Geschlechtertrennung völlig zusammen. Da findet niemand etwas daran, wenn Frauen als Chauffeure Männer als Kunden mitnehmen, wobei das umgekehrte Verhältnis selbstverständlicher ist.

Kritik an der Politik der Mullahs

In einem der wenigen europäisch eingerichteten Kaffeehäuser gegenüber der Universität treffen wir Shari, eine 23-jährige Englischstudentin. Sie ergreift die Chance, mit Fremden ihr Englisch zu üben. Offen beklagt sie die reaktionäre Kulturpolitik der Mullahs, regt sich über die allgegenwärtigen Verhaltensregeln auf und meint, es könne schon vorkommen, dass man im Park als nicht verheiratetes, Händchen haltendes Paar von Sittenwächtern in einen blauen Bus verfrachtet und wegen unmoralischen Verhaltens ins Gefängnis verschleppt wird. Überdies wirft sie dem Regime vor, kein Geld für Kultur bereitzustellen. »Unsere besten Künstler, Musiker, Maler sind ins Ausland gegangen. Das Teheraner Symphonieorchester kann schon deshalb nicht mehr auftreten, weil es keinen Dirigenten mehr gibt, der hier lebt«, klagt Shari.

Der Basar als Platz des Austausches ist eine reine Männerdomäne. Frauen sind als Verkäuferinnen nirgendwo zu sehen, allenfalls vereinzelt in jenen Gängen, in denen weibliche Unterwäsche angeboten wird. Wie im Orient üblich, formieren sich die Marktsektoren entlang einzelner Produkte: Stoffe, Garne, Teppiche, Kordeln … alles in schier unüberschaubaren Gängen und Karawansereien nebeneinander. Außerhalb des riesigen Textilmarktes nehmen Geschäfte mit Geschirr, Werkzeug, Schmuck, Gewürzen und anderem große Verkaufsflächen ein.

Die Macht der Basarhändler, einst Sargnagel für die Pahlavi-Dynastie, ist heute nicht weniger spürbar. Wie lange werden sie den Mullahs und ihrem Gottesstaat den Rücken stärken? Eine soziale Frage, die letztlich auf dem ökonomischen Feld entschieden wird.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 27. April 2012


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