Die beste Chance seit langem
Wer einen Nahen und Mittleren Osten frei von Atomwaffen haben will, muss endlich auch über Israel reden
Von Xanthe Hall *
Eine Konfliktlösung soll eine "Win-Win-Situation" schaffen. Mit der
neuen "Iran+P5+1-Vereinbarung" ist das gelungen: Alle Beteiligten und
Betroffenen haben einen Gewinn erzielt. Das gilt sogar für Israel,
obwohl Netanjahu etwas anderes sagt. Denn diese Vereinbarung erlaubt es
dem Iran, weiter Uran anzureichern. Das ist für das Selbstbewusstsein
des Landes sehr wichtig. Darüber hinaus werden die Sanktionen gelockert
und gleichzeitig beide Wege zur Atombombe -- über Uran oder Plutonium
--effektiv versperrt, zumindest für die kommenden sechs Monate.
Vertrauen ist gut, aber tägliche Kontrolle ist besser und die wurde auch vereinbart. Damit haben die USA zudem ihr Versprechen gegenüber Israel einlösen können, nicht zuzulassen, dass der Iran Atomwaffen baut.
Israel bleibt kritisch - wie zu erwarten war. Im BBC hörte ich einen
Regierungsvertreter sagen: "Wir kennen die Iraner besser. Sie halten ihr Atomwaffenprogramm geheim und sagen nicht die Wahrheit". So hätte er auch über sein eigenes Land sprechen können. Jedes Kind weiß inzwischen, dass Israel über Atomwaffen verfügt. Aber das Programm ist so geheim, dass der einzige Mann, der jemals öffentlich darüber sprach, 18 Jahre in Isolationshaft bleiben musste.
Die Wahrheit bleibt in Israel genauso auf der Strecke wie im Iran -
vielleicht sogar mehr. An der Vereinbarung mit dem Iran könnte Israel
sich ein Beispiel nehmen und mehr Transparenz über sein Atomprogramm
wagen. Iran erlaubt den Inspektoren der IAEO Zutritt zu den
Urananreicherungsanlagen, den Zentrifugen-Fabriken sowie einer Reihe
anderer Anlagen und stellt ihnen Bauunterlagen des Arak-Reaktors zur
Verfügung. Wie wäre es mit einem Zugang zu dem Atomreaktor bei Dimona?
Am 8. Dezember wird die IAEO die Schwerwasserfabrik in Arak inspizieren. Dem Abkommen zufolge wird der Reaktor für die nächsten sechs Monate stillgelegt. Obwohl die Inspektoren den Reaktor bereits regelmäßig überwacht haben, ist die Einladung des Iran an die IAEO, auch die Produktionsanlage für Schwerwasser zu kontrollieren, ein bedeutender Schritt in Richtung gewünschter Transparenz. Ein Erfolg bei dieser Inspektion ist ein Lakmustest für die Einigung insgesamt.
Auch in Israel gibt es Anlagen, über deren Produktion mehr Transparenz
wünschenswert wäre. Im Negev Atomforschungszentrum - auch als "Dimona"
bekannt - soll es angeblich einen Schwerwasserreaktor, eine
Wiederaufarbeitungsanlage zur Herstellung von Plutonium,
Urananreicherungsanlagen sowie eine Fertigungsanlage für
Bombenkomponenten geben. Aber: Dimona wird nicht von der IAEO überwacht, weil Israel kein Mitgliedstaat des Atomwaffensperrvertrags ist. Der Iran ist Mitglied und wird deswegen kontinuierlich überwacht. Dadurch hat die IAEO überhaupt erfahren, dass im iranischen Atomprogramm Unregelmäßigkeiten bestehen.
Im neuen Koalitionsvertrag schweigen sich die Parteien über das
israelische Atomwaffenprogramm aus. Es heißt: "Ein nuklear bewaffneter
Iran stellte eine Gefahr für die gesamte Region und darüber hinaus dar
und würde den weltweiten Bemühungen um Abrüstung und Nonproliferation
schweren Schaden zufügen." Über die Atomwaffen Israels verlieren SPD und CDU kein Wort, obwohl sie Teil des zugrunde liegenden Problems sind. Es ist falsch, die Massenvernichtungswaffen eines Staates in der Region getrennt von denen eines anderen zu betrachten. Sie bedingen einander. Deswegen brauchen wir eine Zone frei von Massenvernichtungswaffen im Nahen und Mittleren Osten.
Im Koalitionsvertrag wird zudem behauptet, dass die neue Einigung durch
einen "doppelten Ansatz" zustande gekommen sei. "Die Politik der
internationalen Gemeinschaft gegenüber dem Iran, die auf
Kooperationsangebote und gezielte Sanktionen setzt, hat zu Bewegung in
den zuvor festgefahrenen Verhandlungen geführt." Der Wechsel von
Ahmadinedschad zu Rouhani, die neue Strategie von Catherine Ashton, der
unermüdliche Einsatz von Irans Außenminister Sarif oder der
diplomatische Geheimkanal mit dem Staatsminister William Burns sollen
hier keine Rolle gespielt haben? Laut dem Publizisten Jürgen Todenhöfer
hat der Iran den USA zudem schon vor dreieinhalb Jahren einen
umfassenden, konstruktiven Verhandlungsvorschlag gemacht, den Barack
Obama damals abgelehnt habe, angeblich, um seine Wiederwahl nicht zu
gefährden.
Es gibt eine historische Zäsur: Zum ersten Mal seit fast 35 Jahren reden Iran und USA direkt mit einander und verhandeln. Und die CDU, CSU und SPD sprechen nur vom Erfolg der Sanktionen? Die Genfer Einigung ist ein Meilenstein in der Geschichte und wird systematisch abgewertet, um
Israel nicht zu irritieren.
Jetzt wäre es an der Zeit, Israel erneut aufzufordern, ihre Bereitschaft zur Teilnahme an einer Konferenz zur Errichtung einer Zone frei von Massenvernichtungswaffen im Nahen Osten zu erklären. Die Konferenz ist wesentlich für das Überleben des Atomwaffensperrvertrags, der momentan das einzige Hindernis gegen eine Welt mit einer wachsenden Zahl von Atomwaffenstaaten darstellt. Iran kann nicht für immer der alleinige Buhmann bleiben, irgendwann müssen wir den einzigen de-facto
Atomwaffenstaat in der Region beim Namen nennen.
Zu Israel schreiben die Koalitionsparteien im Vertrag: "Wir bekennen uns zu der besonderen Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel als
jüdischem und demokratischem Staat und dessen Sicherheit." Niemand
sollte dem widersprechen, aber der Sicherheit Israels ist mit Atomwaffen nicht gedient. Das Land kann seine Atomwaffen nur als Selbstmordwaffen einsetzen. Die Folgen eines regionalen Atomkrieges würden das eigene Volk treffen.
* Xanthe Hall ist Abrüstungsexpertin der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW)
Dieser Beitrag erschien in: Frankfurter Rundschau, Mittwoch, 4. Dezember 2013
mit freundlicher Genehmigung durch die Autorin.
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