"Man sollte mit Iranern nicht reden, als seien sie Esel"
"Iran braucht eine Abrüstungskonferenz", fordert die Rüstungsexpertin Xanthe Hall"
Das folgende Interview der Atomwaffenexpertin Xanthe Hall von der IPPNW veröffentlichte die Tageszeitung taz am 25. November 2005. Xanthe Hall referiert beim Friedenspolitischen Ratschlag am 3./4. Dezember 2005 in Kassel, Universität.
"Iran braucht eine Abrüstungskonferenz"
Der gesamte Nahe Osten müsste atomwaffenfreie Zone werden, sagt die
Rüstungsexpertin Xanthe Hall. Kurzfristig können Verhandlungen über Irans
Atomprogramm Erfolg haben, wenn sie nicht von Drohungen begleitet werden
taz*: Frau Hall, Moskau hat einen neuen Vorschlag gemacht, den Konflikt um
das iranische Atomprogramm zu lösen: Iran darf Uran umwandeln, die
eigentliche Anreicherung wird aber in Russland vorgenommen. Ist das ein
Ausweg - oder ist doch ein militärischer Angriff zu befürchten?
Xanthe Hall: Ein militärischer Angriff ist vorerst nicht zu erwarten. Die
USA haben erklärt, dass sie die diplomatischen Initiativen, auch die
Russlands, unterstützen. Sie werden also erst einmal die Ergebnisse der
Verhandlungen abwarten.
Abwarten, bis die Russen wie die Europäer scheitern?
Ja, anders als beim Irakkrieg kann die Regierung Bush sich dieses Mal einen
Alleingang nicht leisten. Zudem muss sie die Stimmung im eigenen Land und
international vorbereiten (...)
Die Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) haben bisher
keine Gründe für eine militärische Intervention gefunden …
… dennoch sehen wir, dass die US-Regierung alle paar Tage eine Nachricht
lanciert, die Schlagzeilen macht. Etwa die Nachricht von einem gestohlenen
Laptop, der Hinweise auf Nuklearwaffenpläne enthalten soll. Letzte Woche
berichteten Medien über Pläne zum Bau von Bestandteilen einer Atombombe, die
Iran in den 80er-Jahren von Pakistan erhalten haben soll. Oder es werden
Ängste erzeugt, in dem behauptet wird, Iran arbeite mit al-Qaida zusammen
und unterstütze die Attentate im Irak. In dieser Situation kamen auch die
unsäglichen Äußerungen des iranischen Staatspräsidenten hinzu, Israel solle
von der Landkarte getilgt werden. Sollte nun Russlands Vermittlungsversuch
scheitern, wird der UN-Sicherheitsrat eingeschaltet. Dann würde wohl selbst
ein Veto Russlands oder Chinas die USA nicht davon abhalten, die Sache in
die Hand zu nehmen.
(...)
Die IAEA und ihr Generalsekretär al-Baradei haben in diesem Jahr den
Friedensnobelpreis bekommen. Zu recht?
Ich schätze die Arbeit der Behörde hoch - doch ist sie oft befangen. Es gibt
Länder, wie Frankreich oder Japan, in denen kiloweise Plutonium herumliegt.
Das kümmert die Behörde aber nicht. Auch Israel wird so gut wie gar nicht
kontrolliert. Dagegen lösten ein paar Gramm Plutonium in Nordkorea gleich
eine internationale Krise aus. Daraus scheint die IAEA gelernt zu haben. Sie
geht im Iran nicht so konfrontativ vor und bauscht nicht jeden Verdacht auf. (...)
Gibt es im Iran wirklich Hinweise auf Nuklearwaffenpläne?
Solche Pläne gibt es fast in jedem Land. In den 60er- und 70er-Jahren gab es
in vielen Ländern solche Programme, zum Beispiel in Spanien, in der Schweiz,
in Schweden. Auch in Deutschland existierten solche Geheimpläne. Es wäre
seltsam, wenn Iran eine Ausnahme bilden würde.
Also will Iran doch die Bombe bauen.
Die Iraner wollen auf jeden Fall die Option dafür haben. Deswegen bestehen
sie darauf, den nuklearen Brennstoffkreislauf im eigenen Land herzustellen.
Auch Nordkorea hat die Option aufgebaut, und sobald es zu Konfrontation
führte, behauptet, bereits im Besitz der Bombe zu sein. Niemand weiß, ob
diese Behauptung stimmt, aber sie bietet eine exzellente
Verhandlungsposition. (...)
Und nun?
Man sollte mit Iranern nicht reden, als seien sie Esel. Diese Mischung von
Verhandlung und Drohung funktioniert nicht. Man muss Iran versichern, dass
es keinen Krieg geben wird, dass niemand das Recht hat, das Land
anzugreifen, selbst wenn sich herausstellen sollte, dass es die Atombombe
plant. Man muss die Basis für die Diskussion ändern.
Wie könnte eine Lösung letztlich aussehen?
Entweder müsste man allen Ländern die Nutzung der Atomenergie verbieten -
das wäre am besten, ist aber nicht durchführbar. Also muss auch Iran das
Recht auf Brennstoffherstellung bekommen, unter verschärften Kontrollen der
IAEA. Zusätzlich ist gründlich abzusichern, dass Iran die Mitgliedschaft im
Atomsperrvertrag nicht kündigt. Das wäre zumindest eine Zwischenlösung.
Und die langfristige Perspektive?
Man bräuchte eine Konferenz, wie damals die KSZE, für die gesamte Region.
Nach und nach könnten die Waffenarsenale, auch die Massenvernichtungswaffen,
abgebaut und die gesamte Region zur atomwaffenfreien Zone erklärt werden.
Ein solches Paket würde Irans Rechte berücksichtigen und gleichzeitig das
Sicherheitsbedürfnis aller Staaten der Region, also auch Israels,
befriedigen.
*INTERVIEW: B. NIRUMAND
Aus: taz, 25.11.2005
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