Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Iran mit dem Rücken zur Wand

Große Kluft zwischen Zusagen und Realität

Von Knut Mellenthin *

Die US-Regierung gibt den Wert der Sanktionserleichterungen, die Iran während des vereinbarten sechsmonatigen Moratoriums zugute kommen sollen, mit ungefähr sieben Milliarden Dollar an. Im Genfer Abkommen selbst stehen keine Zahlen. Der größte Posten in dieser Kalkulation sind 4,2 Milliarden Dollar aus laufenden Ölverkäufen. Das hat mit der Freigabe eingefrorener Guthaben, die oft in diesem Zusammenhang ins Spiel gebracht wird, nichts zu tun. Hintergrund ist vielmehr, daß Irans Kunden auf Washingtons Geheiß ihre Ölimporte über Sperrkonten abwickeln müssen. Iran hat darauf nur eingeschränkt Zugriff, indem es dafür aus den jeweiligen Ländern einige von den USA erlaubte Waren beziehen darf, beispielsweise Lebensmittel. Auf diese Weise hat sich auf den Sperrkonten bereits viel Geld angesammelt. Allein bei den wichtigsten Käufern iranischen Öls – China, Indien, Südkorea und Japan – liegen zusammen 38 Milliarden Dollar fest. Auf einen kleinen Teil davon soll Iran nun leichter zugreifen können. Allerdings ist dieser erheblich geringer als die zu erwartenden iranischen Ölverkäufe während des Moratoriums.

Die US-Regierung will außerdem während der Laufzeit des Moratoriums darauf verzichten, Irans Handelspartner dazu zu zwingen, ihre Ölimporte noch weiter zu verringern. Diese können demnach auf dem derzeitigen Stand von durchschnittlich einer Million Barrel am Tag (bpd) bleiben – verglichen mit über zwei Millionen bpd noch vor zwei Jahren. Eine Steigerung ist jedoch ausgeschlossen. Ländern und Unternehmen, die dagegen verstoßen würden, drohen riesige Nachteile auf dem Markt der USA.

Mit insgesamt 1,5 Milliarden Dollar schlägt in Washingtons Rechnung die zeitweise Suspendierung der Sanktionen gegen Goldverkäufe an den Iran, gegen Geschäfte mit der dortigen Autoindustrie und gegen Teherans Export petrochemischer Erzeugnisse, beispielsweise Kunstdünger, zu Buche. Alle drei Sanktionen sind erst im Sommer dieses Jahres in Kraft getreten. Bis dahin hatte Iran vor allem in der Türkei große Mengen Gold gekauft oder gegen Öl- und Gaslieferungen eingetauscht. Weil die USA normale Transaktionen mit iranischen Banken unmöglich gemacht haben, wird Gold zur Abwicklung von Handelsgeschäften eingesetzt. Iran war bis vor kurzem größter Autoexporteur der Region. Das US-amerikanische Verbot, Teile für die iranische Produktion zu liefern, hatte einen fast totalen Zusammenbruch zur Folge.

Mit 400 Millionen Dollar berechnet die US-Regierung die Schaffung eines »Kanals«, der es iranischen Familien ermöglichen soll, ihre im Ausland studierenden Töchter und Söhne durch Überweisungen zu unterstützen.

Außerdem sollen zeitweise Möglichkeiten für finanzielle Transaktionen eröffnet werden, damit Iran »humanitäre Güter« wie Lebensmittel, Medikamente und medizinisches Gerät importieren kann. Zwar fällt davon nichts unter die US-Sanktionen. Da aber Geschäfte mit iranischen Banken verboten sind, kann Iran solche Güter trotzdem kaum noch kaufen.

* Aus: junge Welt, Samstag, 14. Dezember 2013


Noch tiefer ins Loch

Trotz versprochener Erleichterungen soll sich der Sanktionsdruck auf Iran in den kommenden Monaten weiter verstärken

Von Knut Mellenthin **


In der Beschreibung der Konsequenzen des Genfer Abkommens sind sich iranische und israelische Medien und Politiker auf geradezu komische Weise einig: Iran hat gesiegt! Dazu gehört die synchrone Behauptung, auf der einen Seite im triumphierenden und auf der anderen Seite im jammernden und anklagenden Ton vorgetragen, daß »die Auflösung der Sanktionen« begonnen habe.

Wenn man den Schilderungen mancher iranischer Journalisten glauben will, stehen vor der durch das Genfer Abkommen geöffneten Tür schon die Abgesandten westlicher Unternehmen Schlange. Ranghohe Funktionäre des zuständigen Teheraner Ministeriums schwärmen davon, den Ölexport in kurzer Zeit wieder auf die Höhe von 2,5 Millionen Barrel am Tag (bpd) zu bringen, die er noch vor zwei oder drei Jahren hatte. Im laufenden Jahr liegt er im Durchschnitt bei etwas über einer Million bpd.

Ein einflußreicher Teheraner Wirtschaftsfunktionär setzte vor einigen Tagen die Behauptung in die Welt, die USA hätten bereits acht Milliarden Dollar aus eingefrorenen iranischen Guthaben freigegeben. Ein Regierungssprecher bestätigte angeblich die Meldungen, dementierte aber wenige Stunden später. Möglicherweise hatten iranische Journalisten wieder einmal nicht richtig hingehört. Um ihre Aufgabe, das Genfer Abkommen mit wackligen, zweideutigen Formulierungen, irreführenden Überschriften oder einfach mit Lügen schönzuschreiben, sind sie nicht zu beneiden.

In Wirklichkeit hat die erste Phase des Abkommens, das sechsmonatige Moratorium, noch gar nicht begonnen. Es steht nicht einmal definitiv fest, wann dieses in Kraft treten soll. Zentrale Sachfragen wurden in der Genfer Vereinbarung nicht geklärt, sondern blieben Expertengesprächen überlassen. Nicht eine einzige Sanktion wurde bisher außer Kraft gesetzt oder gelockert.

Außerdem: Die für die erste Phase versprochenen Erleichterungen sind geringfügig. Sie betreffen kaum die Chancen westlicher Unternehmen, die nicht ohnehin schon mit dem Iran legale Geschäfte machen, indem sie zum Beispiel Medikamente, medizinisches Gerät oder Lebensmittel liefern, oder die noch bis vor wenigen Monaten im Iran tätig waren. Zu letzten gehören einige internationale Autofirmen, darunter Renault. Sie hatten Teile für die bis vor kurzem noch exportstarke iranische Autoproduktion geliefert und zudem zigtausende Privatfahrzeuge in den Iran verkauft.

Die US-Regierung beziffert den Gesamtwert der für die erste Phase versprochenen Sanktionserleichterungen mit rund sieben Milliarden Dollar. Das ist eine wahrscheinlich zu niedrige Schätzung. Im Genfer Abkommen stehen überhaupt keine konkreten Zahlen. Die Obama-Administration dürfte dazu neigen, diesen Teil der Abmachungen aus innenpolitischen Gründen kleinzureden. Auf der anderen Seite sind Behauptungen israelischer und pro-israelischer Quellen, es handele sich in Wirklichkeit um 20 oder gar 30 Milliarden, nichts weiter als heiße Luft.

Ganz sicher ist: Etwa 95 Prozent der Sanktionen bleiben auch nach dem Beginn der ersten Phase des Genfer Abkommens in Kraft. Über sie soll erst entschieden werden, wenn Teheran zu einer »umfassenden, endgültigen Regelung« bereit ist, die voraussichtlich tiefe Einschnitte in das iranische Atomprogramm erfordern würde.

Dieser Vorbehalt gilt insbesondere für den zweifellos interessantesten Posten, die Ausbeutung der iranischen Erdöl- und Erdgasvorkommen sowie ausländische Investitionen in deren Entwicklung. Iranische Experten beziffern den direkten Finanzbedarf auf rund 50 Milliarden Dollar. Was auf diesem Gebiet zur Zeit passiert, ist aber lediglich, daß europäische und asiatische Konzerne sich in Teheran melden, um ihr prinzipielles Interesse mitzuteilen, künftig gern wieder im Iran tätig zu werden: Sofern und sobald das irgendwann von der US-Administration erlaubt werden sollte, versteht sich.

US-Außenminister John Kerry hat in den vergangenen Tagen beim pro-israelischen Saban-Forum und in einer Kongreßanhörung auf zwei entscheidende Schwachstellen der verheißenen Sanktionserleichterungen hingewiesen. Erstens: Sie treten nicht etwa sofort nach Beginn des Moratoriums alle auf einmal in Kraft, sondern werden häppchenweise verabreicht. Iran kommt also nicht sechs Monate lang in ihren Genuß, sondern nur für erheblich kürzere Zeiträume. Darüber steht nichts im Genfer Abkommen, sondern das ist gegenwärtig Diskussionsstoff zwischen Iran und der internationalen Verhandlungsgruppe.

Zweitens: Den mit insgesamt sieben Milliarden Dollar veranschlagten Erleichterungen stehen 15 bis 25 Milliarden gegenüber, die Iran im Moratoriums-Halbjahr durch die fortbestehenden Sanktionen, vor allem gegen seinen Ölexport, verlieren wird. Wohlverstanden: neue, zusätzliche Verluste. Kerry wies in diesem Zusammenhang auch stolz darauf hin, daß Iran durch die Maßnahmen der US-Administration seit Anfang 2012 allein im Ölgeschäft 80 Milliarden Dollar eingebüßt habe.

Darüber hinaus hat das US-Finanzministerium angekündigt, daß es in den kommenden Wochen und Monaten die Überwachung der fortbestehenden Sanktionen und die Verfolgung von Verstößen nochmals erheblich verschärfen wird. Da die Rechtsunsicherheit groß ist und die drohenden Strafen im zwei- oder gar dreistelligen Millionenbereich liegen, ist damit zu rechnen, daß die versprochenen Erleichterungen nur langsam, zaghaft oder gar nicht ausgeschöpft werden.

Vor diesem realen Hintergrund wird die Prognose von David Cohen plausibel, der am Mittwoch im neokonservativen Wall Street Journal schrieb: »Ich habe volles Vertrauen, daß der Sanktionsdruck auf Iran weiter zunehmen wird. In sechs Monaten, wenn die Übergangsvereinbarung ausläuft, wird Iran sogar noch tiefer im Loch stecken als heute.« Cohen ist als Staatssekretär im Finanzministerium Leiter des Ressorts »Terrorismus und Finanzspionage«, das für die Iran-Sanktionen verantwortlich ist.

** Aus: junge Welt, Samstag, 14. Dezember 2013


Hintergrund: Teherans Zugeständnisse

Iran hat sich im Genfer Abkommen verpflichtet, für die Dauer des sechsmonatigen Moratoriums sein Atomprogramm auf dem jetzigen Stand zu belassen oder teilweise sogar einzuschränken. Die Anreicherung von Uran auf 20 Prozent soll in diesem Zeitraum vollständig eingestellt werden. Faktisch kommt das einer zumindest vorübergehenden Stilllegung der unterirdischen Anlage in Fordow gleich, die besonders stark gegen Luftangriffe gesichert ist. Die Bestände an derart angereichertem Uran sollen in Formen umgewandelt werden, die eine weitere Anreichung zur Produktion von waffenfähigem Material weitgehend ausschließen oder stark erschweren würden.

Die Herstellung von schwach angereichertem Uran für die Produktion von Reaktorbrennstoff soll auf ihrem gegenwärtigen Niveau eingefroren werden. Iran darf während des Moratoriums keine neuen Zentrifugen in Betrieb nehmen oder installieren, sondern nur schadhafte Geräte ersetzen. Es darf darüber hinaus auch keine Zentrifugen mehr bauen. Iran verzichtet während des Moratoriums auf die Installation eines moderneren Zentrifugentyps. Die Bestände an schwach angereichertem Uran müssen umgewandelt werden, ihre Menge darf nicht anwachsen.

Am Schwerwasserreaktor in Arak, der im Sommer 2014 betriebsfertig werden sollte, darf während des Moratoriums nicht weitergebaut werden.

Iran muß täglichen Zugang der Inspektoren der Internationalen Atomenergie-Behörde IAEA zu allen Nuklearanlagen gestatten. Es muß darüber hinaus der IAEA auch Anlagen öffnen, die nicht zu deren Zuständigkeit gehören, wie etwa Uranminen und Fabriken für Zentrifugen.

Nach dem Willen der US-Regierung soll der Iran Arak ganz aus seiner Planung streichen. Das dortige Reaktorprojekt sei grundsätzlich »nicht akzeptabel«, sagte Außenminister John Kerry am Dienstag bei einer Anhörung im Außenpolitischen Ausschuß des Abgeordnetenhauses mehrmals ausdrücklich.

Falls auf der Basis solcher Maximalforderungen keine Gesamtregelung zustande kommt, dürfte Iran es dennoch sehr schwer haben, die »zeitweisen« Beschränkungen, denen er sich in Genf »freiwillig« unterworfen hat, wieder aufzuheben und zur bisherigen Situation zurückzukehren, ohne propagandistisch schwere Schäden davonzutragen. (km)




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