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Der Hörsaal voller Männer

Iranische Universitäten sperren in diesem Jahr 77 Studiengänge für Frauen

Von Behrouz Khosrozadeh *

Verwaltungswissenschaft, BWL, Politik? Nichts für Frauen. Wie die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch vor einigen Tagen mitteilte, ist Iranerinnen an mehreren Hochschulen die Teilnahme an Lehrveranstaltungen verwehrt worden.

Die Universitäten gehörten zu den ersten Stätten, die die machthungrigen Mullahs nach dem Sieg der Revolution 1979 in Angriff nahmen. Dies erfolgte im Rahmen der sogenannten »Kulturrevolution«, in deren Folge Irans Hochschulen für zwei Jahre (1980-1982) geschlossen wurden. In diesem Zeitraum sollte ein umfangreiches Konzept zur »Islamisierung« des hohen Bildungswesens ausgearbeitet werden. Die Verbannung von säkularen westlichen Lehrinhalten, die Einführung einer Kleiderordnung und auch der Geschlechtertrennung wurden zu langfristigen strategischen Zielen.

Die Einführung der Verschleierungsvorschrift (hijab) hatte eine ambivalente Wirkung. Einerseits bedeutete sie einen Eingriff in die Privatsphäre der Frauen. Andererseits ermutigte sie die jungen Frauen aus traditionell-religiösen Familien, sich für eine Hochschulzulassung zu bewerben. In der Schah-Zeit bekamen sie keine Erlaubnis von ihren Eltern, da diese die Universitäten ohne Geschlechtertrennung als Ort des moralischen Verfalls erachteten. Im Ergebnis dürfte man den Mullahs im Bildungssektor eine bessere Zensur erteilen als dem Schah-Regime.

Im Jahr 1980, ein Jahr nach dem Revolutionssieg, studierten insgesamt 175 000 Personen an etwa 35 Hochschulen, verteilt auf weniger als 20 Städte, zumeist in der Hauptstadt Teheran. Heute gibt es etwa vier Millionen Studenten in mehr als 120 Städten. Zwar wird hier über einen Zeitraum von 33 Jahren gesprochen, in dem Irans Bevölkerung sich mehr als verdoppelte, doch die Bildungsoffensive nach der Revolution insbesondere mit der Gründung der »Freien Universität« vollzog sich sehr rasant. Der Ansturm der Frauen hat das konservative Lager des Regimes wenig beängstigt, wenngleich es seine traditionelle Vorstellung über die Rolle der Frau beibehielt und strikt gegen die öffentliche Präsenz der Frauen war.

In den 90er Jahren wuchs die Zahl der weiblichen Studierenden um 25 Prozent. Zum ersten Mal überwog sie mit 54 Prozent die Anzahl der männlichen Studierenden im Studienjahr 2003/04. Die pragmatische Regierung während der Präsidentschaft Ali Akbar Rafsandschanis (1989-97) und die reformistische seines Nachfolgers Mohamed Khatami (1997-2005) hatten den Zugang der Frauen zu den Universitäten nicht verhindert. Sie kamen selbst aus Familien ultrakonservativer Geistlicher. Die Hochschulatmosphäre bewirkte eine kritische Haltung dieser Kinder, die in Geisteswissenschaften Rousseau, Kant und Popper gelesen hatten und die der Koran des Vaters als einzige Wissensquelle nicht befriedigt hatte.

Der Klerus, der die Universität als das feindliche Pendant zur religiösen Madressa (Schule) sieht, startete mit dem Amtsantritt von Präsident Mahmud Ahmadine᠆dschad im Jahr 2005 eine konzertierte Aktion gegen die weibliche Präsenz an den Bildungsstätten. Durch schleichende Maßnahmen wurde erreicht, dass bereits 2011 die Anzahl der männlichen Studierenden die der weiblichen knapp überstieg. Durch die »Umstrukturierung« wurden Frauen aus bestimmten Studiengängen verbannt. Die Geschlechtertrennung führte zur Einrichtung reiner Frauenuniversitäten.

In diesem Studienjahr haben 36 Universitäten Frauen den Zugang zu 77 Studiengängen verwehrt. Das Bildungsministerium hat bisher keine Verantwortung für diese Maßnahmen übernommen und beteuert, es sei die Entscheidung der jeweiligen Universitäten. Diese 77 Studiengänge umfassen - unterschiedlich an den betroffenen Hochschulen - Ingenieurwesen, Tiermedizin, Betriebswirtschaftslehre, Agrarwissenschaft bis hin zu Buchhaltung sowie Politikwissenschaft. Diese Maßnahmen führen zur Isolierung der Frauen vom Bildungswesen und somit von hohen beruflichen Positionen. Seit dem Machtkampf zwischen den Lagern Präsident Ahmadinedschads und des Religionsführers Ayatollah Ali Khamenei distanziert sich der Präsident zunehmend von unpopulären Maßnahmen.

Irans Wirtschaft befindet sich angesichts der harten Sanktionen am Rande des Abgrunds, und die beiden Lager beschuldigen sich gegenseitig, für die Misere verantwortlich zu sein. Ahmadinedschad spielt bei seiner Flucht nach vorn seine Trumpfkarten aus, darunter die verbale Annäherung an eine liberale Innenpolitik und die öffentliche Distanzierung von gesellschaftlichen Schikanen gegenüber der Bevölkerung, hinter denen der konservative weltfremde Klerus steht und wozu auch die verschärfte Diskriminierung der Frauen an den Universitäten zählt.

* Aus: neues deutschland, Montag, 29. Oktober 2012


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