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Vor dem Nichts

Dramen im Schatten des Krieges: Aus Iran ausgewiesene Flüchtlinge in Afghanistan ohne Chance

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Wir stehen hier mit leeren Händen. Mein Mann findet keine Arbeit. Wir wissen nicht, wie es weitergehen soll.« Das sagte die 17 Jahre alte Marzia Mohammadi, Mutter von Zwillingen, die dringend medizinischer Betreuung bedürfen, ein paar Tage nach Ankunft der Familie in der afghanischen Hauptstadt Kabul. Die Mohammadis gehören zu den Flüchtlingen, die nach einem Beschluß der Regierung in Teheran zum Verlassen ihres iranischen Exils gezwungen werden.

Im Schatten des Krieges in Afghanistan spielen sich vor allem in den westlichen Provinzen Farah und Nimroz menschliche Tragödien ab. Allein im April schickte Teheran nahezu 78000 seit über einem Jahrzehnt in Iran lebende Flüchtlinge nach Afghanistan zurück, ungeachtet der Kämpfe zwischen NATO-Truppen und Taliban-Kommandos und der dortigen miserablen Lebensbedingungen: Es fehlen Unterkünfte und Arbeitsplätze, Felder und Wege sind vermint. Der Strom der Zwangsdeportierten hält unvermindert an. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) erwartet für den Rest des Jahres das Eintreffen von monatlich rund 1500 Menschen.

Präsident Hamid Karsai hat inzwischen an die internationale Gemeinschaft appelliert, zur Bewältigung des Flüchtlingsproblems beizutragen. Verwandte, die örtlichen Gemeinden und die Behörden bemühen sich zu helfen. Doch deren Ressourcen sind nach IOM-Angaben äußerst begrenzt. Viele Rückkehrer stehen vor dem Nichts. »Wir müssen internationale Ressourcen mobilisieren«, erklärte IOM-Missionschef Fernando Arocena. Die IOM hat zunächst 130 Zelte für die Bedürftigsten in die Provinzen Farah und Nimroz geschickt und begonnen, Flüchtlingsfamilien medizinisch zu betreuen und mit dem Notwendigsten zu versorgen.

Ähnlich wie in Iran wächst auch in Pakistan, wo noch über eine Million Afghanen in Flüchtlingslagern hausen, der Druck, sich der Immigranten zu entledigen. Diese kamen in mehreren Schüben, erst unter der sowjetischen Besatzung Afghanistans, dann während der Kämpfe zwischen den Mudschahedin und den Taliban und schließlich, nachdem die »Religionskrieger« ihre Herrschaft in Kabul etabliert hatten. Ein Teil der Flüchtlinge hat die Lager verlassen und macht mit mehr oder weniger großer geschäftlicher Selbständigkeit den einheimischen Pakistanern Konkurrenz.

Das Verhältnis zwischen Kabul und Islamabad ist wegen der militärischen Aktivitäten im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet ohnehin gespannt. Die afghanische Regierung wirft Pakistan vor, militanten Taliban und sogar der Führung der Al Qaida Unterschlupf zu gewähren. Islamabad kontert mit dem Hinweis auf die afghanischen Flüchtlingslager und droht mit deren Schließung, weil es dort Sympathie und Unterstützung für die Taliban gebe. Irans Vorgehen bei der »Lösung« des afghanischen Flüchtlingsproblems verfolgt Isamabad jedenfalls mit größtem Interesse.

* Aus: junge Welt, 31. Mai 2007


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