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Der Vater des iranischen Atomprogramms mit Schweizer Vergangenheit

Von Christoph Nufer *


Er wurde an der ETH ausgebildet und war der erste Chef der Atombehörde im Iran. Im Interview mit der «Rundschau» spricht Akbar Etemad [zur Person] über Pläne für eine Bombe, Ahmadinejads Aussagen und einen möglichen Krieg.

War das einfach für Sie, 2001 in den Iran zurückzukehren? Man hört von vielen Iranern, die das Land 1979 verliessen: Wir gehen niemals zurück.

Es waren die Iraner, die mich einluden zurückzukommen. Ich sagte ihnen, dass ich nur unter der Bedingung in den Iran zurückkehre, dass ich nichts mehr mit Atomenergie zu tun habe. Ich komme zurück als freier, unabhängiger Mensch und sie akzeptierten das.

Hat denn das Mullah-Regime nie versucht, von Ihrem Wissen zu profitieren?

Doch. Sie wollten mich als Berater gewinnen für die Atomenergiebehörde des Iran. Ich sagte Nein. Ich will nie Berater werden, sondern frei sein. Wenn sie aber meine Meinung wissen wollen zu diesem und jenem, dann gebe ich sie ihnen.

Was denken Sie eigentlich über dieses Mullah-Regime? Wie kommen Sie mit ihm zurecht, wie arrangierten Sie sich mit ihm?

Das geht mich nichts an. Der Iran als Land geht mich was an. Ich liebe den Iran. Ich liebe mein Land und die Leute. Ich lebe mit ihnen, wer auch immer das Land regiert. Natürlich machen die Leute, welche das Land regieren, den Leuten Probleme. Aber ich mische mich da nicht ein.

Das ist also der Deal: Sie lassen Sie in Ruhe und Sie können machen, was Sie wollen im Iran?

Genau. Sie respektieren mich. Ich muss fair sein. Sie sagen mir, dass ich damals einen guten Job gemacht habe. Und sie anerkennen, dass sie nur wegen meiner damaligen Vorarbeit so weit sind, wie sie heute sind. Sie respektieren mich einfach. Nicht weniger und nicht mehr.

Die iranische Regierung hat ein sehr schlechtes Image im Westen, weil der Westen sagt, der Iran wolle eine Bombe bauen. Stimmt das?

Ja, es stimmt, dass der Westen sagt, der Iran wolle eine Nuklearwaffe bauen. Aber es stimmt nicht, dass der Iran das tut. Der Punkt ist der: Der Westen hat den Atomwaffensperrvertrag (Anm. Red. Non-Proliferation Treaty NPT) geschaffen. Aber der Westen selber respektiert ihn nicht. Der Geist dieses Sperrvertrages ist: Solange du deine Verpflichtung einhältst, solange also der Iran keine Bombe baut – und der Iran hat keine A-Bombe gebaut – so lange dürfen die Iraner alles Mögliche machen im Bereich der Nukleartechnologie. Der Vertrag geht noch weiter: Die anderen Staaten, welche die Technologie besitzen, sind verpflichtet, sie dir zu geben, d. h. die Technologie, das Material und die Ausrüstung. Aber sie geben all das dem Iran nicht mit dem Vorwand: Wenn wir es euch geben, dann macht ihr eine Atombombe. Aber ich wundere mich: Seit wann stützt man sich in einem Vertrag auf Verdächtigungen. Es gibt diesen Verdacht gegenüber dem Iran, aber das ist nur ein Verdacht.

Aber wissen Sie, ob es in der Vergangenheit Vorbereitungen für eine Bombe gab?

Nein. Wir machten nie Bombenvorbereitungen in der Vergangenheit. Aber schon damals, als ich verantwortlich war in der Organisation, dachte ich mir, es ist meine Pflicht, alle Richtungen in der Forschung offenzulassen. Ich liess damals meinen Mitarbeitern freie Hand, auf verschiedenen Gebieten zu forschen. Ich sagte ihnen nicht, das darfst du und das nicht, weil dir der Atomwaffen-Sperrvertrag erlaubt, zu tun, was du willst.

Heisst das, Sie durften auch die Option einer Bombe erforschen?

Das heisst: Wir begannen damals mit der Anreicherung von Uran mit Laser. Das war damals sehr modern. Wir machten das, das heisst aber nicht, dass wir eine Bombe bauen wollten. Hören Sie. Der Punkt ist doch: Keine Regierung entscheidet plötzlich über Nacht, wir machen morgen eine Bombe. Nein. Es ist eine politische Frage. Wenn sie fühlen, wir brauchen sie, unsere Sicherheit ist in Gefahr, dann machen sie Nuklearwaffen. Leider muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen: Heute hat der Iran keinen Plan, eine Bombe zu bauen, aber wenn der Druck von den westlichen Ländern weiter anhält, dann drängen sie den Iran regelrecht dazu, Nuklearwaffen zu bauen. Sie (Anm. der Red. die Iraner) merken, wir brauchen sie, um eine Macht zu sein im Nahen Osten. Israel hat die Bombe, Pakistan hat die Bombe. Indien hat die Bombe. Russland hat die Bombe, alle um uns herum. Wenn (Anm. der Red. der Iran) also weiter gedrängt wird vom Westen, dann wird der Iran eine eigene Bombe bauen, zu Recht. Ich finde, sie haben dann das Recht dazu.

Warum hat Israel das Recht, eine Bombe zu bauen, warum Pakistan, warum hat Indien das Recht, eine Bombe zu bauen und (der Westen) arbeitet zusammen mit diesen Ländern. Doch mit dem Iran haben sie (Anm. der Red. die westlichen Länder) jegliche Zusammenarbeit abgebrochen wegen des Verdachts, sie könnten eine Bombe bauen. Das ist nicht fair.

Fakt ist doch aber, dass es vor 2003 ein Militärprogramm gab, das dann gestoppt wurde. Und heute ist ja gemeinhin bekannt bei Experten, dass die Iraner alle Bestandteile für eine Bombe bauen, aber dass der Entscheid, sie zusammenzubauen, noch nicht getroffen wurde. Stimmt das?

Ja und nein. Es stimmt nicht, dass die Iraner vor 2003 ein Militärprogramm hatten. Das stimmt nicht, das sagen die US-Geheimdienste. Damals konnten die Iraner nicht einmal von so etwas (Anm. der Red. einer Bombe) träumen. Es stimmt aber, dass der Iran heute sagt, wir haben das Recht, alle Technologien zu besitzen. Und es stimmt, wir sind an der Schwelle, alle nötigen Technologien beieinander zu haben. Aber wir haben nicht entschieden, eine Waffe zu bauen. Es ist wie in Deutschland oder Japan. Die wären fähig dazu (Anm. der Red. zur Bombe), aber sie machen sie nicht, weil sie sie nicht brauchen. Genau gleich ist es im Iran. Wenn sie sie nicht brauchen, machen sie keine, wenn sie eine bräuchten, würden sie eine bauen. Das ist ziemlich klar, oder? Warum sollte ein Land im Nahen Osten wie der Iran nicht die Mittel haben dürfen, sich selber zu verteidigen zu können?

Sie bestätigen also, dass der Iran alle Zutaten zusammenstellt und Vorbereitungen trifft, um bereit zu sein, wenn der Entscheid, eine Bombe zu bauen, kommen sollte? Damit sie den ganzen Produktionszyklus zusammenhaben. Stimmt das?

Nein. Nicht ganz. Es stimmt, sie forschen in verschiedenen Gebieten. Und da gibt es keine Begrenzungen. Und gemäss dem Atomwaffen-Sperrvertrag ist das ihr gutes Recht. Warum sie das tun, weiss ich nicht. Ich sehe nicht in die Köpfe der Regierenden im Iran.

Wenn man zum Beispiel mit dem ehemaligen Chefinspektor der IAEA, Robert Kelley, spricht, dann sagt der: «Schaut man sich Natanz an, dann ist diese Anlage einfach zu gross dimensioniert für ein ziviles Programm. Da muss es etwas anderes geben. Es macht keinen Sinn. Um Krebspatienten zu heilen, braucht es nicht so viel hochangereichertes Uran. Das heisst doch, entweder wissen die Iraner nicht, was sie tun, oder sie führen etwas Grösseres im Schilde. Eben ein militärisches Programm.» Was sagen Sie dazu?

Zuerst einmal: In Natanz machen sie kein hochangereichertes Uran, sie gehen da maximal auf 4–5 Prozent. So angereichertes Uran braucht man als Treibstoff für AKW. Für nicht mehr und nicht weniger. Das zu Natanz. Dann brauchten sie zusätzlich noch Brennstoff für den Forschungsreaktor in Teheran. Dieses Uran muss mindestens auf 20 Prozent angereichert sein. Die Iraner verlangten weltweit nach solchem Brennstoff für den Forschungsreaktor, aber kein Land war bereit, uns solchen Brennstoff zu geben. Dieser Reaktor ist sehr wichtig für die medizinische Verwendung. Die Iraner sagten darauf: Wenn ihr uns also das Uran nicht gebt, dann machen wir es halt selber. In Fordow reichern sie bis auf 20 Prozent an. Das braucht es für den (Anm. der Red Forschungs-) Reaktor. Wenn der Westen nicht mit dem Iran zusammenarbeiten will, dann drängen er den Iran, immer weiter und weiter zu gehen. Und eines Tages merken sie, jetzt haben wir alles in der Hand für eine Bombe. Und dann machen sie eine.

Sie sagen also, allein der Druck des Westens drängt den Iran dazu, eine Bombe zu bauen?

Ganz genau. Ja. Und sie (Anm. der Red. die westlichen Länder) haben kein Recht dazu. Sie sollten mit dem Iran zusammenkommen und zusammenarbeiten. Und genau das wäre der beste Weg, um zu verhindern, dass der Iran eine Nuklearwaffe bekommt.

Sie sprechen von einer Zusammenarbeit mit dem Iran. Was wäre denn aus Ihrer Sicht die Lösung? Wo sollten sie mit dem Westen zusammenarbeiten?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Damals zu meiner Zeit bekam der Iran einen zehnprozentigen Anteil an der Eurodif-Anreicherungsanlage in Frankreich. Damit hatten wir Anrecht auf zehn Prozent der Uranproduktion dieser Anlage. Ich selber unterzeichnete damals dieses Abkommen. Doch was passierte? Nach der Revolution wurde François Mitterand Präsident von Frankreich. Er entschied plötzlich: Ja, es stimmt zwar, dass der Iran einen zehnprozentigen Anteil an Eurodif hat, aber wir geben ihnen keine Lizenz, um Zugang zur Produktion dieser Anlage zu bekommen. Wenn sie uns also den Zugang verweigern, müssen sie es halt im Iran machen. Und genau das tun sie jetzt. Weil Frankreich den Zugang verweigert hat.

Heute haben wir diese endlosen Verhandlungen mit dem Iran in Istanbul, in Moskau, in Bagdad. Man hat das Gefühl, dies sei ein Katz-und-Maus-Spiel. Wo sehen Sie einen Ausweg aus dieser Sackgasse?

Ich muss Ihnen sagen, was der Westen momentan macht, ist illegal, gegen den Atomwaffen-Sperrvertrag, nicht legitim, es ist kontraproduktiv. Sie sagen, sie möchten den Iran daran hindern, Nuklearwaffen zu bauen, aber ich glaube mit all dem, was sie momentan machen, drängen sie den Iran dazu, Atombomben zu bauen. Das ist der eine Punkt.

Wie soll man aus dieser Sackgasse herauskommen? Ich sehe überhaupt keinen Weg. Ich glaube, im Moment geht es gar nicht um Atom. Nein, sie (Anm. der Red. der Westen) haben keine Angst vor dem Iran. Man hat diesen Vorwand gefunden, um dem Iran Sanktionen aufzuerlegen und Druck auszuüben.

Was ist denn das Ziel des Westens?

Wäre es nicht die Nuklearfrage, hätten sie etwas anderes gefunden. Das Problem heute ist doch, dass der Iran heute eine Position vertritt, die der Westen nicht akzeptieren kann. Es ist ein Kampf und der geht weiter. Ich sehe überhaupt keine Lösung in der jetzigen Situation.

Bleibt also mit anderen Worten nur die Option Krieg?

Nein! Ich glaube der Westen ist nicht in der Lage, einen Krieg gegen den Iran zu führen. Der Iran ist nicht Afghanistan. Der Iran ist nicht Irak. Das vergessen sie (Anm. der Red. im Westen) manchmal. Der Iran ist ein sehr starkes Land auch militärisch. Das iranische Volk wäre erpicht darauf, das eigene Land zu verteidigen, wie es dies gegen Saddam Hussein getan hat. Es würde dies gegen jeden andern auch tun. Ich glaube, Israel und die USA schaffen es nicht, den Iran anzugreifen. Tun sie es trotzdem, würde das den ganzen Nahen Osten derart in Aufruhr versetzen, dass sich dies am Schluss gegen sie selber richten würde. Wenn sie (Anm. die Red. die westlichen Länder) die Sanktionen nicht aufheben, gibt es keine Lösung.

Und wenn die Sanktionen aufgehoben würden?

Wenn sie die Sanktionen aufheben würden, dann käme der Iran vielleicht zu einer Lösung mit dem Westen. Das heisst: Zusammenarbeit im Bereich Atomenergie. Und in diesem Fall würden sie selber die Anreicherung (Anm. der Red. von Uran) bis 20 Prozent aufgeben.

Und damit die Möglichkeit, eine Bombe zu bauen?

Ja, genau.

Sind Sie über die aktuelle Situation nicht besorgt?

Nein, überhaupt nicht. Aber, was mich erstaunt, ist, dass Israel jeden Tag dem Iran mit einem Angriff droht. Aber niemand sagt: Woher nehmt ihr das Recht, den Iran anzugreifen? Der UNO-Sicherheitsrat existiert da wie nicht. Der Sicherheitsrat sollte sagen: Ihr dürft das nicht. Ihr dürft nicht ein anderes Land angreifen. Israel hat den Irak angegriffen, Syrien, es hat den Libanon angegriffen und niemand sagte etwas. Und jetzt sagen sie, der Iran könnte irgendeinmal eine Atombombe haben. Angenommen, der Iran hätte irgendeinmal eine Waffe, diese macht man nicht, um sie einzusetzen. Man baut eine Atombombe, um sich zu verteidigen.

Aber hat nicht Präsident Ahmedinejad gesagt, man werde Israel auslöschen?

Das sagte er nie!

Was sagte er dann?

Er sagte, Israel würde von der Karte ausgelöscht («wiped out from the map») – aber nicht vom Iran – weil es historisch falsch sei, dass Israel an diesem Ort existiere und deshalb werde es eines Tages von der Karte verschwinden. Er sagte nicht, der Iran mache dies.

Ja, wer dann?

Die Geschichte. Die Palästinenser sind in einem sehr schlechten Zustand. Libanon, Syrien, Irak. Alle diese Länder, die arabischen Länder, sind an dieser Sache interessiert. Jetzt kommt noch Ägypten dazu. Und nicht der Iran. Israel kämpft mit den arabischen Ländern und nicht mit dem Iran. Ich verstehe nicht, warum der Westen das immer gegen den Iran umdreht? Ich habe ganz genau gelesen, was Ahmadinejad sagte. Er wurde falsch übersetzt im Westen. Absichtlich.

* Anmerkung: Das Interview wurde den Medien von SRF/«Rundschau» zur Verfügung gestellt. Der Beitrag über Akbar Etemad wurde am Mittwoch, den 22. August 2012, um 20.50 Uhr auf SF 1 ausgestrahlt.

Die Textfassung des Interviews verdanken wir der Basler Zeitung, die sie uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Alle Rechte liegen selbstverständlich weiter bei der Zeitung.
Die Basler Zeitung ist hier im Internet zu erreichen: http://bazonline.ch
Der Beitrag selbst ist über diesen Link zu erreichen: http://bazonline.ch


Vater des iranischen Atomprogramms

Der 1931 im iranischen Hamedan geborene Akbar Etemad studierte von 1950-55 an der ETH Lausanne Maschinen-Ingenieur. Danach arbeitete er jahrelang am Sitz der Brown Boveri Company (BBC) - der heutigen ABB - in Baden. Seine Dissertation verfasste Etemad am Eidgenössischen Institut für Reaktorforschung EIR, dem heutigen Paul Scherrer Institut (PSI) in Würenlingen zum Thema Reaktor-Strahlenschutz.

Nach 15 Jahren Forschung und Arbeit in der Schweiz kehrte Etemad 1965 in den Iran zurück, wo er zuerst als Vizeminister für Forschung und Wissenschaft tätig war. Persönlich ernannt vom Schah von Persien wurde Etemad 1974-1978 der erste Chef der Atomenergiebehörde des Iran. Etemad überzeugte den Schah davon, im Iran ein grosses, ziviles Atom-Programm mit über einem Dutzend Reaktoren zu bauen, um von der Erdölabhängigkeit wegzukommen. Unter Akbar Etemad begannen 1975 die Arbeiten am AKW Bushehr, das erst nach 36-jähriger Bauzeit im Herbst 2011 ans Netz ging. Ende der 70er-Jahre war Etemad im Vorstand der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA in Wien.

Wegen der islamischen Revolution 1979 wanderte Akbar Etemad nach Paris aus, wo er fast dreissig Jahre als selbständiger Berater für Nuklearfragen tätig war. In den 90er-Jahren versuchte die iranische Regierung, den Nuklearforscher auf seinen alten Posten zurückzuholen. Etemad lehnte ab, weil er unabhängig bleiben wollte. Seit 2007 lebt der heute 81-jährige Perser wieder teilweise in Teheran. Etemad hat heute mit dem Regime Ahmadinejad einen Deal, wie er sagt. Er mische sich nicht in die aktuelle Politik des Iran ein, dafür lasse ihn die Regierung der islamischen Republik in Ruhe in Teheran leben.

Zum ersten Mal seit 1965 hat er im Juli 2012 für ein «Rundschau»-Porträt seinen alten Arbeitsort in Baden wieder besucht.




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